„Freiwurf Hamburg“ mit dem Werner-Otto-Preis ausgezeichnet

Hamburg . Der Handballer Marcus Stein ist ein cooler Typ. Der 33 Jahre alte Mützenträger ist St.-Pauli-Fan und Polizist beim Landeskriminalamt. „Ich erzähle mal meine Story“, sagt Marcus bei einem Caffè Latte in Eppendorf. „Ich komme aus einer Handballer-Familie und bin der einzige, der behindert geboren ist.“ Marcus hat Spastiken. „Ich konnte früher nie mitspielen. Die anderen waren einfach zu gut.“ Er nimmt es sportlich entspannt. Seit Anfang 2013 spielt er eben doch ambitioniert Handball – im Projekt „Freiwurf Hamburg“, das am Donnerstag im Hamburger Rathaus mit dem Werner-Otto-Preis der Alexander Otto Sportstiftung ausgezeichnet wurde.

Bei „Freiwurf Hamburg“ sind Handicap, Alter und Geschlecht egal. Im Herbst 2013 gründete sich sogar eine Liga mit vier Teams. „Ich war total baff, dass es so etwas überhaupt gibt und so funktioniert“, sagt Marcus. Auch Lisa Baake, 18, hatte ihre Zweifel: „Ich dachte früher, dass diese Mannschaft nie Handball spielen kann. Heute denke ich: ,Das soll ich mal gesagt haben?‘“ Die Auszubildende ist eine „Unified-Partnerin“, also weder körperlich noch geistig behindert. Diese Liga setzt als erste bundesweit auf das Inklusionsprinzip und ist in den Hamburger Verband integriert. Lisa geht mit ihrem Bruder Nico, 20, für den SV Eidelstedt auf Torejagd, Marcus für den Altrahlstedter MTV. Zuletzt kamen die Vereine FC St. Pauli und Elmshorner HT dazu.

Nach der Hinrunde führt Eidelstedt mit 6:0 Punkten, aber das scheint irgendwie keine Rolle zu spielen. „Es ist ein super tolles Miteinander“, sagt Lisa. Was sie mit der 15.000-Euro-Prämie des Otto-Preises machen? „Ein Trainingslager. Wir fahren mit allen im Mai nach Österreich an den Bodensee.“ Aber geht’s denn gar nicht ums Siegen? „Eher darum, dass jeder das Beste aus sich herausholt. Und jeder mit seiner jeweiligen Stärke eingesetzt wird“, meint Marcus. Nico, Lisas Bruder, widerspricht: „Es geht schon ums Gewinnen. Es gab keinen Torwart, dem ich noch nicht ein Tor reingesetzt habe.“ Nico ist mit seiner Handballer-Traumstatur von 2,16 Metern gefürchtet. Der Autist hat neben seiner Informatik-Begabung ein Supergedächtnis für Spielzüge, die Jahre zurückliegen.

Nur zwei Spieler ohne Handicap dürfen pro Team auf dem Feld stehen. „Viele unserer Athleten sind besser als die Unified-Partner, wir arbeiten noch am Regelwerk“, sagt Martin Wild, Projektleiter und SVE-Coach. Er rief das durch Spenden finanzierte Projekt 2010 ins Leben. Seitdem ist auch Max-Detlef Rode, der AMTV-Trainer, dabei. Inzwischen hat Unternehmensberater Wild seinen Beruf auf Teilzeit reduziert. Das Ehrenamt uferte zum Full-Time-Job aus. Begonnen hatte alles mit nur einem Team. Aus 10 Teilnehmern wurden 85 (im Alter zwischen 13 und 63 Jahren).

Der nächste Spieltag steigt am 16. Februar in der Regionalsporthalle Thedestraße. Die Partien sind zwischen den Spielen der Frauen-Landesliga und der Männer-Kreisliga angesetzt. „Das Ganze soll nicht ,nur‘ so eine Behinderten-Geschichte sein. Wir wollten dahin, wo die Handballer sind“, sagt Wild. Einer seiner Vorzeige-Athleten ist Sven Schmalfeldt, der als erster geistig Gehandicapter in Deutschland eine Handballschiedsrichterprüfung ablegte. Er darf nun Jugendligaspiele pfeifen.

Froh ist Wild auch über Kooperationen mit den Special Olympics und dem HSV Hamburg. So werden Spieltage in der Volksbank-Arena ausgetragen oder Trainingsaktionen mit dem HSV-Nachwuchs verabredet. „Die Jugendlichen lernen dabei auch etwas: Sozialkompetenz“, sagt Marcus, ein HSV-Handball-Dauerkarteninhaber. Ob er ein Idol habe? „Nee, ich bin eher technisch interessiert. Na ja, so Gestalten wie Hans Lindberg sind uralte Urgesteine. Die finde ich schon gut.“