Hindernisläuferin Möldner-Schmidt und Kugelstoßerin Schwanitz verbessern bei Leichtathletik-EM die deutsche Bilanz

Zürich . Und dann kam die letzte Kurve, kam das letzte Hindernis, und Antje Möldner-Schmidt lief und lief, und alles sah so flüssig und so leicht aus, als hätte es nie Zweifel daran gegeben, dass die 30-Jährige sich eines Tages belohnen würde für besondere Beharrlichkeit. Mit raumgreifenden Schritten ging sie im EM-Endlauf Sonntagnachmittag in Führung, ins Ziel flog sie förmlich. Eine Europameisterin über 3000 Meter Hindernis aus Deutschland, die 2010 eine Krebserkrankung überstand – wer hätte damit gerechnet?

„Stell dir etwas oft genug vor, und es wird passieren.“ So stand es seit Dienstag schwarz auf weiß geschrieben an einer Wand im Hotel der deutschen Nationalmannschaft. Die Teamleitung hatte diesen und andere Sprüche zur Motivation auf DIN-A4-Blätter drucken lassen. Natürlich sind längst nicht alle Wünsche in Erfüllung gegangen an den sechs Wettkampftagen im Züricher Letzigrund, und natürlich gab es auch Enttäuschungen. Zumindest hier aber behielt Verbandspräsident Clemens Prokop vor dem Abschluss-Sonntag recht: „Ich bin ganz sicher, die Bilanz wird sich am letzten Tag deutlich zu unseren Gunsten verändern.“

Neben Möldner-Schmidt, die im Schlussspurt die Schwedin Charlotta Fougberg abhängte, holte auch Christina Schwanitz, 28, Gold. An ihre 19,90 Meter im zweiten Durchgang kam keine Konkurrentin heran, die zweitplatzierte Russin Jewgenija Kolodko wuchtete die Kugel auf lediglich 19,39 Meter. Dazu gewann die 4-x-100-Meter-Staffel der Männer – die Frauen hatten in der Qualifikation am Tag zuvor den Stabwechsel verpatzt – hinter den Briten (37,93 Sekunden) Silber in Saisonbestzeit von 38,09 Sekunden.

Der Medaillenspiegel wies die Mannschaft des Deutsche Leichtathletik- Verbands (DLV) nach 47 Entscheidungen auf Rang drei aus mit viermal Gold, einmal Silber und dreimal Bronze – hinter Großbritannien (11/5/6) und Frankreich (9(78/6), aber noch vor Russland (3/6/13). Bei den Europameisterschaften in Helsinki 2012 hatte sie mit 16 Medaillen (6/6/4) Platz eins belegt – was ein wenig auch der Tatsache geschuldet war, dass das Niveau in Olympiajahren für gewöhnlich geringer ist als in Nicht-Olympiajahren.

Dass DLV-Athleten in Zürich bis dato sechs vierte und zehn fünfte Plätze erzielten, ist am plakativen Medaillenspiegel ebenso wenig abzulesen wie die Tatsache, dass manch Leistungsträger in Zürich verletzt fehlte, dass sich aber gerade viele junge Athleten sehr gut geschlagen haben im jüngsten Team seit 1990 (im Durchschnitt 25,2 Jahre).

Die Diskuswerferin Shanice Craft, 21, als EM-Dritte beispielsweise. Oder Carolin Schäfer, 22, die im Siebenkampf denkbar knapp am dritten Platz vorbeischrammte. Oder Felix Franz, 21, als starker Fünfter über 400 Meter Hürden. Oder die Weitspringerin Malaika Mihambo, 20, die in einem schwierigen Wettkampf weitengleich mit der Drittplatzierten Rang vier belegte.

„Vor dem Hintergrund, dass wir ein junges Team am Start hatten, sind vierte Plätze nicht als ‚undankbar‘ zu bezeichnen“, meint DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. „Der ausschließliche Blick auf den Medaillenspiegel entwertet die Leistung des Einzelnen. Der Medaillenspiegel stellt nicht allein die Leistungsfähigkeit des gesamten Teams dar. Wir sollten ihn nicht wie eine Monstranz vor uns hertragen.“

Vielmehr wähnt sich der DLV im europäischen Vergleich auf gutem Wege, was die Entwicklung vor den Weltmeisterschafen in Peking nächstes Jahr und den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro angeht. „Unsere Athleten haben sich überwiegend bestens behauptet“, findet Kurschilgen. Viele aus der 94-köpfigen Mannschaft gehörten dieses und kommendes Jahr noch der Altersklasse U23 an, und dennoch: „Sie sind mit hohem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein an den Start gegangen.“ Und auf Leistungsträger wie die Europameister Robert Harting, 29, im Diskuswerfen und David Storl im Kugelstoßen war Verlass – wobei der Weltmeister und Olympiazweite Storl ja auch erst 24 Jahre alt ist.

Nicht allein der Wettkämpfe ihrer Athleten wegen war die deutsche Delegation mit besonderem Interesse in die Schweiz gereist. In vier Jahren ist schließlich Berlin Ausrichter der EM. Da galt es zu spicken und die richtigen Erkenntnisse zu ziehen. Zumal Zürich als ein Traditionsstandort mit „legendärer Veranstaltung“ – das Meeting „Weltklasse Zürich“ ist gemeint – „bei allen Beteiligten die Erwartungshaltung geweckt hatte, durch die EM-Tage hindurch werde sich ein Weltklasse- Feeling durchziehen“, wie DLV-Präsident Prokop sagte. Nach sechs Wettkampftagen im Letzigrund müsse man aber „ganz realistisch erkennen: Ein Abendmeeting und eine EM sind aufgrund einer Vielzahl unterschiedlicher Rahmenbedingungen nicht miteinander vergleichbar.“

Was Prokop diplomatisch verklausulierte, war für jedermann sicht- und spürbar gewesen: Zürich hat die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Weder organisatorisch, wie viele Athleten bemängelten, noch atmosphärisch. Das stimmungsvolle, ausnahmsweise von Sonne beschienene Abschlusswochenende stellte die Ausnahme dar. Nicht zu verbergen gewesen ist, dass auf den ohnehin nur 18.000 Zuschauer fassenden Tribünen täglich mal mehr, mal weniger riesige Lücken klafften. Angesichts von Eintrittspreisen ab umgerechnet 78,55 Euro schon in der untersten Kategorie ist das auch kein Wunder.

Dass in Berlin täglich ein Stadion von dann 59.000 Zuschauern Fassungsvermögen gefüllt werden soll, ist eine Herausforderung. Wie gut es gelingt, wird auch davon abhängen, wie es dann um die deutsche Nationalmannschaft bestellt ist. „Hinreißende, spannende Wettbewerbe mit ungewissem Ausgang – so stellt sich die europäische Leichtathletik dar“, hat DLV-Sportdirektor Kurschilgen in Zürich bilanziert. Das ist schön. Andererseits hätte er gegen etwas mehr Planbarkeit wohl auch nichts einzuwenden.