Tobias Kamke über die Chancen im Daviscup gegen Frankreich und das Fehlverhalten von Topspielern

Hamburg. Seine Daviscup-Erfahrung ist überschaubar. Ein Einzel und ein Doppel hat Tobias Kamke bei der 0:5-Erstrundenpleite in Argentinien im Februar 2013 bestritten. Dass der 27 Jahre alte Hamburger trotzdem das deutsche Team im Viertelfinale in Frankreich an diesem Wochenende anführen darf, hat einen einfachen Grund. Mit Tommy Haas (Schulter), Philipp Kohlschreiber (Ellenbogen), Florian Mayer (Schambeinentzündung) und Daniel Brands (Pfeiffersches Drüsenfieber) fehlen vier potenzielle Stammkräfte, und Kamkes Teamkollegen Jan-Lennard Struff (Warstein), Peter Gojowczyk (München) und André Begemann (Lemgo) sind allesamt Daviscup-Debütanten. Der Weltranglisten-92. hat dennoch keine Angst vor einer Blamage.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kamke, wie fühlt man sich als Anführer einer „Mission Impossible“?

Tobias Kamke:

Ich sehe mich überhaupt nicht in dieser Rolle. Erstens bin ich kein Anführer, sondern eins von vier Teammitgliedern. Und eine unmögliche Mission ist das Spiel auch nicht. Natürlich ist Frankreich Favorit, das wären sie auch gegen unsere besten Spieler gewesen und sind es jetzt noch mehr. Aber wir haben doch nichts zu verlieren, und darin liegt eine Riesenchance. Niemand erwartet etwas von uns. Warum soll uns nicht schon am Freitag eine Überraschung gelingen?

Weil Sie der einzige Spieler mit Daviscup-Erfahrung sind und weil alle Ihre Teamkollegen nicht einmal unter den besten 100 der Welt stehen.

Kamke:

Aber dafür sind wir alle total heiß darauf, uns zu zeigen und die Franzosen zu ärgern. Die werden vielleicht denken, dass das Spiel jetzt ein Selbstgänger wird. Das ist gut für uns, denn der Fokus wird total auf den Franzosen liegen. Wir haben keinen Druck, können befreit aufspielen und wissen, was uns erwartet. Wenn wir auf dem Platz stehen, zählt die Außenseiterrolle nichts mehr. Dann will jeder gewinnen, und ich kann versprechen, dass wir alles geben werden. Ich glaube fest an unsere Chance.

Wie haben Sie reagiert, als Teamchef Carsten Arriens Ihnen mitgeteilt hat, dass Sie sein neuer Spitzenspieler sind?

Kamke:

Ehrlich gesagt hat er mir das gar nicht explizit mitgeteilt. Wir hatten beim Masters in Miami in der vorvergangenen Woche mehrfach darüber geredet, dass es sein könnte, dass ich spiele, weil Tommy und ein weiterer Topspieler ausfallen könnten. Dann hat sich die Nominierung etwas verzögert, weil Flo und Kohli beide nicht genau sagen konnten, ob sie fit werden. Am vergangenen Dienstag hat Carsten mir dann geschrieben, dass er mich nominieren wolle, ich sollte das rückbestätigen. Das habe ich sofort getan. Dann habe ich aus dem Internet erfahren, dass weder Tommy noch Flo oder Kohli und auch Daniel nicht spielen würden. Das war eine ziemliche Überraschung. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ich dabei bin.

Zumal Sie in den vergangenen Wochen nicht gerade mit tollen Ergebnissen geglänzt haben. Sie arbeiten seit Jahresbeginn mit Sascha Nensel als neuem Trainer. Warum läuft es noch nicht rund?

Kamke:

Sascha wollte gern zwei, drei Dinge verändern. Er hat meinen Aufschlag umgestellt, außerdem auch meine Taktik verändert, ich soll viel aggressiver spielen. Wir sind immer noch in der Umbruchphase, da kann man nicht erwarten, dass es innerhalb weniger Wochen funktioniert. Ich brauche Geduld, muss auch mal schwächere Ergebnisse in Kauf nehmen. Ich glaube an Saschas Idee und merke, dass es von Match zu Match besser wird. Körperlich bin ich in Topform, und ich hoffe, dass ich den Daviscup nutzen kann, um einen großen Schritt zu machen.

