Die deutschen Skilangläuferinnen setzen als Überraschungsdritte eine Staffeltradition fort – Debakel für die Männer

Sotschi. Auch nach einer langen, feuchtfröhlichen Nacht hatten die Bronze-Girls den Stellenwert ihres Medaillencoups von Krasnaja Poljana noch nicht wirklich realisiert. „Da haben wir die Sache gestern mal wirklich gerockt“, stellte Denise Herrmann am Sonntagmorgen mit Ringen unter den Augen fest. In einem spektakulären Staffelrennen über 4 x 5 Kilometer hatten Nicole Fessel, Stefanie Böhler, Claudia Nystad und Schlussläuferin Herrmann hinter Schweden und Finnland für die bislang überraschendste deutsche Medaille bei den Sotschi-Spielen gesorgt.

Dafür gab es am Tag danach Lob von höchster Stelle. „Emotionalster Höhepunkt war der, bei dem ich nicht dabei war – die Frauenstaffel. Was die vier nach der Vorgeschichte gezeigt haben, ist einzigartig“, sagte Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Mit dem Galaauftritt in der Loipe setzte das Quartett eine Tradition fort: Seit dem Sieg 2002 gab es bei Olympia immer eine Staffelmedaille.

Und eine war immer dabei: Claudia Nystad, die sich mit dem sechsten Edelmetall zur erfolgreichsten deutschen Langläuferin krönte. Ein Fakt, den die 36-Jährige aus Oberwiesenthal nur nebenbei verinnerlichte. „Man lebt doch nur im Moment, letztlich zählen andere Werte. Medaillen und Erfolge sind schön, deshalb sollte man sie in dem Moment genießen, wenn sie kommen“, sagte die Sächsin.

Dieser 15. Februar 2014 war aber für alle ein besonderer Tag. Herrmann und Fessel holten jeweils die erste Medaille ihrer Karriere. Böhler wurde für den Kampf gegen den Krebs belohnt. Und Nystad krönte ihre Comeback-Geschichte, die sie selbst kaum glauben konnte.

Vor einem Jahr verkündete sie nach dreijähriger Pause ihre Rückkehr in den Leistungssport. Im letzten möglichen Rennen schaffte sie noch die Olympiaqualifikation. Ihr Staffeleinsatz war eine Millimeterentscheidung, wie es Bundestrainer Frank Ullrich ausdrückte, die bei der ausgebooteten Katrin Zeller für einen Wutanfall gesorgt hatte.

Doch Nystad lief das beste Rennen seit ihrem Comeback und wurde neben Böhler zur entscheidenden Figur. „Sie hat bewiesen, dass sie sich fokussieren kann auf den einen Wettkampf. Das war in Vancouver genauso, und deshalb haben wir uns für sie entschieden. Sie kann sich in einen Rausch laufen und hat Denise in Position gebracht“, lobte Frauentrainer Stefan Dotzler.

Im Kaukasus blühte auch Steffi Böhler auf. Platz sechs im Zehnkilometerrennen im klassischen Stil und die Bronzemedaille mit der Staffel waren mehr, als die 32 Jahre alte Schwarzwälderin erwarten konnte. Selbst ihre kühnsten Träume gingen nicht so weit. Wie Nystad buchte sie im letzten Moment das Sotschi-Ticket und läuft seither wie entfesselt.

„Vielleicht ist das heute eine Gerechtigkeit von oben, vielleicht kommt etwas von dem zurück, womit ich in den letzten Jahren zu kämpfen gehabt habe“, sagte die in Ruhpolding lebende Ibacherin. 2012 hatte sie den Schilddrüsenkrebs besiegt. „Ich habe nie den Glauben verloren. Und als ich in dieser Saison gemerkt habe, dass mein Körper wieder kann, dass mein Körper wieder will, hat mich das zusätzlich gepusht“, berichtete sie voller Emotionen und fasste am Sonntag noch einmal zusammen: „Die Medaille ist wie ein kleines russisches Märchen für mich.“

Die Männer erlebten dagegen eher einen Albtraum. Nach einem unverschuldeten Sturz von Startläufer Jens Filbrich reichte es für die „goldene“ Generation nur zu Platz neun. Als Filbrich vom Italiener Dietmar Nöckler nach eigener Aussage „über den Haufen gerannt“ wurde, schossen ihm schon auf der Strecke traurige Gedanken in den Kopf. „Im ersten Moment denkt man: Scheiße, das kann doch jetzt nicht wahr sein. So viele Millionen Menschen gucken zu und drücken dir die Daumen, und dann legst du dich mit so einem Crash auf die Nase“, berichtete der Frankenhainer.

Danach war das Rennen gelaufen für das DSV-Quartett, dessen Schlussläufer Hannes Dotzler nach 4 x 10 Kilometern als Neunter mit einem Rückstand von über zweieinhalb Minuten auf Olympiasieger Schweden ins Ziel kam. Die Russen feierten unter dem Beifall von Präsident Wladimir Putin Silber vor den starken Franzosen, die die zweite Langlaufmedaille in ihrer olympischen Geschichte bejubelten.

Edelmetall hatten auch Filbrich, Teichmann und Tobias Angerer, die am Saisonende ihre Karriere beenden, sowie Schlussläufer Hannes Dotzler im Sinn gehabt. Am Ende blieb nur Frust. „Für mich ist es insofern bitter, als dass ich bei Olympia nie mit der Staffel auf dem Podest stehen konnte. Das ärgert mich am meisten“, sagte Teichmann. Und Angerer stellte mit gequältem Lächeln fest: „Ein harter Tag. Manchmal ist der Sport extrem grausam.“