Hamilton gewinnt das Formel-1-Rennen in Monza vor Rosberg. Die befürchtete Eskalation zwischen beiden bleibt aus

Monza. Die Kameras zoomten erbarmungslos in die verschwitzten Gesichter von Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Der schwelende Zwist zwischen den beiden Mercedes-Piloten ist das bestimmende Thema dieser Formel-1-Saison, so nah wie bei der Siegerehrung nach dem Großen Preis von Italien waren sich die beiden Streithähne lange nicht mehr. In Großaufnahme flimmerten ihre Blicke und Gesten über die Videoleinwände des Autodromo Nazionale von Monza, die Zuschauer folgten gebannt. Und sie sahen: keinen Handschlag, keine gegenseitige Champagnerdusche, kein anerkennendes Nicken. Nur einen etwas gezwungen wirkenden Applaus spendierte Rosberg seinem Garagennachbarn, als dieser auf die oberste Stufe des Treppchens kletterte. Als er kurze Zeit später das Gespräch mit dem drittplatzierten Felipe Massa suchte, drehte sich der Brite demonstrativ weg. Spannend ist bei Mercedes vor allem, was nicht passiert.

Dass es nicht zu einer im Mercedes-Lager befürchteten und bei der Konkurrenz klammheimlich erhofften Neuauflage des Spa-Unfalls kam, lag vor allem an Rosberg. Der WM-Spitzenreiter, eigentlich der schwächere Starter der beiden Silberpfeil-Piloten, kam so schnell los wie noch nie in dieser Saison. Bevor es in die erste Haarnadelkurve ging, war der Deutsche nicht nur an dem vor ihm gestarteten Hamilton vorbeigezogen. Er hatte sich sogar so weit abgesetzt, dass eine neuerliche Kollision ausgeschlossen war. Erst zum zweiten Mal in dieser Saison war der Brite in Runde eins zurückgefallen, diesmal gleich um drei Plätze.

Massa und Kevin Magnussen waren vorbeigeschlüpft und entwickelten sich fortan zu veritablen Bremsklötzen. Während Rosberg an der Spitze einsam Bestzeit an Bestzeit reihen konnte, rieb sich Hamilton in riskanten Zweikämpfen bei Tempo 350 auf. Sein Rückstand auf den Führenden wuchs auf mehr als sechs Sekunden an. In Runde neun verpasste Rosberg den Bremspunkt vor der ersten Schikane und wurde kurzzeitig von der Strecke getragen, drehte anschließend aber weiter unbeirrt seine Kreise und sah lange wie der sichere Sieger aus. „Sagt mir nicht, wie groß mein Vorsprung ist“, wies er seine Crew über Funk an – nichts sollte ihn ablenken. Trotzdem unterlief ihm kurz nach dem Beginn der zweiten Rennhälfte der Fehler, der das Rennen entschied.

Wiein Runde neun musste Rosberg bei der 29. Durchfahrt der Auftaktschikane den Umweg über den stillgelegten Teil der Strecke nehmen. Diesmal zog Hamilton vorbei. „Das war mein Patzer“, räumte der Deutsche ein. „Ich kann Lewis nur gratulieren. Er ist ein tolles Rennen gefahren.“ Nach einem kurzen Schreckmoment ließ der Platztausch den Mercedes-Kommandostand aufatmen: Hamilton, dem der Frust über den verpatzten Start in jeder Kurve anzumerken war, übernahm die Führung, ohne ein hartes Überholmanöver zu riskieren. Er rollte einfach am wehrlosen Rosberg vorbei, fuhr seinen Vorsprung souverän ins Ziel und sorgte damit dafür, dass alle Beteiligten nach turbulenten Tagen einigermaßen befriedet aus Italien abreisen konnten.

Die Mercedes-Bosse, die sich trotz des Unfalls in Spa gegen eine offizielle Stallorder ausgesprochen hatten, sahen sich in ihrem moderaten Kurs bestätigt. Hamilton bekam den Sieg, den er um jeden Preis wollte, und machte gleichzeitig sieben Zähler auf Rosberg gut. Der gebürtige Wiesbadener wiederum hielt die Punkteeinbußen in erträglichen Grenzen, sein Vorsprung ist mit nun 22 Zählern noch immer komfortabel. Vor allem aber erntete er auf dem Siegerpodest den Applaus der Zuschauer. Der Mann, der vor wenigen Wochen zu Unrecht als zu brav für den Titelgewinn abgeschrieben worden war, schien in Runde zwei des Großen Preises von Belgien ebenso zu Unrecht zum Bad Boy der Formel 1 mutiert, den die Fans gnadenlos auspfiffen. Vor allem britische Medien hatten daraus eine Art moralisches Vorrecht Hamiltons auf die WM-Krone abgeleitet.

Die Huldigung in Monza zauberte ihm das erste aufrichtige Lächeln der vergangenen Tage auf das Gesicht. „Vielen, vielen Dank“, rief er den Zuschauern entgegen. „Das sind große Emotionen.“ Vor allem aber dominierte Erleichterung: Derzeit ist jedes Wochenende ohne Eskalation ein gutes für das Sterneteam, dem ein großer Schritt zum vorzeitigen Gewinn der Konstrukteurs-Meisterschaft gelang.

Das lag auch am erneut durchwachsenen Auftritt des Red-Bull-Teams. Daniel Ricciardo steckte nach schlechtem Start lange im Mittelfeld fest. Weltmeister Sebastian Vettel hatte eine gute erste Runde, konnte das Tempo aber nicht halten. Als der Australier in Runde 48 an dem Hessen vorbeizog, war es wie eine Blaupause für die komplette Saison: Der Jüngere der beiden Red-Bull-Piloten ist 2014 einfach besser als der Seriensieger der vergangenen vier Jahre.