Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch wird ihrer Favoritenrolle in der Super-Kombination gerecht und gewinnt ihr drittes Olympiagold. Aber das soll erst der Anfang sein

Sotschi. Dominique Gisin, 28, hatte mit dem Ausgang des Wettkampfs nicht ernsthaft viel zu tun. Rund eine Sekunde Rückstand auf Rang drei, da fragt sich eine Rennläuferin dann schon, was die anderen so viel besser machen als sie selbst. Umso aussagekräftiger ist das Urteil, das sich die Schweizerin über ihre deutsche Konkurrentin Maria Höfl-Riesch, 29, gebildet hatte, nicht erst an diesem bewölkten Nachmittag in Rosa Chutor: „Sie ist stark gefahren, sie ist die kompletteste Rennläuferin“, sagte also Gisin: „Man kann es in der Gesamtwertung sehen und in jedem Rennen. Sie fährt nicht spektakulär, aber sie ist immer da!“

Nicht nur im Tagesgeschäft Weltcup, sondern auch am Montag im ersten alpinen Wettkampf der Frauen bei diesen Olympischen Spielen galt das wieder. Wenn es darauf ankommt, ist Maria Höfl-Riesch da. Nach 2010 in Vancouver gewann die Deutsche vor der Österreicherin Nicole Hosp und Julia Mancuso aus den USA auch in Russland die Goldmedaille in der Super-Kombination. Es war das zweite Gold für die deutsche Olympiamannschaft in Sotschi.

„Einer der emotionalsten Momente meiner Karriere“, jubelte Höfl-Riesch. „Ich war eine der Topfavoritinnen – oder: die Topfavoritin. Vor allem deswegen war es nicht leicht, den Erwartungen gerecht zu werden.“ Mit ihrem dritten Olympiasieg hat die Bayerin, nach Goldmedaillen gerechnet, die legendäre Rosi Mittermaier überholt und mit Katja Seizinger gleichgezogen. Eine goldene mehr, und sie wäre die erfolgreichste Alpine des Landes überhaupt.

„Aber über Statistiken und Rankings denke ich nicht so sehr nach. Wenn es passiert – toll! Doch meine große Motivation sind nicht Statistiken. Meine Motivation ist, jeden Tag das Beste zu geben und das Beste aus meinen Möglichkeiten zu machen.“ Von denen hat die amtierende Weltmeisterin in der Super-Kombination bekanntlich jede Menge. Eine derart talentierte Skiläuferin kommt nur alle Jubeljahre vor, das wissen sie nur zu gut im Deutschen Skiverband (DSV).

Nach der Abfahrt am Morgen hatte Höfl-Riesch mit 1,04 Sekunden Rückstand auf die Führende Mancuso noch auf Rang fünf gelegen. Im knapp vier Stunden später folgenden Slalomlauf holte die Titelverteidigerin den Rückstand aber auf und distanzierte Mancuso letztlich um 0,53 Sekunden. Vor dem Slalom war ihr Cheftrainer Thomas Stauffer angespannt, aber optimistisch gewesen. „Wir wissen ja, dass die Maria ein Champion ist, oder? Das hat sie heute ganz klar gezeigt.“ Eine Sekunde aufholen, das schaffe sie in einem Spezialslalom gegen diese Gegnerinnen durchaus. Eine Super-Kombination aber ist dann eben doch etwas anderes. „Als ich gesehen habe, dass die Piste gut ist, war ich schon zuversichtlich, dass sie gut fahren kann.“

Unten im Zielbereich trug Stauffer später Hochgefühl auf Schweizer Art zur Schau: Er lehnte am Zaun und blickte ausdruckslos. Nur bei genauem Hinschauen war so etwas wie ein belustigtes Lächeln unterm buschigen Schnäuzer erkennbar. „Wie euphorisch soll ich schon sein?“, brummte Stauffer gutmütig. Anerkennend lobte er: „Jede Generation hat ihre Champions. In der Liga mit Katja Seizinger, Hilde Gerg spielt auch Maria. Sie ist einer von zwei, drei Champions ihrer Generation.“

