Der neue Australian-Open-Sieger Stanislas Wawrinka hatte selbst einen Grand-Slam-Titel nie für möglich gehalten.

Melbourne. Endlich kommt Papi heim nach Lausanne. Alexia war schon sehr traurig in den letzten Tagen. Er soll doch endlich mal verlieren, hatte die fast Vierjährige immer wieder geklagt. Der Trennungsschmerz. Aber Stanislas Wawrinka verlor nicht. Er gewann und gewann und gewann. Am Sonntag auch noch das Finale bei den Australian Open in Melbourne. „Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich ein Grand-Slam-Turnier gewinnen kann“, sagte der 28-Jährige, „ich habe nie geglaubt, dass ich diese Jungs schlagen kann.“

„Diese Jungs“ sind Rafael Nadal, Novak Djokovic, Roger Federer und Andy Murray. Seit den US Open 2009 haben sie jedes Major-Turnier unter sich ausgemacht. Jetzt hat Wawrinka als erster Spieler seit 1993 in einem Grand-Slam-Turnier die Nummer eins und die Nummer zwei der Welt geschlagen. Dem Viertelfinalsieg über Titelverteidiger Djokovic ließ er im Finale einen 6:3, 6:2, 3:6, 6:3-Erfolg über den Branchen-Primus Nadal folgen. Als neuer Weltranglisten-Dritter löst er zudem Roger Federer an der Spitze des Schweizer Tennis ab – nach 14 Jahren. „Die Chance ist groß, dass ich heute Abend betrunken bin“, erklärte Wawrinka.

Zuvor hatte ihm der große Pete Sampras den Norman Brookes Challenge Cup und einen Scheck über 1,68 Millionen Euro überreicht, doch Wawrinka zweifelte noch an der Wahrhaftigkeit des Augenblicks. „Ich habe Angst, dass ich morgen aufwache, und dann war es nur geträumt“, stammelte der neue Champion. Die Siegerehrung in der Rod-Laver-Arena war der emotionale Schlusspunkt eines dramatischen Endspiels – einer Nervenschlacht für Wawrinka und einer schmerzhaften Willensprüfung für den Spanier Nadal. Nach 2:21 Stunden bestanden beide Spieler ihre Herausforderungen, Wawrinka siegte auch gegen seine Nerven, der schwer angeschlagene Nadal hielt bis zum Ende durch, immerhin.

Rafael Nadal spricht nicht über seine Verletzung, sondern lobt den Sieger

Mehr war vom Weltranglistenersten nicht zu erwarten, eine Rückenverletzung, die sich bereits beim Warmmachen bemerkbar gemacht hatte, ließ Nadal teilweise nur noch über den Platz humpeln. „Es wurde immer schlimmer, aber das letzte, was ich tun wollte, war aufgeben. Ich hasse das, vor allem in einem Finale“, sagte der 27-Jährige. Viel mehr Worte wollte Nadal darüber nicht verlieren, wieder einmal zeigte sich, welch großer Champion er selbst in seinen bittersten Stunden ist.

„Heute ist Stans Tag, nicht meiner. Er hat hier fantastisch gespielt, ich freue mich für ihn“, sagte Nadal und bat die Fragen nach seinem Befinden endlich zu stoppen. Nach einer Behandlungspause zu Beginn des zweiten Satzes konnte er sich kaum noch bewegen. Das Drama ging auf der anderen Seite des Netzes weiter, als die Schmerzmittel ihre Wirkung entfalteten. Noch immer war Nadal weit von seiner Normalform entfernt, doch Wawrinka packte plötzlich die kalte Angst vor den letzten Metern zu seinem ersten Grand-Slam-Titel. Völlig verunsichert und ohne Plan, wie er gegen den maladen Nadal spielen sollte, verlor der 28-Jährige im dritten Satz seine Linie. „In diesem Moment habe ich realisiert, dass ich einen Grand Slam gewinnen kann. Ich habe nur darauf gewartet, dass er Fehler macht“, sagte Wawrinka.

Dabei hatte die Partie so gut angefangen. Als Nadal noch dagegenhalten konnte, schien Wawrinkas Selbstvertrauen grenzenlos. Dabei hatte er in zwölf Partien zuvor nicht einen Satz gegen den 13-maligen Grand-Slam-Champion gewonnen. Das änderte sich nach 37 Minuten, Wawrinka war oben auf: „Einen Satz lang habe ich mein bestes Tennis gespielt, dann wurde es ein völlig anderes Match.“

Die vierjährige Tochter Alexia gibt Stanislas Wawrinka „die Kraft für alles“

Seit 2002 spielt der Sohn eines deutschen Vaters und einer Schweizer Mutter als Profi. Das Talent war immer zu sehen, seine Rückhand ist eine der allerbesten überhaupt, die Aufschläge sind eine Waffe. Aber mental hatte der Westschweizer häufig Probleme, er gilt als schüchtern. Seit 2009 ist er mit der Moderatorin Ilham Vuilloud verheiratet. Im Februar 2010 kam Alexia zur Welt. Im Januar 2011 trennte sich Wawrinka von seiner Frau mit der Begründung, er wolle sich mehr auf Tennis konzentrieren. Erst seit die beiden ein Jahr später wieder zueinander fanden, ging es steil bergauf. „Ein Kind bedeutet zwar viel Arbeit. Aber dann gibt es die kleinen Momente, wo meine Tochter mich anlächelt. Das gibt Kraft für alles“, sagte Wawrinka und versprach in Melbourne: „In zwei Tagen bin ich daheim.“ Alexia darf sich freuen.