Deutsche Handballer verpassen nach 28:29-Niederlage gegen Polen auch die Weltmeisterschaft 2015 in Katar

Magdeburg. Am Tag danach zurück in Berlin fühlte sich Bob Hanning „immer noch genauso beschissen“ wie am Nachmittag zuvor in Magdeburg nach dem bitteren 28:29 (14:10) gegen Polen, das den deutschen Handballern nach der 24:25-Hinspielniederlage in Danzig die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im Januar 2015 in Katar kostete. „Es tut auch heute noch sehr, sehr weh. Wir waren alle felsenfest davon überzeugt, dass wir es schaffen, weil wir in der Vorbereitung alles dafür getan hatten“, klagte der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB).

Nach Olympia 2012 in London und der EM im Januar dieses Jahres in Dänemark haben die deutschen Handballer das dritte bedeutende Turnier in drei Jahren verpasst. Mit zwei Toren Vorsprung hätten sie das WM-Qualifikationsrückspiel gewinnen müssen, um das Ticket in die Wüste zu lösen, und noch dreieinhalb Minuten vor Schluss lebte bei einer 27:25-Führung und numerischer Überzahl auf dem Feld diese Hoffnung. Doch dann war Karol Bielecki im Rückraum wieder einmal so frei, um vor 1,27 Millionen Zuschauern im ZDF (11,7 Prozent Marktanteil) die Polen und ihren deutschen Trainer Michael Biegler mit seinen Toren sechs und sieben nach Katar zu schießen.

Die Folgen dieser Treffer sind nicht abzusehen. „Wir werden eine Durststrecke erleben und hoffen, dass wir diese schnell überwinden. Katastrophenszenarien sind derzeit nicht angebracht. Diese Situation trifft uns nicht unvorbereitet“, sagte Verbandspräsident Bernhard Bauer. Kein Sponsorenvertrag des DHB hinge an der WM-Teilnahme, ein Werbefeldzug, um neue Partner zu interessieren, räumte Hanning ein, seien die Spiele gegen Polen auch nicht gewesen. Dass sich die deutschen Frauen in Magdeburg mit einem 31:16-Sieg gegen Mazedonien als Tabellenerster ihrer Qualifikationsgruppe zur EM im Dezember nach Ungarn und Kroatien geworfen hatten, verschönerte den Gesamteindruck marginal. Den Marktwert des deutschen Handballs bestimmt fast ausschließlich die Männernationalmannschaft.

Über die Konsequenzen des Scheiterns berät das Verbandspräsidium am Dienstag, am Mittwoch bitten Bauer und Hanning Bundestrainer Martin Heuberger, 50, zum Gespräch. Dass dessen am 30. Juni auslaufender Vertrag nicht verlängert wird, steht intern fest. Heuberger, eine integre Persönlichkeit, ein akribischer Arbeiter wie anerkannter Fachmann, hat zwar nicht die strukturellen Probleme des deutschen Handballs zu verantworten, dass etwa die Bundesligavereine lieber auf gestandene Ausländer als auf deutsche Talente setzen. Dass die Nationalmannschaft gegen Polen erneut unter ihren Möglichkeiten blieb, schon. In Danzig und Magdeburg reichte ein zwischenzeitlicher Fünftorevorsprung – im Rückspiel stand es nach 25 Minuten 12:7 – nicht zum Erfolg. In beiden Spielen brach das Team nach taktischen Umstellungen des Gegners in der zweiten Hälfte ein.

HSV-Profi Bitter stand in beiden Spielen nur bei drei Siebenmetern im Tor

„Die Mannschaft hatte eine maximale Fokussierung auf den Erfolg – mehr geht nicht. Wir haben aber nicht die PS, die wir hatten, maximal auf die Straße gekriegt“, kritisierte Hanning Heubergers Coaching. Unverständlich blieb in Magdeburg zum Beispiel, warum Heuberger Mitte der zweiten Halbzeit auf einen Torwartwechsel verzichtete. Den Berliner Silvio Heinevetter hatte nach starken 30 Minuten das Glück verlassen, er parierte in dieser Phase kaum einen Wurf, der Hamburger Johannes Bitter durfte dennoch nur zu einem Siebenmeter aufs Feld. Bitters Comeback beschränkte sich in Danzig und Magdeburg damit auf den Einsatz bei drei Strafwürfen, keinen hielt er.

Für diese Kurzauftritte hätte man ihn nicht zur Rückkehr in die Nationalmannschaft überreden müssen. „Wir haben die Lösungen gehabt, die Vorbereitung war super. Wir haben es aber nicht verstanden, unseren Vorsprung auszubauen“, gab sich der Weltmeister von 2007 diplomatisch, der noch lange Autogramme schrieb, als alle anderen schon stumm in der Kabine saßen.

Wer Heubergers Nachfolger wird, steht nicht fest. Hanning, für die Trainersuche verantwortlich, gab zu, sich bereits vor den Polenspielen Gedanken gemacht zu haben. Das sei nur professionell, sagt er. Der Kreis der Kandidaten scheint klein: Christian Schwarzer, 44, Jugendkoordinator beim DHB, Junioren-Nationaltrainer Markus Baur, 43, HSV-Coach Martin Schwalb, 51, Berlins Dagur Sigurdsson, 41, oder Flensburgs Ljubomir Vranjes, 40. Das Anforderungsprofil ist klar: Der von Heuberger eingeleitete Umbruchsprozess muss fortgesetzt, weitere Talente wie die Berliner Paul Drux, 19, und Fabian Wiede, 20, sowie der Lemgoer Finn Lemke, 22, müssen in die Nationalmannschaft integriert werden. Viel Zeit bleibt nicht. Im Oktober beginnen die Qualifikationsspiele für die EM 2016 in Polen. Finnland, Österreich und Weltmeister Spanien sind die Gruppengegner. Die ersten beiden kommen weiter.

Trotz des erneuten Rückschlags und des anstehenden Rücktritts des Flensburger Weltklasse-Halbrechten Holger Glandorf, 31, mit sieben Toren bester deutscher Schütze in Magdeburg, hat Hanning sein Ziel nicht aus den Augen verloren: Gold bei Olympia 2020 in Tokio. „Das wird jetzt nicht einfacher“, weiß er. Weil der deutsche Handball für die internationale Vermarktung weiter einen hohen Stellenwert hat, darf er auf Unterstützung hoffen. Der Weltverband stellte den Deutschen eine Wildcard für die Qualifikation zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio in Aussicht. Spätestens dann muss das Team liefern, soll die Sportart hierzulande eine Zukunft haben.