Der deutsche Golfprofi Martin Kaymer beweist mit seinem Sieg bei den US Open, dass er keine Eintagsfliege ist

Pinehurst. Für große Siege, so könnte man meinen, braucht es Wunder. Spektakuläre Schläge unter Zweigen oder über Bäume hinweg im Stil eines Bubba Watson. Verwegene Loch-Attacken voller Risiko. Wilde Aufholjagden geprägt von Birdies und Eagles.

Martin Kaymer ist kein Typ für Wunder. All diese Aufreger sind nicht sein Ding. Stattdessen ist „Kontrolle“ eines jener Wörter, die er besonders gern benützt. Er analysiert die Lage, sein Spiel, die Anforderungen – seziert das große Ganze in seine Einzelteile und sucht eine Lösung. Am Sonntag hat ihm diese Herangehensweise den Sieg bei der US Open auf dem Platz Nummer zwei von Pinehurst in North Carolina verschafft.

Der Lohn für den Erfolg: 1,2 Millionen Euro und ein Pokal

Für so manch unbedarften Beobachter wirkt dieser Sieg, der mit knapp 1,2 Millionen Euro Preisgeld dotiert war, tatsächlich wie ein Wunder. Schließlich war der Düsseldorfer, der 2010 die US PGA Championship in Whistling Straits gewann und im Jahr 2011 die Weltrangliste anführte, in den Jahren 2012 und 2013 weitgehend erfolglos, hielt sich nur mit knapper Not unter den besten 50 des internationalen Profizirkus. Und nun dies: zuerst der Sieg bei der Players Championship im Mai in Florida, inoffiziell von vielen Profis als fünftes Major-Turnier der Saison gehandelt, jetzt der Erfolg bei der US Open.

Nie zuvor hat ein Kontinental-Europäer dieses Turnier gewonnen, ein Deutscher ohnehin nicht. Sein Ergebnis von neun unter Par mit acht Schlägen Vorsprung auf die geteilten Zweiten Erik Compton und Rickie Fowler bedeutet den vierthöchsten Sieg in der immerhin 114-jährigen Geschichte des Turniers. Die Auftaktrunde von 65 Schlägen am Donnerstag auf einem vom Regen aufgeweichten und deshalb deutlich leichter zu spielenden Platz war die beste, die ein Spieler jemals abgeliefert hat. Kaymer legte am Freitag dann noch einmal nach und wiederholte die 65. Er führte das Feld nach dem ersten Tag mit drei Schlägen an, mit sechs Schlägen nach dem zweiten, mit fünf nach dem dritten und baute seinen Vorsprung am Sonntag aus auf acht Zähler. 16 Birdies und ein Eagle waren Teil dieser viertägigen Serie, die so erstaunlich war, weil Pinehurst No. 2 kein Platz ist, dem man leicht ein Birdie entlockt. „Ich frage mich, wie er das gemacht hat“, wunderte sich am Sonntagabend Rory McIlroy. „Das ist extrem schwierig. Ich glaube, ich habe in der ganzen Woche nur neun Birdies gemacht – und ich sehe nicht, dass der Platz viel mehr hergibt.“

Das System Kaymer aber machte es möglich. Es setzte sich im Verlauf einer Woche zusammen aus einer Vielzahl von Details, die den Rheinländer am Ende zum überlegenen Spieler dieses Turniers machten. Da war der makellose Drive, der perfekte Eisenschlag ins Grün – kein Zweifel saß dem Deutschen beim Schwung im Nacken. Exakt ausgeführt sind die langen Schläge schon immer Kaymers große Stärke. Am Sonntag etwa schlug er am dritten Loch einen Drive über 270 Meter direkt aufs Grün des kurzen Par-vier-Lochs. Von da aus war das Birdie, mit dem er seinen Abstand auf den Verfolger Rickie Fowler auf sechs Schläge erhöhte, eine Pflichtveranstaltung.

Vor allem ließ er sich nicht ein in diesen Kampf der Gewalten mit einem US-Open-Platz, der in der Regel nur ein Opfer kennt – den Spieler. Nirgendwo sonst sind die Plätze härter, fällt die Bestrafung für schlechte Schläge größer aus als bei diesem Turnier. Da unterschied sich der Platz von Pinehurst mit seinen buckeligen, harten und extrem schnellen Grüns nicht von seinen Vorgängern der letzten Jahre. Die Herangehensweise des Deutschen an das Problemfeld Grüns war dabei untypisch, aber effektiv. Das Chippen, ohnehin der schwächste Teil seines Spiels, ersetzte der 29-Jährige vier Tage lang nahezu komplett durch lange Putts auch aus dem Grünumfeld – eine Taktik, die nur dann funktioniert, wenn ein Platz wie in Pinehurst fast wie an Schottlands Küsten ohne fettes und langes Gras rund um die Puttflächen präpariert ist.

Der zweite Majorsieg des 29-jährigen Martin Kaymer hat mit seinem ersten Erfolg aus dem Jahr 2010 wenig gemein. Damals kam der Erfolg nach einem Play-off gegen Bubba Watson völlig unerwartet daher. „Ich habe von mir überhaupt nicht erwartet, dass ich mit 25 Jahren ein Major gewinne“, erinnerte er sich am Sonntag. „Ich war selbst erstaunt über mich.“

Der Rummel um seine Person hat ihn lange überfordert. „Ich konnte mit vielen der Dinge, die in Deutschland passierten, nicht umgehen“, gab er zu. „Um ehrlich zu sein, das alles zu verkraften und gleichzeitig gutes Golf zu spielen war extrem schwierig.“

Der zweite große Sieg innerhalb von sechs Wochen hat die Diskussion darum, ob Kaymer derzeit der weltbeste Spieler ist, wieder in Gang gebracht. Schließlich hat vor ihm kein anderer Profi jemals die Players Championship und die US Open in einer Saison gewonnen. Fest steht, dass sich der Deutsche, dessen Leistung in Pinehurst durch einen zwölften Platz Marcel Siems und Rang 60 von Alex Cejka abgerundet wurden, in der Weltrangliste vorgearbeitet hat auf Position elf und seinen Platz in Europas Ryder-Cup-Team für den Kontinentalwettkampf gegen die USA im schottischen Gleneagles im September zu 99 Prozent sicher hat.

Eine Woche noch, dann wird Martin Kaymer im Rahmen der BMW International Open im Golf Club Gut Lärchenhof bei Köln wieder konfrontiert werden mit jenem Hype um seine Person. Diesmal, so sagt der 29-Jährige, werde alles anders: „Wenn ich nach Hause zu meinem nächsten Turnier in Köln komme, werde ich diesen Pokal bis zu meinem ersten Schlag am Donnerstagnachmittag bei mir tragen und noch mehr für den Golfsport werben als bisher. Ich empfinde es einfach nicht mehr als anstrengend.“

Die Strategie für die nächsten Wochen scheint klar: Die Kontrolle über sich und sein Spiel will er nicht noch einmal abgeben.