Christopher Rühr ist die neue Attraktion im Hamburger Hockey. Beim Club an der Alster will der Torjäger zu einem kompletten Spieler reifen

Hamburg. Ob das jetzt irgendwie komisch formuliert gewesen sei, fragt Christopher Rühr plötzlich. Er wolle nur sichergehen, ob man ihn nicht missverstanden habe. „Manchmal ist es ganz schön schwierig, das auszudrücken, was man eigentlich sagen möchte“, schiebt er dann noch nach. Es klingt wie eine Entschuldigung, aber die wäre wirklich nicht nötig gewesen, denn er spricht so, wie man sich Sportler in Interviews wünscht: klar, strukturiert, verständlich, gehaltvoll. Es war um die Frage gegangen, wie lange es dauern wird, bis er und seine neue Mannschaft ihr Spielsystem gefunden haben; bis sie dort seien, wo sie hinwollen.

„Man ist doch nie da, wo man hinwill“, das hat Christopher Rühr auf diese Frage geantwortet. Es ist eine Antwort mit fast philosophischer Tiefe, die auf einen Menschen schließen ließe, der mit dem Erreichten niemals zufrieden ist und unter der Last der eigenen Erwartungen zerbrechen könnte. Einen verkopften Charakter erwartet man hinter dieser Antwort. Und dann sieht man ihn Hockey spielen, diesen Christopher Rühr, und man weiß, dass er auf dem Feld das Gegenteil verkörpert: einen Instinktstürmer, der aus dem Bauch heraus handelt und manchmal wirkt, als sei seine Welt keine Kugel, sondern ein Hockeyball.

Christopher Rühr, 20 Jahre alt, ist die neue Attraktion im Hamburger Hockey. Der Club an der Alster war der glückliche Sieger im Rennen um die Dienste des U23-Welthockeyspielers des Jahres 2013, der zum Ende der vergangenen Saison beschlossen hatte, das zu eng gewordene Mülheim an der Ruhr zu verlassen, um in seiner persönlichen Entwicklung den nächsten Schritt zu machen. „Ich habe einen Verein gesucht, bei dem ich sofort viel Verantwortung übernehmen kann, um zu einem kompletten Spieler heranzureifen“, sagt er. Der Umbruch bei Alster, das zehn Abgänge zu verkraften hatte, habe ihn fasziniert. „Für mich ist es eine große Aufgabe, hier beim Neuaufbau mithelfen zu können“, sagt er.

Als „Spektakelspieler“ hatte Bundestrainer Markus Weise, unter dem der Offensivmann im Juni in den Niederlanden sein erstes WM-Turnier im A-Kader spielte, den gebürtigen Düsseldorfer bezeichnet. Und das stimmt. Rühr paart eine enorme Schnelligkeit mit beeindruckender Ballkontrolle. Seine Tempodribblings sind atemberaubend, er hat Zug zum Tor und einen starken Schuss. Er sei wohl ein relativ kompletter Stürmer, sagt Rühr über sich, und das mag auch deshalb untertrieben sein, weil er sich eben längst nicht als kompletten Spieler betrachtet.

Genau diesen Schritt erwartet André Henning nun in Hamburg. Der 30-Jährige trainiert Rühr seit der Jugend B, er war bis zum Sommer Cheftrainer bei Uhlenhorst Mülheim und ist nun bei Alster Assistent von Chefcoach Jo Mahn. „Chrissi hat hier eine klare Rolle, er soll als Vorbild vorangehen. Vor allem aber soll er nicht nur den Fans etwas bieten, sondern dem Team. Ein Teamplayer zu werden, daran arbeitet er“, sagt Henning. Christopher Rühr bestätigt diese Einschätzung seines Mentors, „ohne den ich es nie so weit im Hockey gebracht hätte“. Über all seinem persönlichen Wirken stehe der Erfolg der Mannschaft. „Früher war das nicht immer so, da waren mir individuelle Aktionen wichtiger, bis ich gemerkt habe, dass ich mich schlecht fühlte, wenn ich geglänzt habe, aber wir das Spiel verloren haben. Ich hinterfrage mich sehr viel und versuche, aus meinen Fehlern zu lernen.“

Auffällig ist, wie oft der Torjäger von „früher“ spricht, von „jungen Spielern, denen ich in ihrer Entwicklung helfen möchte“. Das mag altklug klingen für einen 20-Jährigen, letztlich ist es aber nur eine Frage der Perspektive. Im Kreis der Nationalmannschaft fühlt sich Rühr noch immer jung und unerfahren mit seinen 35 Länderspielen. Aber in der Bundesliga, da spielt er mittlerweile seine fünfte Saison, mit 16 debütierte er für Mülheim. So einer ist auch mit 20 schon ein Routinier, aber eben einer, der noch viel lernen muss und sich dessen auch bewusst ist.

Natürlich werden die Lokalderbys Neuland sein, und dann sind da noch die Duelle mit seinem Ex-Club, dem er viel zu verdanken hat. In Mülheim haben sie nicht alle geglaubt, dass sein Abgang nur sportliche Gründe hatte und dass er nicht mit Henning abgekartetes (Wechsel-)Spiel betrieben habe. Christopher Rühr hat das getroffen, aber was soll er anderes tun als zu dementieren, dass er dem Lockruf des Geldes erlegen ist? „Wenn ich mit dem Hockey mein Geld verdienen müsste, dann würde ich mich davon sicherlich leiten lassen. Aber Hockey ist mein Hobby, und bei Alster kann ich mich am besten entwickeln“, sagt er.

Rühr möchte Arzt werden, aber weil er keinen Studienplatz bekommen hat, macht er erst einmal eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Die Persönlichkeitsentwicklung ist für ihn ein steter Prozess, das sei nicht anders als im Team auch. Alles müsse sich finden, man müsse Schritt für Schritt vorangehen und dürfe nicht sofort Wunder erwarten. Das Auftaktwochenende, an dem Alster aus zwei Auswärtsspielen nur einen Punkt mitbrachte, hat das gezeigt. „Aber wir haben uns von Sonnabend auf Sonntag immens gesteigert, darauf können wir aufbauen“, sagt Rühr. An diesem Wochenende kommen der Berliner HC (Sa, 16.30 Uhr) und Blau-Weiß Berlin (So, 14 Uhr) an den Pfeilshof. Der erste Saisonsieg wird im Umfeld erwartet. Ein Spektakel nicht unbedingt, aber wenn es Christopher Rühr gelingt, wäre er immerhin schon einmal dort angekommen, wo andere ihn sehen wollen. Und für seine persönliche Entwicklung hat er ja noch Zeit.