Das System des US-Trainers erinnert an das Sommermärchen 2006. Das Abendblatt erklärt die wichtigsten Faktoren des Erfolgs vor dem letzten Gruppenspiel am Donnerstag gegen Deutschland.

Hamburg/Manaus Wäre sein blaues Poloshirt eine hellblaues Anzughemd und die beige Hose schwarz, man könnte die Bilder aus Manaus auch mit dem deutschen Sommermärchen 2006 verwechseln. Jürgen Klinsmann hüpft wie ein Flummi, elektrisiert von seiner eigenen Mannschaft, die soeben ein Tor erzielt hat. Sein gebräuntes Gesicht glänzt. Und man muss schon genau hinschauen, um zu merken, dass der Trainer der USA acht Jahre älter geworden ist. Das 2:2 bei der WM 2014 gegen Portugal war bereits der zweite Auftritt der Amerikaner, den diesem Team vor dem Turnier kaum jemand zugetraut hätte. Der Erfolg der USA hat verschiedene Gründe, die fast alle an das System Klinsmann beim DFB erinnern.

Die Unbeirrbarkeit: Jürgen Klinsmann hat klare Vorstellungen, die er ohne Kompromisse umsetzt. So war es 2006 als Teamchef der DFB-Auswahl, so war es in seiner Zeit als Trainer des FC Bayern München, und so ist es nun auch als Coach des US-Teams.

Dafür muss der Trainer immer wieder Kritik einstecken. Ein erklärter Gegner ist Eric Wynalda, 45, US-Fußballlegende und ehemaliger Bundesligaprofi (Saarbrücken, Bochum). Schon vor dem Turnier hatte der dreimalige WM-Teilnehmer den Deutschen angezählt. Er müsse entlassen werden, sollte er in Brasilien kein Spiel gewinnen. Nach dem Last-Second-Ausgleich gegen Portugal suchte Wynalda als Experte beim US-TV-Sender Fox Sports die Schuld bei Klinsmann, da dieser Mittelfeldspieler Michael Bradley nicht ausgewechselt habe. „Er hat das Spiel verloren“, sagte Wynalda. An Klinsmann prallt die Kritik ab. Für seine Ziele trifft er unpopuläre Entscheidungen. Bei der WM 2006 setzte er Welttorhüter Oliver Kahn auf die Bank, diesmal strich er Stürmer Landon Donovan aus dem Kader. Der Erfolg gibt ihm bislang recht.

Der Teamspirit: Aus einer Mannschaft mit schwierigen Charakteren hat Klinsmann eine Einheit geformt. Gegen die Individualisten aus Portugal drehten die US-Boys das Spiel durch eine beeindruckende Teamleistung. „One Nation, one Team“, lautet der Slogan der Nationalmannschaft. Klinsmann weiß um die Bedeutung des Zusammenhalts bei einem Turnier. Wie 2006, als das Team sein Quartier mitten in Berlin bezog, bereiteten sich die Amerikaner in einem Trainingszentrum in der Millionenstadt São Paulo vor.

Hervorzuheben ist zudem Klinsmanns Lobprinzip über die sozialen Medien. Über Facebook und Twitter gibt Klinsmann seinen Spielern positives Feedback: „Für sie ist ein öffentliches Lob vor ihren zigtausend Fans eine Art Ritterschlag“, sagt Klinsmann. So schafft es der Schwabe auch, das Land hinter die Mannschaft zu bringen. Selten zuvor sah man in Stadien so viele verrückte US-Fans. Auch Präsident Barack Obama wünschte vor dem ersten Spiel via Twitter viel Glück.

