Zuversichtlich starten die deutschen Leichtathleten in ihre EM. Nachwuchssportler wollen das Vertrauen rechtfertigen

Zürich . Artur Abeles Erkenntnis aus seinem bisherigen Wirken als Zehnkämpfer mag nicht eben feinsinnig klingen, zeugt aber von gesundem Pragmatismus: „Hinten kackt die Ente.“ Will sagen: Da kannst du noch so viel quatschen vor der ersten Disziplin am Dienstagmorgen im Stadion Letzigrund, kannst kühne Pläne schmieden, die grauen Regenwolken am Himmel beklagen, über Kälte lamentieren – entscheidend ist, was am Ende herauskommt. Und das ist, in diesem und im besten Falle, eine Medaille für einen der drei deutschen Zehnkämpfer.

Dass die Vielseitigsten unter den Leichtathleten die Europameisterschaften in Zürich (12. bis 17. August) selbstbewusst einläuten, fügt sich aus deutscher Sicht prima ins Bild. Breit aufgestellt und der eigenen Stärken gewahr, so will der Deutsche Leichtathletik- Verband (DLV) den Saisonhöhepunkt angehen.

Viel spricht dafür, dass die Nationalmannschaft ihr ambitioniertes Ziel erfüllen, wenn nicht übererfüllen wird: „Zu den Top-drei-Nationen Europas zu gehören“, wie Sportdirektor Thomas Kurschilgen sagt.

Motivation und Maßstab zugleich ist der Erfolg bei der Team-Europameisterschaft Mitte Juni in Braunschweig. Erstmals landete der DLV dort auf Platz eins, noch vor den vermeintlich übermächtigen Russen. Getragen wurde das Team von einer Reihe bemerkenswerter Leistungen gerade vieler junger Athleten.

Der ehemalige Junioren-Europameister Andreas Hofmann, 22, beispielsweise gewann überraschend den Speerwurf mit 86,13 Metern, Malaika Mihambo, 20, siegte im Weitsprung mit persönlicher Bestweite (6,90 Meter), über 800 Meter hängte Timo Benitz, 22, die internationale Konkurrenz in 1:46,24 Minuten ab. Nur gut, dass Benitz’ Eltern ihn als Knirps nicht zum Fußballtraining hatten gehen lassen: „Ich hatte zu dünne Beine.“

Mit 25,2 Jahren im Durchschnitt ist die 92-köpfige deutsche Mannschaft in Zürich die jüngste seit 1990. Kurschilgen sagt: „Was die Einstellung der Mannschaft betrifft, wollen wir nahtlos an Braunschweig anknüpfen. Ein Viertel des Teams sind Athleten von 22 Jahren und jünger.“ Nicht nur der Sportdirektor ist sich bewusst: „Wir haben eine ganz besondere Verantwortung für diese Athleten. Wir möchten, dass sie mit Mut, Risiko und großem Selbstbewusstsein in die Wettkämpfe gehen.“

Bemerkenswertes hat sich in den vergangenen rund fünf Jahren in der deutschen Leichtathletik getan. Aus den „Losern“ der Olympischen Spiele in Peking 2008 (eine Bronzemedaille) ist ein zuverlässig Erfolge feiernder Fachverband geworden, der in London 2012 acht Olympia-Medaillen (einmal Gold) und bei der WM 2013 in Moskau sieben Medaillen (viermal Gold) gewann. Die EM 2012 in Helsinki beendete der DLV auf Platz eins im Vergleich der Nationen (16 Medaillen, sechsmal Gold).

Sportler berichten heute von einer leistungssportfreundlichen, fruchtbaren Atmosphäre im Team, was Meinungsverschiedenheiten hier und da keineswegs ausschließt. Personelle Veränderungen an der Spitze der sportlichen Führung haben zum Aufschwung ebenso beigetragen wie strukturelle Veränderungen, eine konsequente Sichtung schon im Jugendbereich, eine Integration der persönlichen Trainer, so weit möglich, sowie die Tatsache, dass hoffnungsvolle Athleten auch im Falle unerwarteten Misserfolgs nicht fallen gelassen werden.

Hinzu kommt, dass der Verband beharrlich auch vermeintlich abgeschlagene Disziplinen zu verbessern versucht hat – mit Erfolg, wie der Männer- Sprintbereich illustriert, der unter Verantwortung des Hamburger Bundesstützpunktleiters und Verbandsgeschäftsführers Klaus Jakobs in die internationale Spitze vorstieß.

„Inzwischen haben wir nicht in ein, zwei Disziplinen gute Athleten, sondern sind in der Breite gut aufgestellt. Wir haben in vielen Disziplinen nicht nur einsame Helden, sondern echte Konkurrenzverhältnisse“, sagt DLV-Präsident Clemens Prokop.

Sein Sportdirektor rechnet vor: „In fast 90 Prozent aller olympischen Disziplinen sind wir in Zürich mit mindestens einem Athleten vertreten, in 75 Prozent haben wir jeweils einen unter den besten acht.“

Garantien für langfristigen Erfolg sind das keine, gute Voraussetzungen aber allemal. Dass die Mannschaft einen Typen und Kapitän wie Robert Harting, 29, in ihren Reihen weiß, an dem sich aufrichten lässt, kommt ihr obendrein zugute. Der Diskus-Olympiasieger aus Berlin wurde wie schon bei der Team-EM zum Kapitän der deutschen Mannschaft ernannt.

Harting wirft am Mittwoch in der Qualifikation, er ist bei der EM ebenso Titelverteidiger wie Kugelstoßer David Storl. In Zürich will der 24-Jährige endlich zum ersten Mal in seiner Karriere „mehr als 22 Meter stoßen. Darauf lege ich mehr Augenmerk als auf den Titel.“