Der ehemalige WM-Kandidat im Schwergewicht boxt am Sonnabend in Halle (Westfalen) gegen den Deutsch-Usbeken Musafarov

Hamburg. Die Schmerzen in der Seele, sie kamen zurück am 26. April, als Denis Boytsov sah, wie sich sein Bezwinger Alex Leapai von Weltmeister Wladimir Klitschko bloßstellen ließ. „Wie konnte ich nur gegen so eine Flasche verlieren“, fragte der russische Schwergewichtler seinen Manager Gagik Khachatryan. Die Antworten auf diese Frage sind vielschichtig, alle Facetten aufzudecken hat ein halbes Jahr Verarbeitungszeit gekostet. Erst jetzt, neun Monate nach der Punktniederlage in Bamberg im WM-Ausscheidungskampf gegen den Australier ist der 28-Jährige vom Berliner Sauerland-Team bereit, das Vergangene hinter sich zu lassen und in die Zukunft zu schauen.

Diese soll am diesem Sonnabend in Halle (Westfalen) beginnen, wenn Boytsov im Vorprogramm von Cruisergewichtschampion Marco Huck gegen den Deutsch-Usbeken Timur Musafarov die Mission Comeback in Angriff nimmt. Doch um die Zukunft zu gestalten, muss man die Vergangenheit verstehen. Im November 2013 war der bis dahin in 33 Profikämpfen Unbesiegte in erschütternder Form. Die monatelangen Querelen bei seinem Wechsel vom insolventen Hamburger Universum-Stall, wo er im September 2004 seine Profikarriere begonnen hatte, zu Sauerland, die in schweren Bedrohungen von unbekannt gegen ihn und Manager gipfelten, hatten ihn zu einem psychischen Wrack gemacht. Als Zeuge musste er im Prozess gegen Universum-Chef Waldemar Kluch aussagen, der seit mittlerweile 15 Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Außerdem machten ihm vor dem Leapai-Kampf körperliche Leiden zu schaffen, wegen einer Knieblessur konnte er kein ordentliches Athletiktraining bestreiten, einen Riss des rechten Bizeps verschwieg er gar.

„Wir suchen nicht nach Entschuldigungen“, sagt Khachatryan, „letztlich hat der Boxer selbst die Schuld.“ Dass es falsch war, in den Ring zu steigen, daran gebe es keinen Zweifel. Man habe aber die Chance, durch einen Sieg gegen Leapai Klitschko herausfordern zu können, nicht verstreichen lassen wollen. Außerdem hatte Boytsov die Kampfbörse dringend nötig, um seine Schulden begleichen zu können. „Das alles hat Denis sehr belastet“, sagt Khachatryan, „aber jetzt ist alles gut, er ist schuldenfrei, psychisch und körperlich fit und bereit, wieder richtig anzugreifen.“

Das sieht auch Trainer Karsten Röwer so. Nachdem der Bizeps direkt nach dem Kampf und die Knieprobleme im Frühjahr operativ behoben wurden, hatte Boytsov mit einem professionellen Athletikaufbau beginnen können. „Körperlich ist er endlich voll belastbar“, sagt Röwer, dem bewusst ist, wie viel Arbeit auf dem Weg zurück in die Spitze der Weltranglisten zu leisten ist. Alle vier bedeutenden Weltverbände haben den Russen aus den Top 15 gestrichen. „Wir müssen einiges ändern“, sagt er. So solle Boytsov, der bei einer Größe von 1,85 Meter 110 Kilo wiegt, keine Muskelmasse mehr aufbauen, „sonst ist er zu langsam und kann zwölf Runden konditionell nicht durchstehen“. Außerdem versucht der Coach, dem als K.-o.-König bekannt gewordenen Muskelberg beizubringen, mehr auf variable Schlagserien zu setzen als auf Einzelhände mit Maximalkraft. „Eine harte Hand und dazu ein paar schnelle, lockere Schläge, das ist das Konzept, auf das wir setzen“, sagt Röwer, der auf die Wettkampfsituation extrem gespannt ist. „Dort entscheidet sich ja, wie er die Niederlage mental weggesteckt hat. “

Boytsov ist überzeugt, dass sein Kopf wieder frei ist für das, was von ihm im Ring erwartet wird. Die Bedrohungen haben zwar nicht aufgehört, sie sind aber abgeebbt, auch weil mittlerweile klar ist, wie wohl er sich in Berlin beim Sauerland-Team fühlt. „Für Denis ist es sehr wichtig, dass das Umfeld stimmt, und das ist bei Sauerland definitiv der Fall“, sagt Berater Peter Hanraths. “

Um sich seelisch wieder ins Gleichgewicht zu bringen, hat Boytsov die Hilfe eines Mentalcoaches in Anspruch genommen und sich mit Yoga neue Reize geschaffen. Vor allem spürt er, dass die Lust an seinem Sport zurückgekehrt ist. Für dieses Jahr hat er sich vorgenommen, noch dreimal in den Ring zu steigen: „Ich brauche jetzt Kämpfe, um stabil zu werden, um mich wieder nach oben zu boxen.“ Eine Revanche gegen Leapai, die er forderte, wird es nicht geben, aber die Gegner sollen hohes Niveau haben. Das wünscht er sich.