Der Formel-1-Weltmeister wird in Shanghai nur Fünfter. Erneut Mercedes-Doppelsieg

Shanghai. Im Osten nichts Neues. Mercedes feierte beim Großen Preis von China in Shanghai den vierten Sieg im vierten Formel-1-Rennen der Saison, Lewis Hamilton und Nico Rosberg fuhren bereits den dritten Doppelerfolg hintereinander heraus. Während das Titelrennen sich auf einen Zweikampf der Teamkollegen Rosberg (79 Punkte) und Hamilton (75) zuspitzt, war vom Titelverteidiger bis auf einen perfekten Start, als er sich für ein paar Kilometer als Zweiter hinter Hamilton einfädelte, kaum etwas zu sehen. Sebastian Vettel, der dominierende Fahrer der vergangenen Jahre, musste als Fünfter erneut eine demütigende Niederlage hinnehmen. „Ich komme im Moment mit dem Bock noch nicht klar“, schimpfte Vettel über seine „Suzie“, den Red Bull RB10. Fast eine Minute fehlte im Ziel auf den überlegenen Hamilton, der in der Schlussphase noch nicht einmal am Limit fuhr. Hätte nicht ein übereifriger Chinese die Zielflagge eine Runde zu früh geschwenkt, wäre der Rückstand noch größer geworden.

Der Weltmeister hat offensichtlich ein Problem mit den Autos der neuen Generation. Die Turbotriebwerke, den komplexen Antriebsstrang mit gleich zwei Elektromotoren und den Benzinsparmodus hat Vettel noch nicht verinnerlicht. Plötzlich fährt der Champion nur noch hinterher und – noch schlimmer – wird sogar von seinem neuen Teamkollegen Daniel Ricciardo vorgeführt. Der 24 Jahre alte Australier nutzt die Chance, den ein Jahr älteren Platzhirsch im Bullenstall zu ärgern. Vettel verlor drei von vier Trainingsduellen und sieht auch im Rennen gegen seinen Herausforderer nicht gut aus. Ricciardos Vorgänger Mark Webber hatte sich im letzten Red-Bull-Jahr nicht mehr gegen Vettel gewehrt.

Aber steckt der viermalige Champion wirklich in einer Krise? „Er ist sehr verwöhnt aus der Vergangenheit“, sagt RTL-Experte und Mercedes-Funktionsträger Niki Lauda, der in der Vergangenheit des Öfteren aus Respekt vor Vettel das Kapperl gezogen hat. Das Fachmagazin „Auto Motor und Sport“ benotete Vettel in Shanghai nur mit fünf von zehn möglichen Punkten, schlechter waren überhaupt nur fünf von 22 Fahrern. Ricciardo erhielt acht, Tagessieger Hamilton und der Spanier Fernando Alonso, der Ferrari mit einem dritten Platz neue Hoffnung gab, die Höchstnote von zehn Punkten.

Vettel steht vor einer entscheidenden Saison. Kann er, wie viele Kritiker mutmaßen, nur mit einem technisch überlegenen Auto als Gewinner ins Ziel fahren? Oder schafft er es, aus dem Red Bull doch noch ein Siegerauto zu machen? Dann wäre er wirklich einer der ganz Großen seiner Zunft. „Generell kann man das Fahren nicht verlernen“, glaubt Vettel, der sich zudem gegen die alte Formel-1-Weisheit wehren muss, nach der die Geburt eines Kindes jeden rennfahrenden Vater um ein paar Zehntelsekunden langsamer macht. Im Januar kam Vettels Tochter zur Welt.

In der 25. Runde des Rennens in Shanghai dokumentierte ein Funkspruch vom Red-Bull-Kommandostand die Hierarchie im Weltmeisterteam. „Let Daniel pass, please“, so die Ansage, „Lass Daniel vorbei, bitte“. Der 39-malige Grand-Prix-Sieger sollte den australischen Nobody, der noch nie ein Formel-1-Rennen gewonnen hat, kampflos passieren lassen. Vor einem Jahr hatte Vettel noch einen Boxenbefehl ignoriert und Mark Webber gegen die Stallregie überholt. Auch diesmal wollte er sich zunächst nicht beugen und hinterfragte die Anweisung, worauf sein Team die Information nachreichte, Ricciardo habe die frischeren Reifen an seinem Auto. Schließlich gab der Heppenheimer nach. „Ich musste einsehen, dass es wenig Sinn machte, dagegenzuhalten“, sagte Vettel, der auch eine seiner Stärken, den schonenden Umgang mit den empfindlichen Pirelli-Reifen, eingebüßt zu haben scheint.

„Das Teamduell beurteilen wir derzeit nicht“, sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko, ein väterlicher Freund und Bewunderer Vettels, der sich derzeit aber zur Neutralität verpflichtet sieht. Teamchef Christian Horner analysierte nüchtern: „Daniel kommt mit dem Auto besser klar, er hat einen super Job gemacht.“ Der Sport-Informationsdienst spricht bereits von einer „Reifeprüfung“ des Titelverteidigers. Vettel weiß, dass eine Menge Arbeit auf ihn wartet. „Es wird kein Spaziergang“, sagt er. „Ich bin nicht da, wo ich sein will. Aber das Jahr ist noch lang, alles ist möglich.“ Wenn Red Bull und besonders Motorhersteller Renault ihm wieder ein siegfähiges Auto hinstellen, soll das heißen, dann wird er auch wieder um den Sieg mitfahren. Derzeit versteht er seinen Rennwagen nicht: „Wir machen einen Schritt vorwärts und wieder einen Schritt zurück. Das Auto hat ein unfassbar hohes Potenzial, und wir müssen einfach noch härter daran arbeiten.“

Aber Vettel erkennt die Leistungen seines jungen Teamkollegen an: „Daniel holt derzeit einfach mehr aus dem Auto heraus.“ Vettel liegt in der Gesamtwertung nur deshalb noch um neun Punkte vor Ricciardo, weil dem Australier der zweite Platz beim Saisonstart wegen eines umstrittenen Regelverstoßes aberkannt wurde. „Sebastian wird hart daran arbeiten, die Probleme abzustellen“, sagte Ricciardo in Shanghai. Aber er versprach: „Ich werde mit Sicherheit auch nicht nachlassen.“ Gefordert ist in erster Linie Vettel.