Beim umstrittenen Formel-1-Rennen in Sotschi siegt der Brite vor Nico Rosberg und sichert Mercedes erstmals den Konstrukteurstitel

Sotschi. Für Wladimir Putin warf Bernie Ecclestone alle Gewohnheiten über Bord. Sonst verlässt der 83-Jährige schon vor der Zielflagge die Rennstrecke. An diesem für ihn, die Formel 1 und auch Russlands Präsidenten sportpolitisch ebenso bedeutsamen wie umstrittenen Tag schaute Ecclestone die letzten Runden in aller Öffentlichkeit mit an. Und neben ihm saß Putin. Bestens gelaunt empfingen die Freunde und Geschäftspartner die verschwitzten Fahrer im Warteraum zur Siegerehrung. Die Chance, vor der Formel-1-Weltöffentlichkeit den Pokal für Gewinner Lewis Hamilton vom neuen Konstrukteursweltmeister Mercedes zu überreichen, ließ sich Putin nicht nehmen.

Als Hamilton und dessen zweitplatzierter Teamkollege Nico Rosberg sowie Valtteri Bottas von Williams das Podium betraten, stand Putin schon dort. „Es war eine großartige Erfahrung“, kommentierte Hamilton die Übergabe der 31. Siegertrophäe in seiner Formel-1-Karriere durch den Kremlchef. Den Gang durch die Startaufstellung beim ersten Großen Preis von Russland hatte Putin fünf Tage nach seinem 62. Geburtstag noch seinem Vize-Ministerpräsidenten Dmitri Kosak überlassen. Gut eine Stunde vor dem Start war die Show in der Winter-Olympiastadt losgegangen, mit ein bisschen Pathos und Patriotismus: tanzende Kosaken mit Säbeln, eine Staffel Kunstflieger am strahlend blauen Himmel und eine 450 Meter lange Fahne in den russischen Landesfarben Weiß, Blau und Rot.

Rosbergs WM-Chancen schwinden durch Attacke mit 300 km/h

Anschließend regierte jedoch vom Start weg wieder einmal Silber. Mit seinem souveränen Sieg sicherte Hamilton Mercedes den erstmaligen Triumph in der Konstrukteursweltmeisterschaft vorzeitig. Der Brite vergrößerte durch seinen vierten Erfolg in Serie auch die eigenen Chancen auf den zweiten WM-Titel nach 2008. Rosberg hatte sich in der Olympiastadt bei einer ungestümen Attacke kurz nach dem Start mit rund 300 Stundenkilometern die Reifen ruiniert und büßte früh seine Siegchance ein, wurde nach einer bravourösen Aufholjagd am Ende zwar Zweiter, verlor aber weitere wichtige Punkte auf Hamilton. Sebastian Vettel belegte den achten Rang. Für die beiden anderen deutschen Piloten endete der Grand Prix enttäuschend. Nico Hülkenberg verpasste im Force India als Zwölfter die Punkteränge. Adrian Sutil wurde 16. und bleibt damit mit Sauber weiterhin ohne Punkte.

Hamilton präsentierte sich beim politisch umstrittenen Großen Preis von Russland vor den Augen Putins erneut in bestechender und WM-würdiger Form. In dem weitgehend ereignislosen 16. Saisonlauf im „Sochi Autodrom“ drohte ihm, vom Auftakt-Aufreger mit Rosberg abgesehen, zu keinem Zeitpunkt ernsthafte Gefahr. Ungefährdet sicherte sich der 29-Jährige bei spätsommerlichen 23 Grad rund um den Olympiapark nach insgesamt 305,944 Kilometern seinen neunten Saisonsieg.

Kurz vor dem Start drückten die Piloten mit einer Schweigeminute erneut ihre Anteilnahme am Schicksal ihres schwer verunglückten Kollegen Jules Bianchi aus und bildeten einen Kreis. Der Franzose war eine Woche zuvor beim Großen Preis von Japan mit seinem Marussia unter einen Bergungskran gerast. Bianchi hatte sich dabei schwere Kopfverletzungen zugezogen. Nach einer Operation im Krankenhaus in Yokkaichi ringt er weiter um sein Leben. Bianchis Zustand wird als kritisch, aber stabil bezeichnet.

Nicht nur deshalb war das Rennen in Russland keines wie jedes andere. Im Vorfeld hatte es wegen des Ukraine-Konflikts Boykottaufrufe gegeben. Nur 500 Kilometer trennen den Parcours von der von Moskau im März annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. „Wir sind Sportteams, wir treten in einem Sport an, der in der ganzen Welt populär ist, und wo immer wir fahren, werden wir extrem gut empfangen, und wir tun unser Bestes, eine gute Show zu liefern“, sagte Red Bulls Teamchef Christian Horner nüchtern.