Deutsche Kombinierer attackieren sich gegenseitig – am Ende bleibt eine Bronzemedaille für Fabian Rießle

Sotschi. Johannes Rydzek raffte sich aus dem nasskalten Schnee wieder auf und lief, vor Wut innerlich brodelnd, die letzten Meter ins Ziel. Schimpfend überquerte er die Linie und knöpfte sich seinen Teamkameraden Fabian Rießle vor. Etwas entfernt von den beiden kämpfte Björn Kircheisen mit den Tränen.

Es hätte einer der ganz großen Tage für die deutschen Kombinierer werden können. Gleich drei Athleten hatten die Chance auf Gold. Der eine brachte kurz vor dem Ziel den anderen zu Fall, der Dritte wählte die falsche Taktik. Am Ende blieb Bronze für Rießle in einem dramatischen Rennen mit bitterem Ausgang. Gold ging an den Norweger Jörgen Graabak, Silber an dessen Landsmann Magnus Moan. „Das tut weh. Wir haben zwar Bronze gewonnen, aber es sprach in diesem Rennen alles für uns“, sagte Bundestrainer Hermann Weinbuch. Fragt sich, ob jetzt der Teamsegen vor dem wichtigen Mannschaftswettbewerb am Donnerstag im Argen liegt.

Schon das Springen von der Großschanze war spannend gewesen. Den besten Sprung – und das war die Überraschung des Tages – zeigte Olympiasieger Eric Frenzel. Dabei hatte der 25-Jährige den Vortag noch mit einem Infekt im Bett verbracht, erst kurz vor dem Rennen hatte die medizinische Abteilung grünes Licht für einen Start gegeben. Doch angespornt von Eltern, Freundin und Sohn Philipp flog er sechs Tage nach seinem Triumph von der Normalschanze wieder allen davon auf 139,5 Meter.

Frenzel ging als Führender in das Zehn-Kilometer-Langlaufrennen. Dort bildete sich rasch eine große Gruppe starker Läufer an der Spitze – Frenzel, Kircheisen, Rießle und Rydzek mittendrin. Als Erster fiel Frenzel zurück. Das war zu erwarten gewesen. So schnell schleicht sich eine Krankheit nicht aus dem Körper, bei strömendem Regen fehlte dem Weltcup-Dominator die Kraft. Er kam als Zehnter 30 Sekunden nach dem Sieger ins Ziel. „Es war klar, dass im Laufen noch etwas fehlt. Aber gut zu wissen, dass ich zehn Kilometer schaffe. Es war trotzdem ein guter Tag.“ Für den Teamwettbewerb heißt das: Frenzel bleibt der Stärkste von der Schanze und hält auch die Staffel durch. Darum ging es, das wollten sie wissen.

Und dann Kircheisen, mit 30 Jahren der Älteste im Team. Es war sein ganz persönliches Drama, das sich an diesem Tag in den Bergen bei Krasnaja Poljana abspielte. Ein Fernsehkommentar nannte ihn einst in einem Interview gar „Björn Silbereisen“. Kircheisen ließ den Mann stehen. Das war zu viel. Von Silber hat er genug, er gewann es zweimal bei Olympischen Spielen und achtmal bei Weltmeisterschaften. Gold fehlt.

In der Gruppe der starken Läufer schien Kircheisen der stärkste. Es war schon immer so: Wenn er halbwegs gut von der Schanze fliegt, kann er das Langlaufrennen dominieren. Es war seine große Chance. Kircheisen attackierte am letzten Anstieg, zog davon – und wurde wieder eingeholt. Am Ende blieb Platz vier. „Es ist ärgerlich, wenn man so nah dran ist“, flüsterte er später. Dann versagte ihm die Stimme.

„Ich hätte es ihm so gegönnt“, sagte Bundestrainer Weinbuch, übte aber auch Kritik an seinem erfahrensten Athleten. „Björn hat sich leider nicht im Griff gehabt, hat zu früh angegriffen. Wenn er sich noch 500 Meter geduldet hätte, hätte er gewonnen.“ Falsche Taktik, Sieg verschenkt. Später sagte Weinbuch: „Wir hatten die Riesenchance auf ein richtig großes Ding. Dann sollte man taktisch nicht so einen Fehler machen.“

Mit drei Mann in der Spitzengruppe – Kircheisen, Rießle, Rydzek – gingen die Deutschen in die vorletzte Spitzkehre, Rydzek als Zweiter hinter Graabak. Gold war nah. Plötzlich lag Rydzek im Schnee. Und mit ihm der Traum vom Olympiasieg. „Die Kurve war eng, ein Schlag, ich lag auf dem Boden“, sagte er später mit Tränen in den Augen. Ausgerechnet sein Teamkollege Rießle hatte ihn zu Fall gebracht – deshalb schimpfte er im Ziel auf den Drittplatzierten. „Die Emotionen sind nach dem Rennen groß, da kochten die Gefühle hoch“, sagte Rydzek.

Ein paar Minuten später lagen sich die beiden in den Armen. Ärger im Team kann niemand brauchen. „Wir raufen uns zusammen, es gibt keinen Stress. Er hat es nicht mit Absicht gemacht“, sagte Rydzek. Weinbuch versuchte es mit Optimismus: „Vielleicht gibt es ja ein Happy End wie bei den Skispringern.“ Das würde bedeuten: den ersten deutschen Mannschaftstriumph bei Olympia seit 1988.