Ist die neue Rolle, die Sie im Daviscupteam spielen, angesichts der momentanen persönlichen Situation für Sie Druck oder Ansporn?

Kamke:

Für mich zählt erst einmal, überhaupt dabei zu sein. Aber wenn ich tatsächlich zwei Einzel und auch das Doppel spielen sollte, ist das natürlich eine Riesensache, ich gehe sicherlich anders in diese Trainingswoche hinein. Daviscup hat für mich immer Priorität, ich würde jedes Turnier dafür absagen. Dennoch, wie schon gesagt, als Anführer sehe ich mich nicht.

Sie sind aber der einzige Spieler, der schon für Deutschland gespielt hat. Können Sie den anderen überhaupt helfen, oder bräuchten Sie eher selbst noch Anleitung?

Kamke:

Ich kann selbstverständlich nicht behaupten, dass ich ein erfahrener Daviscupspieler bin. Meine Anspannung wird sicherlich nicht mehr so hoch sein wie beim Debüt, Aufregung ist aber natürlich da. Aber ich mache mir darüber keinen Kopf. Wir haben mit Carsten und Michael Kohlmann zwei erfahrene Coaches, die uns helfen werden. Und alle, die nominiert sind, sind ja keine Neulinge, die haben alle jahrelange Erfahrung auf der ATP-Tour. Wir kennen uns untereinander sehr gut, haben eine großartige Energie entwickelt. Und was das Beste ist: Es gibt keine Unstimmigkeiten, keine unnötigen Baustellen, die in der Vergangenheit das Team ab und an belastet haben. Jeder hier wird im Sinne des Teams alles geben.

Das war tatsächlich nicht immer so, zuletzt beim 4:1-Sieg gegen Spanien in Frankfurt am Main Anfang Februar, als keiner der drei Topspieler Haas, Mayer und Kohlschreiber bereit war, zum bedeutungslosen dritten Einzel anzutreten, was in Fanproteste mündete und den tollen Sieg überschattete. Wie haben Sie diesen Eklat empfunden?

Kamke:

Ich habe das alles nur aus der Ferne betrachtet, kann deshalb zu Einzelheiten nichts sagen. Aber es ist bekannt, dass solche Matches, in denen es um nichts mehr geht, nicht besonders beliebt sind bei den Topspielern. Ich hatte mich schon am Sonnabend nach dem Doppel gefragt, wer das Match bestreiten würde. Ausgemacht war, dass Kohli spielt, weil Flo schwer verletzt war und Tommy wegen seiner Schulterprobleme kein Einzel spielen wollte. Aber als ich hörte, dass niemand bereit war, da war ich doch sehr traurig. Damit haben sich die Jungs das zerstört, was sie sich zuvor grandios aufgebaut hatten. Es war eine unnötige Aktion.

Wie hätte man das besser regeln können?

Kamke:

Fakt ist, dass die Fans ein Anrecht darauf haben, zwei Abschlusseinzel zu sehen. Deshalb hat sich einfach jemand hinzustellen und zu spielen. Das muss man professionell abarbeiten und nicht das Team im Stich lassen. Man hätte das vorher mit dem Gegner besprechen und den Fans sagen sollen, nach dem Motto: Wir sind alle drei verletzt, aber einer von uns geht jetzt raus und spielt so lange, wie es geht. Und wenn man dann aufgibt, ist niemand sauer. Aber so war es sehr unglücklich. Vor allem tat mir Carsten leid, der das Ganze verkünden musste, und Daniel, der sein Einzel gespielt und trotzdem die Wut der Fans abbekommen hat.

Glauben Sie, dass die Verweigerungshaltung der drei Topspieler und deren Absage für die aktuelle Partie den Umbruch im Team, den einige Experten schon länger fordern, beschleunigen wird?

Kamke:

Das kann man das erst nach diesem Wochenende beurteilen. Einen totalen Umbruch bezweifle ich, denn wenn Flo und Kohli fit sind, werden sie immer eine Option sein. Aber wenn wir uns in Frankreich gut verkaufen, dann denke ich schon, dass es den Verantwortlichen leichter fiele, dauerhaft auf ein jüngeres Team zu setzen. Wir werden jedenfalls alles dafür tun.