„Brutale Erleichterung“ konstatierte der Cheftrainer bei seiner besten Rennläuferin. „Sie ist nach Sotschi gekommen, um eine Medaille zu machen. Jetzt wird sie es sicherlich einfacher haben, noch einmal anzugreifen.“ Bereits am Mittwoch besteht die nächste Gelegenheit dazu. In der Spezialabfahrt ist Höfl-Riesch ein weiterer Medaillengewinn ohne Weiteres zuzutrauen. Sie ist schließlich Weltcupführende in dieser Disziplin, dekoriert mit drei Saisonsiegen. Jedoch, gemach, mahnt sie selbst. Denn nicht nur im Rennen am Montagvormittag, sondern auch in den Abfahrtstrainings in den Tagen zuvor hatten sich auf der Piste von Rosa Chutor hartnäckig Fehler eingeschlichen.

„Dreimal versemmelt“ habe sie die wichtige Linkskurve weit oben zwischen der ersten und der zweiten Zwischenzeit „und drum wieder viel Zeit verloren. Für Mittwoch ist das sicherlich noch zu wenig“, grantelte Höfl-Riesch zwischenzeitlich. Dienstag früh ist beim Abfahrtstraining wieder Gelegenheit zum Üben.

Viel Zeit zum Feiern hat sie also nicht, doch hat sie ja noch mehr vor bei diesen Winterspielen. Vier Wettkämpfe verbleiben, und mit einer Leistung wie vom Montag im Slalom wäre Höfl-Riesch außerdem „jederzeit auch in der Lage, bei den Spezialistinnen mitzufahren“, urteilte Wolfgang Maier.

Wie er selbst sich fühle, wollte einer vom Alpindirektor des DSV wissen. Fröhlich entgegnete er: „Sauguat!“ Siege hat er mit Höfl-Riesch schon viele erlebt, großartige darunter, wegweisende. Dieser aber „war ein ganz besonderer. Wir sind ja doch sehr klein aufgestellt. Wir wussten: Wir haben einen Schuss – und der muss sitzen. Sonst sind wir raus aus dem Spiel.“

Angespannt war die Rennläuferin am Nachmittag gewesen, wie alle in ihrem Team. Dass sich die Nervosität ihrer Betreuer nicht auf sie übertrug, ist dabei noch so ein Talent der groß gewachsenen Bayerin. Maier: „Maria schafft es immer wieder, uns zu überraschen.“

Nicht so sehr überraschte, dass ihr der Sieg wie schon vor vier Jahren in Vancouver in der Super-Kombination gelang. Als Allrounderin ist sie es gewohnt, sich innerhalb kurzer Zeit von den rund 2,15 Meter langen Abfahrtslatten am Morgen auf die rund 40 Zentimeter kürzeren Slalomskier am Nachmittag umzustellen. Das gelingt längst nicht jeder Konkurrentin gleich gut – und insofern kommen auch weit weniger Rennläuferinnen für Gold infrage.

Höfl-Riesch ficht es ebenso wenig an wie den deutschen Alpinchef. „Über die Super-Kombination kann man sich sportlich ein Urteil bilden oder nicht. Fakt ist: Wenn’s um Medaillen geht, will sie jeder haben“, sagte Maier. Jede der weltbesten Skirennläuferinnen sei volle Attacke gefahren, jede habe ihre Chance gewittert. Von Höfl-Riesch deshalb zu erwarten, „dass sie das Ding automatisch gewinnt, das funktioniert nicht.“

So gelassen sie in den vergangenen Wochen mit dem Erwartungsdruck vorgeblich auch umgegangen war – als der deutsche Dachverbandspräsident Alfons Hörmann ihr bei der „Blumenzeremonie“ im Rosa Chutor Alpine Centre den obligatorischen Siegerstrauß aushändigte, da sah Höfl-Riesch erkennbar erleichtert aus. „Das hier“, jubelte sie, „fühlt sich an wie ein Märchen, das in Erfüllung geht.“

Worauf sie sich nun am meisten freue, wurde die deutsche Fahnenträgerin noch gefragt. Höfl-Riesch überlegte nicht lange, sie antwortete: „Darauf, auf dem Podest zu stehen und die deutsche Nationalhymne zu hören.“