Nationalspielerin Kim Kulig spricht im Abendblatt-Interview über ihre Verletzungssorgen, Alternativen zum Fußballspielen und die Lage des Hamburger SV.

Frankfurt am Main. Kim Kulig, 23, kommt mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock der Geschäftsstelle des 1. FFC Frankfurt gefahren. Zwei Monate nach ihrer vierten Operation in ihrem rechten Knie gibt die 33-fache Nationalspielerin ihr erstes Interview. Hamburgs Sportlerin des Jahres 2010, die in Schwaben geboren wurde, aber von 2008 bis 2011 in der Hansestadt spielte, spricht auch über die Lage beim HSV.

Hamburger Abendblatt: Sie kommen ohne Krücken. Wie geht es Ihnen derzeit?

Kim Kulig: Ganz gut. Bisher bin ich sehr zufrieden. Aber ich habe gelernt, dass man in der Reha von Tag zu Tag schauen muss. Es kann sein, dass ich im Juni wieder auf dem Platz stehe. Oder eben nicht. Ich bin froh über kleine Ziele. Zum Beispiel, mal wieder zu joggen.

Von der Leidensgeschichte her sind Sie quasi die „Badstuberin“. Hatten Sie mal Kontakt mit dem FC-Bayern-Profi?

Kulig: Persönlich nicht, aber ich verfolge natürlich Holgers Heilungsprozess, weil es ja fast dieselbe Geschichte ist. Mich hat es gefreut, dass er jetzt schon wieder Laufeinheiten gemacht hat.

Bei Ihren letzten zwei Operationen wurden die „Bohrkanäle der gerissenen Kreuzbandplastik wieder mit spongiösen Knochen aufgefüllt“. Wie bitte?! Sind Sie inzwischen selbst Medizinerin?

Kulig: Ja, ich könnte jetzt selber Kreuzbänder operieren. (lacht)

Die Ursprungsverletzung, ein Kreuzband- und Innenmeniskusriss, erlitten Sie 2011 im verlorenen WM-Viertelfinale gegen Japan (0:1) . Sie waren das Sinnbild des geplatzten Traums. Welche Erinnerungen haben Sie an die Heim-WM?

Kulig: Der 9.7.2011 bleibt für immer. Das war mein persönlicher Schicksalstag, und auch der der gesamten deutschen Mannschaft. Natürlich kann ich auch positiv auf die WM zurückschauen. Wir haben etwas Einmaliges erlebt, wenn ich da an so ein Spiel wie im Berliner Olympiastadion denke. Aber ich glaube, wir alle sind immer sind noch sehr traurig, dass es damals so geendet ist.

Was lief bei Ihrer Genesung schief?

Kulig: Der erste Rückschlag war, dass ich nach drei Monaten nochmal operiert werden musste, weil meine Innenmeniskus-Naht aufgerissen ist. Nach acht Monaten habe ich dann mal versucht,wieder Fußball zu spielen. Das Knie wurde ein bisschen dick, aber es war nichts Außergewöhnliches. Und schließlich nach einem Jahr war ich dann wieder im Fußballgeschehen. Es war eigentlich okay. Ich habe mich aber etwas durchgeschleppt, hab‘ immer im Unterbewusstsein gemerkt, dass mein Knie irgendwie komisch ist. Irgendwann hab‘ ich auch kleinere Verletzungen gehabt. Und das sind ja Anzeichen dafür, dass der Körper nicht hundertprozentig fit ist. Vor der EM im letzten Jahr habe ich mir dann noch den Außenmeniskus eingerissen. Damals hat der Arzt gleich gesagt, dass mein eigentliches Problem mein altes Kreuzband ist, weil es viel zu instabil ist. Nun wurde mein Knie nochmal komplett aufgeräumt in zwei Operationen, und ich bekam eine neue Kreuzbandplastik aus einer weiteren Sehne von mir.

Teamkolleginnen wie Lira Alushi (früher Bajramaj) spielen nach Kreuzbandrissen schon längst wieder. Fragt man sich da: Warum passiert mir so etwas?

Kulig: Ja, gerade als junge Spielerin kennt man sich ja gar nicht damit aus, ich war vorher auch eigentlich nie verletzt. Ich habe nur die positiven Beispiele gesehen und mir Gedanken gemacht, ob etwas falsch lief bei der OP oder ob ich zu viel gemacht habe ich der Reha. Heute beschreibe ich das nur mit dem Wort Pech für mich. Vielleicht ist es irgendwann für irgendwas gut.

Sie gingen als unbeschwerter Jungstar in die WM 2011. Inwiefern haben Sie sich durch die Verletzung verändert?

Kulig: Die Zeit hat mich geprägt. Ich bin geduldiger geworden, weil man das ja in der Reha sein muss. Früher war es für mich unvorstellbar, dass ich mit 35 mit Fußball aufhören muss. Ich weiß jetzt Alltagsdinge mehr zu schätzen: Wenn man so oft an Krücken unterwegs ist, liebt man es einfach, krückenlos durch die Stadt zu gehen. Man setzt auch Dinge in Relation und versucht, sich nicht als das größte Leid der Erde zu sehen.

