Der 25 Jahre alte Vielseitigkeitsreiter Benjamin Winter starb in Luhmühlen nach einem Sturz beim Geländeritt

Luhmühlen. Die Minute des Schweigens. Diese bedrückende Stille, die am Sonntagmorgen auf dem Turniergelände in Luhmühlen lastet, vielleicht war sie der intensivste Ausdruck der Trauer über den Tod von Benjamin Winter. Am Tage zuvor, beim Geländeritt in der großen Vier-Sterne-Prüfung, war der 25-Jährige mit seinem Pferd Ispo so unglücklich gestürzt, das er später im Unfallkrankenhaus Boberg seinen schweren Kopfverletzungen erlag.

Trotzdem war das Turnier, das weltweit bedeutendste im deutschen Vielseitigkeitssports, am Sonntag fortgesetzt und mit dem abschließenden Springen entschieden worden. Der Neuseeländer Tim Price auf Wesko siegte vor Doppel-Olympiasieger Micheal Jung (Horb), der sein Nachwuchspferd Rocana gesattelt hatte.

Die Entscheidung, in Luhmühlen weiter zu reiten, mögen viele mit Verständnislosigkeit registriert haben. Aber es waren die Reiter, die den Entschluss am Abend einstimmig fassten. Er entsprach auch dem Wunsch von Sybille Winter, der Mutter des 25-Jährigen, der als Mitglied des Perspektivkaders in Warendorf zu den großen Hoffnungen der deutschen Vielseitigkeit gehörte. „Bennys größte Sorge wäre gewesen“, ließ sie noch aus dem Krankenhaus wissen, „dass durch seinen Unfall in der Öffentlichkeit schlecht über seinen Sport geredet würde. Den hat er über alles geliebt, und es wäre sein Wunsch, dass ihr weiter macht.“

Peter Thomsen, der zweifache Mannschafts-Olympiasieger hatte bei der Drei-Sterne-Prüfung im Kampf um die deutsche Meisterschaft, die dann abgebrochen wurde, schon im Sattel gesessen, als er von Benjamin Winters Tod erfuhr. „Am liebsten wäre ich sofort abgestiegen“, sagt er und muss sich räuspern und über die Augen wischen. „Aber ich kenne Benny seit so vielen Jahren. Deshalb habe ich entschieden, du wirst jetzt für ihn da raus ins Gelände reiten.“ Man muss diese Haltung der Reiter verstehen und akzeptieren, bevor man urteilt und verurteilt.

Auch das ZDF, das am Sonnabend den tragischen Unfall mit der Kamera festhielt, übertrug am Sonntag die Entscheidung im Springparcours. „Aber die Bilder vom tödlichen Sturz“, ließ Moderatorin Kristin Otto die Zuschauer wissen, „werden wir nicht wiederholen.“

Geschehen war das Drama bei der schwersten, der Vier-Sterne-Prüfung am Sprung 20 im Gelände. Zuvor hatte Benjamin Winter mit Wild Thing, seinem erfahrensten Pferd, den 6500 Meter langen Kurs mit 29 festen Hindernissen und 45 Sprüngen gekonnt bewältigt. Jetzt, mit dem zehnjährigen Ispo war er, wie Experten hinterher analysierten, den mächtigen Oxer (Hochweitsprung) zu schnell angeritten. Er wurde aus dem Sattel geschleudert, landete mit dem Gesicht auf dem Boden und überschlug sich. „Die Art des Sturzes war fatal“, fasste Annette Lorey-Tewes, leitende Notärztin bei dieser Großveranstaltung mit fast 30.000 Besuchern, bei der Pressekonferenz zusammen. „Der Reiter hat sich schwere innere Kopfverletzungen und wohl eine Fraktur der Halswirbelsäule zugezogen. Die Geschwindigkeit und die Höhe des Hindernisses waren meines Erachtens nicht ausschlaggebend dafür.“

Auch ein Pferd kam in Luhmühlen nach einem Aorta-Abriss ums Leben

Der Engländer David O`Connor, als Sicherheitsberater des Weltverbandes FEI in Luhmühlen dabei, ließ nach Winters Todessturz die Öffentlichkeit wissen: „Es war ein schrecklicher tragischer Unfall, doch wir können unseren Sport nicht sicherer machen als das Leben selbst.“ Ob O´Connor da schon wusste, das am selben Tag bei einem Geländeritt im englischen Leicastershire der Kanadier Jordan McDonald ebenfalls tödlich verunglückte?

Wenn ein Sportler bei einem dieser schnellen Ritte im Gelände mit gewaltigen Sprüngen über feste Hindernisse sein Leben verliert, wird am heftigsten und lautesten kritisiert, die Anforderungen an Pferd und Reiter seien wegen des Spektakels verantwortungslos in die Höhe geschraubt. Ein Sprung über feste Hindernisse ist natürlich risikoreicher und gefährlicher. Die abweisende Reaktion, vor allem von Menschen, die sich nie auf ein Pferd wagen würden, ist deshalb verständlich. Diesmal allerdings hat dieser Vorwurf eine Schwachstelle. Im vergangenen Jahr war bei dem Geländeritt in Luhmühlen ein Pferd so gestürzt, dass es eingeschläfert werden musste. Das hatte Empörung ausgelöst. Am schärfsten angegriffen wurde damals der Engländer Mark Phillips, 65, seit 2005 für den Geländekurs in Luhmühlen verantwortlich. „Der Strecke war dieses Mal leichter als in den vergangenen Jahren“, bekräftigte er, „das haben mir viele Reiter bestätigt. Und das Hindernis 20 wird seit sechs Jahren gesprungen. Aber wir hatten sechs Stürze. Einer ist schon zu viel. Ich bin sehr traurig, aber auch ratlos.“

Die Australierin Lucinda Fredericks, die nach der Dressur in der mit 100.000 Euro dotierten Vier-Sterne-Prüfung führte, zog sich bei ihrem Fall nur Prellungen zu. Die Engländerin Georgie Spence bracht sich ein Schlüsselbein. Dann war da auch noch Tom Crisp, der Reiter und Feuerwehrmann aus England, dessen Pferd Liberal nach einem Sprung sterbend zusammenbrach. „Ein Abriss der Aorta“, diagnostizierte Tierarzt Olaf Neuberg. „Das ist eine Schwachstelle bei manchen Pferden, die wir leider bei einer Untersuchung nicht feststellen können. So etwas kann selbst auf der Weide passieren.“