Die Physis: 116,9 sowie 110,3 Kilometer liefen die US-Spieler in ihren bisherigen Spielen insgesamt. Das waren beim 2:1 gegen Ghana sieben Kilometer mehr als ihr Gegner und beim 2:2 gegen Portugal vier Kilometer mehr. Vor allem in der Tropenhitze von Manaus war die Fitness der Amerikaner im zweiten Durchgang der Trumpf. Das Geheimnis der Physis heißt Mark Verstegen. Der Fitness-Experte bereitete schon die Deutschen auf die WM 2006 vor, wegen des Einsatzes der Gummibänder damals noch belächelt. Klinsmann sagt: „Mit Fitness allein wird niemand Weltmeister. Sie ist aber ein wesentlicher Bestandteil auf dem Weg zum Erfolg.“

Die Deutschamerikaner: Als Jürgen Klinsmann 2011 seinen Job beim US-Team antrat, wollte er den Fußball in Amerika grundlegend reformieren. Europäischer solle die USA spielen, so ließ er damals verlauten. Klinsmann suchte in den europäischen Ligen nach Profis mit US-Pass. Fündig wurde er auch in der Bundesliga, wo der damalige Schalker Jermaine Jones lediglich vier Testspiele für den DFB bestritten hatte und daher zum US-Verband wechseln durfte. Der Hoffenheimer Fabian Johnson erhielt ebenso eine Nominierung wie der Nürnberger Timothy Chandler, der Berliner John Anthony Brooks oder Bayerns Julian Green.

Vor allem Jones und Johnson sind nun die Eckpfeiler des Teams bei dieser WM. Rechtsverteidiger Johnson, der 2009 mit der deutschen U21 Europameister wurde und nach der WM zu Borussia Mönchengladbach wechselt, stößt immer wieder mit hohem Tempo nach vorn, während Jones die Lücken im Mittelfeld aufreißt, um Johnson mit Pässen hinter die Abwehr zu bedienen. Fast alle gefährlichen amerikanischen Angriffe liefen gegen Portugal über rechts. Den 1:1-Ausgleich markierte Jones mit einem platzierten Distanzschuss, vor dem 2:1 war es der 32-Jährige, der den öffnenden Pass auf den Flügel spielte. Ein glückliches Händchen hatte Klinsmann im Spiel gegen Ghana, als er den Herthaner Brooks in der Schlussphase einwechselte und der Innenverteidiger vier Minuten vor Schluss per Kopf zum 2:1-Sieg traf.

Der Faktor Vogts: Beim letzten deutschen Titelgewinn 1996 saß Berti Vogts als Trainer auf der Bank, Klinsmann führte die DFB-Elf bei der EM in England als Kapitän. Eine Symbiose mit Erfolg. Schon in den späten Siebzigern lernten sich Klinsmann und Vogts kennen und schätzen, als dieser die deutsche U16 trainierte und den jungen Schwaben ins Aufgebot berief. Später, im Sommer 2004, empfahl Vogts dem DFB Klinsmann für die Nachfolge von Bundestrainer Rudi Völler.

Für das Turnier in Brasilien heuerte US-Coach Klinsmann nun seinen Freund und Förderer als Berater an. Vogts, den Klinsmann als sein „Adlerauge“ bezeichnet, soll Taktiken, Spieler und Gegner beurteilen, wohnt mit im Teamhotel in São Paulo. „Mit seinem umfassenden Know-how hilft er mir in praktisch allen Bereichen, und er kennt jeden Gruppengegner im Detail“, sagt Klinsmann. Die hervorragende taktische Ausrichtung der US-Boys ist auch ein Verdienst von Vogts. Gut möglich, dass die beiden nun ihr eigenes Sommermärchen erleben.

USA: Howard – Johnson, Cameron, Besler, Beasley – Jones, Beckerman – Bedoya (72. Yedlin), Bradley, Zusi (90.+1 Gonzalez) – Dempsey (87. Wondolowski). Portugal: Beto – Joao Pereira, Ricardo Costa, Bruno Alves, Almeida (46. William Carvalho) – Joao Moutinho, Miguel Veloso, Raul Meireles (69. Varela) – Nani, Helder Postiga (16. Éder), Cristiano Ronaldo. Schiedsrichter: Pitana (Argentinien). Zuschauer: 40.123. Tore: 0:1 Nani (5.), 1:1 Jones (64.), 2:1 Dempsey (81.), 2:2 Varela (90.+5). Gelbe Karte: Jones.