Beim Tennisturnier am Rothenbaum treffen sich Shootingstar Alexander Zverev und Daviscupspieler Tobias Kamke in der Runde der letzten acht

Hamburg. Was er denn jetzt noch so anfangen würde mit dem Rest-Donnerstag, wurde Alexander Zverev gefragt. Er hat diese Frage bislang nach jedem seiner Siege gehört, die Antwort darauf ist immer dieselbe gewesen: „Schlafen!“ Und vielleicht ist genau das das Geheimnis dafür, dass sich Deutschlands größte Tennishoffnung in dieser Woche, bei seinem Heimturnier am Rothenbaum, so ausgeschlafen präsentiert, dass er reihenweise Topspieler ausschaltet und nun an diesem Freitag erstmals in seiner Profikarriere im Viertelfinale eines ATP-Turniers steht. Am Donnerstag ließ der 17-Jährige auch den Kolumbianer Santiago Giraldo mit dessen 26 Jahren alt aussehen und gewann das Achtelfinalduell nach 1:54 Stunden Spielzeit mit 6:4 und 7:6 (8:6).

„Mental bin ich viel erschöpfter als körperlich. Es ist schon sehr anstrengend, hier jeden Tag gegen Top-50-Spieler zu spielen“, sagte Zverev und verblüffte damit wieder einmal die Zuhörer, die von einem Jugendlichen, der auf dem Court mit dem Publikum zu spielen versteht wie ein alter Hase, vielleicht forschere Töne erwartet hätten. Die Herzen der Zuschauer – am Donnerstag kamen 7000 auf die Anlage – hat der 1,96 Meter lange Schlaks mit seiner schüchternen Art, sich über die größten Momente seines bisherigen Tennislebens zu freuen, längst erobert.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass Zverev, der das am Donnerstag vorgestellte Talent-Team des Deutschen Tennis-Bundes anführt, sich in der Stadt, in der er beim Uhlenhorster HC aufwuchs und in der er mit seinen Eltern noch immer wohnt, wenn er nicht durch die Tenniswelt reist, besonders wohlfühlt. Dass er im Elternhaus in Lemsahl schlafen kann anstatt im Hotel; dass nicht nur die Eltern Irina und Alexander Senior, die ihn trainieren, ständig bei ihm sind, sondern auch Bruder Mischa, 26, und die Großmutter, all das gibt ihm Kraft. „Es tut gut zu wissen, dass sie da sind, sie können mir mit einigen Entscheidungen helfen“, sagt er.

Und trotzdem gehört mehr dazu als nur ein Wohlfühlklima, um als Weltranglisten-285. nacheinander die Nummern 51 (Robin Haase), 19 (Michail Juschni) und 32 (Giraldo) aus dem Turnier zu werfen. Zverevs Erfolg speist sich großenteils aus seiner perfekten Ausbildung. Nicht nur, dass er technisch alle Schläge beherrscht und besonders mit seinen mehr als 210 km/h schnellen Aufschlägen und der peitschenden Vorhand besticht, mit der er auf 50 Meter Entfernung Fliegen von der Wand zu schießen imstande wäre. Vor allem bringt er eine mentale Stärke mit, die für einen 17-Jährigen ungewöhnlich wirkt, sich aber daraus erklärt, dass er in seinem Leben nicht viel anderes getan hat als Tennis zu spielen. Er hat seinen Bruder Mischa, der 2009 im Daviscup spielte und bis auf Position 45 der Welt kletterte, lange beobachtet und daraus viel gelernt.

„Sascha ist ja eigentlich schon viel länger auf der Tour, als er mitspielt. Er kennt viele seiner Gegner, und die kennen ihn, deshalb wirkt er so abgeklärt und ruhig. Wir reden sehr viel mit ihm und erklären ihm, wie er mit seinem Erfolg umzugehen hat“, sagt Mischa Zverev, der mittlerweile auf Position 350 des Rankings abgerutscht ist und wegen einer Handgelenksoperation bis Jahresende pausieren muss.

Ein weiterer gewichtiger Faktor für den Erfolg des besten Juniorenspielers der vergangenen Saison ist zudem, dass er vor zwei Wochen beim Challengerturnier in Braunschweig den Schalter vom Junioren- auf den Profibetrieb umlegen konnte. Mit Siegen gegen die Top-100-Spieler Tobias Kamke, Andrej Golubew und Paul-Henri Mathieu feierte er dort seinen ersten Turniersieg auf der Profitour. Besonders der Zweisatzerfolg über Kamke, den Hamburger Daviscupspieler, hat ihn immens beflügelt. Die beiden kennen sich vom UHC, seit Alexander denken kann. „Gegen ihn zu gewinnen, war unfassbar“, sagt er.

Umso kurioser also, dass die beiden nun am Freitag (12 Uhr) am Rothenbaum eine Verabredung zur Revanche haben, nur 17 Tage nach dem Zeitenwechsel von Braunschweig, und damit nach Tommy Haas 2012 wieder ein Hamburger im Halbfinale steht. Kamke, 28, zog durch einen überzeugenden 7:5, 2:6, 7:5-Sieg über den Ukrainer Alexander Dolgopolow erstmals in seiner Karriere ins Viertelfinale von Hamburg ein. Der Weltranglisten-83. hat es endlich geschafft, so viel Konstanz in sein Spiel zu bringen, dass es zu drei Siegen über in der Rangliste höher eingestufte Profis reichte. Vor allem bricht der gebürtige Lübecker in nervlich belastenden Momenten nicht mehr ein, sondern zieht Kraft aus der Unterstützung der Zuschauer – so zum Beispiel, als er im dritten Satz nach 5:2-Führung das 5:5 kassierte und das Match dennoch ins Ziel brachte. Kamke half, dass er vor seinem Heimspiel eine Turnierpause einlegte und stattdessen in Hamburg trainierte. Und dass Trainer Sascha Nensel, den er sich mit Fedcupspielerin Julia Görges teilt, in dieser Woche erstmals nur für ihn da sein kann, trägt ebenfalls zum Wohlfühlgesamtpaket bei.

Ob Zverev nicht, angesichts des Ergebnisses von Braunschweig und der Auftritte in dieser Woche, als Favorit in das Hamburger Viertelfinalduell gehe, wurde Kamke noch gefragt. „Ich denke, dass viele erwarten, dass er auch mich weghaut. Aber für mich soll das Viertelfinale nicht Endstation sein“, sagte er. Zverev sagte, er erwarte „ein interessantes Match, ganz anders als in Braunschweig“. Auch er will noch mehr als einmal auf den Centre-Court. Er will, um es im übertragenen Sinn zu sagen, weiterschlafen und nicht aufwachen aus dem Traum Rothenbaum.