Wie meinen Sie das?

Kulig: Ich habe eine Kollegin in der Reha, die nur noch 40 bis 50 Prozent Lungenfunktion hat und immer an einem Gerät umherläuft. 24 Stunden am Tag hat sie einen schweren Rucksack dabei. Dagegen ist mein Knie Pillepalle. Mein Gott, wenn ich mal wieder normal gehen kann, ist das schon Weltklasse!

Sie waren mal als „Kimmi Coolig“ auf Facebook. Derzeit sind Sie unauffindbar.

Kulig: Ich habe mich da im Moment gelöscht. Da habe ich mich selbst etwas geschützt, weil‘s nervig war, immer von so vielen Menschen zu lesen. Ich wollte auch keine Posts von Kolleginnen mehr sehen. Ich wollte Abstand in jeglicher Hinsicht und auch nicht mehr so in der Öffentlichkeit stehen.

Sind Sie bei den Bundesligaspielen Ihres Vereins mit dabei?

Kulig: Die Heimspiele sehe ich mir alle an. Auswärtsfahrten habe ich in letzter Zeit nicht mitgemacht. Es ist nicht das Allercoolste für mich, jeden Sonntag Fußball zu schauen. Wenn ich das mache, dann für die Mannschaft. Für mich mache ich das nicht.

Im Sommer läuft Ihr Vertrag in Frankfurt aus. FFC-Manager Siggi Dietrich ist auch Ihr Berater. Ist da schon alles klar?

Kulig: Für mich ist es jetzt erstmal wichtig, dass ich fit werde und überhaupt wieder Fußball spielen kann. Ich kann sagen: Da laufen Gespräche.

Den EM-Titel in Schweden 2013 haben Sie nur als Urlauberin im Wohnmobil miterlebt. Stehen Sie in ständigem Kontakt mit Bundestrainerin Silvia Neid?

Kulig: Ständig nicht, aber man sieht sich bei Heimspielen oder schreibt mal ‘ne kurze SMS. Die sind alle sehr interessiert. Da kann ich nicht meckern.

Ist die WM in Kanada 2015 Ihr Ziel?

Kulig: Daran denke ich gar nicht.

Früher war Fußball Ihr Leben, Sie schliefen sogar in VfB-Bettwäsche. Nun müssen Sie sich auch nach Alternativen umschauen und studieren an der Hochschule Darmstadt Innenarchitektur.

Kulig: Ja, das habe ich im Oktober begonnen. Das ist eine coole Sache und hat mich schon immer interessiert. Es war aber nicht so zu handeln mit dem Fußballtraining, deshalb habe ich mich das erst jetzt getraut.

Wurden Sie als eine Promi-Fußballerin gleich von allen angesprochen?

Kulig: Nein, die meisten Architektur-Studenten haben mit Sport nichts am Hut. Das ist auch echt gut, dass man mal mit anderen Menschen zu tun hat.

Hatten Sie denn immer schon ein Faible für‘s Einrichten?

Kulig: Ja! Ich erinnere mich, dass meine kleine Schwester und ich, wenn wir Bock hatten, regelmäßig nach zwei Wochen unser Zimmer umgestellt haben.

Was ist architektonisch und zum Leben besser: Frankfurt oder Hamburg?

Kulig: Hamburg ist schöner! Ich fühle mich in Frankfurt wohl, aber ich hatte ‘ne richtig coole Zeit in Hamburg. Ich habe auch noch Freunde da oben. Wenn ich in Hamburg bin, denke ich: „Krass, dass ich hier mal gewohnt habe, es ist alles viel größer.“ Ich würde immer wieder gern nach Hamburg zurückkommen, sei es auch nur für ein Wochenende.

Sie waren Hamburgs Sportlerin des Jahres 2010. Erinnern Sie sich noch daran?

Kulig: Darauf bin ich immer noch stolz. Da gab es so eine kleine Trophäe. Die steht bei meinen Eltern in Poltringen.

Was sagen Sie zur Lage beim HSV?

Kulig: Beim ersten Gedanken an den HSV werde ich immer daran erinnert, dass 2012 die Frauen aus der 1. Liga abgemeldet wurden. Darüber überwiegt deutlich Traurigkeit! Als ich 2011 Hamburg verlassen habe, war es sehr beruhigend zu wissen, dass ich jederzeit nach Hamburg zurückkehren kann, aber diese Möglichkeit wurde mir fußballerisch genommen! Das macht mich immer sehr traurig. Ich trage tief im Herzen eben die Raute und wünsche dem HSV trotz allem, dass er in der 1. Liga bleibt, wo er mit seinen fantastischen Fans absolut hingehört.

Glauben Sie, der HSV bleibt drin?

Kulig: Ich tippe auf ein Relegationsspiel HSV gegen St. Pauli. Danach gibt‘s Hamburg dann nicht mehr. Oh nein, dann will ich das doch lieber nicht!

Sind Sie eigentlich für die Ausgliederung der Profi-Abteilung beim HSV?

Kulig: Ich bin für die Eingliederung der Frauen!