Die Füchse krönen ihre Jugendarbeit mit dem erstmaligen Gewinn des DHB-Pokals

Hamburg. In der Halbzeit hatte Dagur Sigurdsson eine Frage: „In welcher Kabine wärt ihr jetzt lieber: in dieser oder in der da drüben?“ Vor dem Trainer saßen die Handballer der Füchse Berlin, und sie schienen nicht recht zu wissen, wie sie das Zwischenergebnis von 11:11 zu interpretieren hatten. Erst der Gedanke daran, dass ein paar Meter weiter in der Hamburger O2 World die Spieler der SG Flensburg-Handewitt sich gerade fragen mussten, warum sie eine 7:2-Führung hergegeben hatten, warum ihnen in den vergangenen 15 Minuten nur drei Tore gelungen waren und überhaupt was passieren würde, wenn sie gegen diese Außenseiter aus Berlin den Pokalsieg noch aus der Hand gäben: Dieser Gedanke also habe sie an den Sieg glauben lassen, erzählte Silvio Heinevetter später, nachdem er sich erfolgreich aus der Umarmung des Füchse-Präsidenten und CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Steffel gewunden hatte: „Jeder, der das Spiel gesehen hat, weiß ja, dass es eine Sensation ist.“

Der Nationalspieler selbst hatte sie möglich gemacht, indem er 75 Sekunden vor dem Ende mit seiner 15. und letzten wahnsinnigen Parade den 22:22-Ausgleich durch Holger Glandorf verhinderte. „Seine Leistung im gesamten Finalturnier hat den Ausschlag gegeben“, sagte Manager Bob Hanning später. Den Rest erledigte der scheidende Kapitän Iker Romero, indem er die verbleibende Zeit so geschickt verstreichen ließ, wie es wohl nur Spanier zu tun verstehen. Anschließend tat Romero, was er mindestens genauso gut kann: Er orchestrierte den Berliner Jubel.

„Dieser erste Titel der Vereinsgeschichte bedeutet uns unendlich viel“, sagte Hanning. Genau zehn Jahre zuvor war er, damals noch als Trainer, im Pokalfinale gegen ebenjene Flensburger am Versuch gescheitert, den ersten Titel für den HSV Hamburg zu gewinnen. Am Sonntag schließlich genoss er den Lohn des Aufbauprogramms Ost, das er und Sigurdsson in der Hauptstadt aufgezogen haben. Deren Wesenszug ist, Spieler aus der eigenen Jugend systematisch an die Bundesliga heranzuführen.

Als diese jungen Füchse Ende März im Punktspiel beim HSV mit 32:39 untergingen, hatte Hamburgs Präsident Andreas Rudolph die Berliner Aufstellung noch als „Wettbewerbsverzerrung“ gegeißelt. Am Wochenende nun und namentlich beim 30:28-Halbfinalsieg gegen Melsungen waren es Spieler wie Colja Löffler, Fabian Wiede, Jonas Thümmler und vor allem Paul Drux, die den 12.850 Zuschauern den Glauben an eine gute Zukunft des deutschen Handballs zurückgaben. Im Mai können die Füchse ihre Saison noch zu einer legendären machen, wenn sie sich bei der Endrunde des EHF-Pokals in eigener Halle durchsetzen.

Den Flensburgern bleibt eine vage Hoffnung auf die Meisterschaft. Dass sie den vierten Pokalsieg verpassten und zum vierten Mal hintereinander im Finale unterlegen waren, daran gab Geschäftsführer Dierk Schmäschke auch den Schiedsrichtern die Schuld. Tatsächlich meinten es die Magdeburger Robert Schulze und Tobias Thönnies in der Schlussphase gut mit den Berlinern. An Hanning aber schien die Diskussion abzuperlen: „Wer ist Dierk Schmäschke?“ Dass der einst einst sein Geschäftsführer beim HSV war, hat Hanning offenbar erfolgreich verdrängt.

Bundesliga-Geschäftsführer Frank Bohmann versprach immerhin, man werde die Ausbildung der Schiedsrichter weiter verbessern: „Das Spiel hat sich weiterentwickelt, die Leistung der Unparteiischen muss damit Schritt halten.“ Ansonsten aber sei auch dieses 22. Final Four, das 21. in Hamburg, wieder eine „Topveranstaltung“ gewesen. Und auch wenn die Rhein-Neckar Löwen bei ihrer 26:30-Halbfinalniederlage gegen Flensburg unter ihren Möglichkeiten geblieben waren, habe man in allen drei Spielen „hervorragenden Sport“ geboten bekommen.

Ein bisschen Eigenlob darf schon sein, schließlich ist die Konkurrenz auch nicht zimperlich, wenn es darum geht, Superlative zu bemühen. Der Europaverband veranstaltet in diesem Jahr gleich zwei pompöse Endrunden in Deutschland: die der Champions League in Köln (31. Mai/1. Juni) und besagte um den EHF-Pokal in der Hauptstadt (17./18. Mai). Bohmann fürchtet eine Übersättigung. Es sei verständlich, dass die EHF dieses Format gewählt habe und damit in den funktionierenden deutschen Markt dränge: „Aber ein Verband hat auch die Aufgabe, den Sport weiterzuentwickeln und andere Märkte zu erschließen.“