Der beste Kombinierer des Winters hält dem Druck stand und hängt seine Gegner ab

Sotschi. Die Teammitglieder warteten mit Kuhglocken in Fußballgröße. Lautstark empfing die Mannschaft der deutschen Kombinierer ihren Besten, nachdem er wieder zu Kräften gekommen war und sich aus dem Schnee im RusSki-Center von Krasnaja Poljana aufgerappelt hatte. Jubelnd schwenkten sie schwarz-rot-goldene Fahnen und lagen sich gegenseitig in den Armen, als hätten sie soeben selbst die Goldmedaille gewonnen. Eric Frenzel quittierte es mit einem Lächeln.

Die Freude über seinen ersten Olympiasieg bestand zum großen Teil aus Erleichterung. Frenzel wirkte regelrecht befreit von der Last der großen Erwartung, als er später durch das Stadion federte und die Glückwünsche der Besiegten entgegennahm. „Alle Favoriten haben bislang in Sotschi gewonnen, so viele deutsche Athleten haben Topleistungen abgeliefert. Deswegen habe ich den Druck natürlich auch gespürt“, sagte der Mann, dessen Dominanz auf der Skisprungschanze und in der Loipe in diesem Winter durchaus vergleichbar ist mit der der deutschen Rodler im Eiskanal. Allein in diesem Winter hat er acht Weltcups gewonnen, die letzten vier vor der Abreise nach Russland sogar in Serie. Sein Olympiasieg war von den Medaillenplanern beim Deutschen Olympischen Sportbund fest eingeplant.

Das machte den Auftritt des Sachsen nur noch bemerkenswerter. Bereits im Springen bewies er seine außerordentliche Nervenstärke und landete erst nach 99,5 Metern in dem feuchten Schnee von Krasnaja Poljana – Bestweite. Mit dem winzigen Vorsprung von sechs Sekunden vor dem Japaner Akito Watabe, vor allem aber fast eine halbe Minute früher als seine größten Herausforderer Jason Lamy Chappuis (Frankreich) und Magnus Moan (Norwegen) ging er in die Loipe.

„Wir haben verabredet, dass wir zusammenarbeiten, um die anderen hinter uns zu halten“, verriet Silbermedaillengewinner Watabe später. Der Plan ging auf. Näher als zwölf Sekunden kam der Pulk der Verfolger nie heran an das Spitzenduo, das sich mit der Führungsarbeit abwechselte. Exakt 9,7 von 10 Kilometern hielt ihre Allianz. Dann scherte Frenzel aus Watabes Windschatten heraus und trat zum Spurt an. Er benötigte nur einen einzigen Versuch, um seinen Begleiter abzuschütteln. Mit wenigen kraftvollen Schüben beschleunigte er, es sah aus, als würde sich Watabe nur noch im Zeitlupentempo bewegen. „Eric war zu stark“, sagte der Japaner. Er versuchte erst gar nicht, seinem Weggefährten zu folgen. Stattdessen sicherte er seinen zweiten Platz vor dem Russen Jewgeni Klimow. Moan (15.) und Chappuis (Achter) hatten mit der Medaillenvergabe nichts zu tun.

„Alles lief nach Plan. Ich habe mir diese Stelle vorher schon ausgesucht“, sagte Frenzel über die entscheidende Szene drei Kurven vor dem Zielstrich: „Im vergangenen Jahr konnte ich hier auch Jason Lamy Chappuis abschütteln. Das war ein gutes Omen.“ Wie damals konnte keiner der Konkurrenten seinem Antritt folgen.

Wenn der Student der Wirtschaftswissenschaften die Gründe für seine Überlegenheit erklären soll, zögert er nicht lange. Er denkt zurück an den Juni und Juli und sagt: „Wir haben die Trainingsintensität noch einmal gesteigert. Das habe ich gut verkraftet. Hinzu kam, dass ich ohne Verletzungen oder Krankheiten durch den Winter gekommen bin.“ Die erste Goldmedaille für einen nordischen Kombinierer des Deutschen Ski-Verbandes seit Georg Hettich 2006 ist das Ergebnis akribischer Arbeit in den Sommermonaten.

Mit ihren Goldmedaillen enden die Parallelen jedoch schon wieder. „Georg kam ja damals zu seinem Olympiasieg wie die Jungfrau zum Kinde“, erinnert sich Bundestrainer Hermann Weinbuch an den Sensationstriumph von vor acht Jahren: „Bei Eric ist es anders. Wer die letzten vier Weltcups für sich entscheidet, der muss auch hier gewinnen. Wir alle haben den Druck gespürt.“ Nach einer kurzen Pause sagte Trainer Weinbuch: „Ich hätte das nicht geschafft. So eine coole Sau. Ich habe ihn schon immer bewundert.“ Viel tiefer kann sich ein Trainer vor seinem Schützling nicht verbeugen.

Weinbuch weiß um die Bedeutung dieses Titels für Frenzel. Der dreimalige Weltmeister stand bei den Olympischen Spielen vor vier Jahren hilflos neben der Loipe, als die deutschen Kombinierer zweimal unter denkbar ungünstigen Umständen den Titel verpassten: Erst lag es am Material, dann am Wetter. Unter dem Strich blieb nur die Bronzemedaille im Teamwettbewerb und eine große Enttäuschung. Vancouver habe schon ein kleines Trauma hinterlassen, räumte der beste deutsche Kombinierer kürzlich ein: „Ich war jung und hatte mir viel ausgerechnet.“ Er musste 25 Jahre alt werden, um seinen eigenen Ansprüchen Taten folgen zu lassen.

Ein Ende seiner Dominanz ist nicht in Sicht. „Eric gehört die Zukunft“, sagte Ronny Ackermann, der bestimmende deutsche Kombinierer der vergangenen Dekade, über seinen Nachfolger. „Er ist zum Leader gereift, führt die Mannschaft aber auf sehr unauffällige Weise an.“ Ackermann, der im Vergleich zum zurückhaltenden Frenzel extrovertiert wie ein amerikanischer Popstar war, hat es nie geschafft, die Goldmedaille bei Olympia zu gewinnen. Es ist die einzige Auszeichnung, die ihm fehlt. Der Grund dafür ist ganz einfach. „So ruhig wie Eric war ich damals nicht“, erklärte Ackermann vielsagend.

Beendet ist Frenzels Sotschi-Mission mit der ersehnten Goldmedaille noch lange nicht. Am Dienstag und Donnerstag nächster Woche bestehen von der Großschanze und im Teamwettbewerb erneut sehr gute Medaillenchancen. Johannes Rydzek als Sechster, Fabian Riessle und Tino Edelmann auf den Plätzen acht und neun untermauerten die deutschen Ambitionen. Dann werden auch Frenzels Freundin Laura, Sohn Philipp und die Eltern vor Ort mitfiebern. Die Party für die Premierenmedaille musste am Mittwoch ohne sie steigen. Da traf es sich gut, dass das Deutsche Haus direkt neben dem Hotel der Kombinierer liegt.