Die Flutlichtmasten sind schon abmontiert – bis 2015 wird von der historischen Spielstätte des SC Concordia nichts mehr übrig sein. Trauer bei Vorstandsmitgliedern.

Hamburg. Als die Bagger anrollen, wird Concordias Vorstandsmitglied Holger Jachtner wehmütig. Die Flutlichtmasten des Stadions Marienthal werden abmontiert. Jachtner drückt die Tränen weg. Ende 2015 wird nichts mehr von der Spielstätte des Traditionsclubs übrig sein. Keine mit Graffiti beschmierte Tribüne, kein meterhoch wild wuchernder Rasen, keine brüchige Stehtraverse. Es geht mehr dahin als „nur“ ein idyllisches Stadion im Wandsbeker Gehölz. Es verschwindet ein Stück Fußballgeschichte. Jachtner fühlt es. „Werner Platthoff“, sagt er dann, „weiß alles über das Stadion.“

Platthoff ist der Vereinsarchivar. Bereits als kleiner Junge ging er zu den Spielen. Er sammelt alle Veröffentlichungen über seinen Verein, der bis zur Fusion mit dem TSV Wandsbek-Jenfeld Anfang 2013 SC Concordia hieß. Platthoff sitzt im alten Clubheim am Osterkamp und erzählt von Erich Rodig. 1922 erwarb der Verein das Gelände eines Sonnenbades und baute innerhalb von zwei Jahren dank vieler Helfer und einer Spendenaktion das Stadion. „Wandsbeks Oberbürgermeister Rodig hat mächtig für das Eröffnungsspiel am 14. September 1924 gegen den HSV geworben“, sagt Platthoff. Die meisten Fans waren entzückt, nicht aber von dem Geschehen: Der HSV siegte 16:1.

Bald jedoch hatte der SC Concordia andere Sorgen als Fußballergebnisse. Viele Spieler mussten im Zweiten Weltkrieg an die Front. 1943 wurde der Spielbetrieb eingestellt. Kurz nach der Wiederaufnahme im September 1945 (11:0 gegen Union Altona) beschlagnahmte die britische Besatzungsmacht das Gelände für militärische Zwecke. „Das Stadion war sechs Jahre kaum nutzbar. Cordi musste sich Asyl suchen, spielte am Rothenbaum, am Millerntor und bei Victoria“, erklärt Platthoff. Dort bejubelten im Schnitt 14.000 Fans erstklassigen Fußball. Der Verein hatte sich 1947 für die Oberliga Nord qualifiziert.

Dort hielt sich Cordi – mit Ausnahme der Jahre 1953 bis 1956 – bis 1963. Das Stadion wurde bis 1952 auf ein Fassungsvermögen von 12.000 Zuschauern ausgebaut. „Bis wenige Stunden vor dem Anpfiff des DFB-Pokalspiels gegen Borussia Dortmund am 17. August 1952 dauerten die Arbeiten unter dem Licht von Pkw-Scheinwerfern an“, sagt Platthoff. Es sollte das große Spiel von Günter Woitas werden. Der heute 87-Jährige erinnert sich: „Vor 6000 Zuschauern machte Adi Preißler in der 88. Minute das 3:3. Ich sah die Dortmunder feiern und sagte zu einem Mitspieler: Wir spielen uns sofort durch und schießen das 4:3.“ Es klappte. Woitas traf im Gegenzug. Die Sensation war perfekt.

Nach dem Wiederaufstieg 1956 wollte sich Präsident Jo Müller-Steger als Visionär betätigen. Als erster Hamburger Verein kaufte Cordi für sein Stadion ein Flutlicht. 29 Meter hohe Masten mit 96 Scheinwerfern, 130.000 D-Mark teuer. Die Aktion wurde ein finanzieller Flop, auch die Verkehrsanbindung verschlechterte sich. Die Schulden stiegen auf 250.000 Euro. Nun ging es sportlich bergab. Nach dem Abstieg 1963 spielte Cordi nie wieder erstklassig. Heute kickt die Ligamannschaft in der sechstklassigen Landesliga Hansa. Die Faszination Marienthal blieb dennoch lange erhalten. Der Schauspieler Ulrich Wildgruber übte während der Partie gegen den SC Norderstedt am 22. April 1988 (1:1) hinter dem Tor auf der Kabinenseite seine Rolle als „Hamlet“ am Hamburger Schauspielhaus. „Er fand, dies sei der schönste Ort dafür“, sagt Platthoff lächelnd. „Ein Königreich für einen Torschützen“, rief Wildgruber bei einer vergebenen Torchance aus.

Sogar für die jüngere Spielergeneration blieb das Stadion von Bedeutung, obwohl es verfiel. „Es war ein wunderbares Stadion mit Flair. Auch deshalb bin ich 2005 dorthin gewechselt“, sagt Steffen Harms, Schütze des letzten Treffers beim 3:1 am 22. Mai 2009 gegen Bergedorf 85. „Beim letzten Spiel hatten wir alle weiche Knie. 2013 war ich erneut dort, bekam feuchte Augen.“

Bis 2012 spielte Cordi beim TSV Wandsetal im Sportpark Hinschenfelde, wechselte dann an den Bekkamp. Mittlerweile läuft das Bebauungsplanverfahren für die Fläche des Stadions Marienthal. Der Investor Behrendt Wohnungsbau will Ende 2015 acht Stadthäuser mit insgesamt 21 Wohnungen bauen. Die Bürgerinitiative „Schützt das Wandsbeker Gehölz und die Struktur von Marienthal“ einigte sich mit der rot-grünen Koalition in Wandsbek, die andere Hälfte des Gesamtgeländes aufzuforsten.