Sechs Jahre nach seinem Rücktritt aus der Hockey-Nationalmannschaft erhielt Alsters Regisseur eine Einladung zur Hallen-EM in Wien

Hamburg. Er will nicht verschweigen, dass er überrascht war, als Anfang Januar die Einladung vom Deutschen Hockey-Bund (DHB) kam. Alessio Ress hatte sich damit abgefunden, dass er keine Titel für sein Land würde gewinnen können. 2007 hatte er die Reise zur Hallen-WM, die sein erstes großes internationales Turnier gewesen wäre, abgesagt, weil er sich auf sein Jurastudium konzentrieren wollte. Ein Jahr später entschied er sich in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Peking, ganz aus der Nationalmannschaft zurückzutreten. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht bereit war, dem Sport alles unterzuordnen. Ich bewundere die, die das schaffen, aber ich bin ein Typ, der mehrere Dinge gleichzeitig tun will“, sagt der 27-Jährige.

Nicht viele verstanden damals seinen Schritt. Mit seinem Talent, seinen technischen Fertigkeiten hätte dem gebürtigen Hamburger, der alle Junioren-Auswahlteams des DHB durchlief, die Hockeywelt offen gestanden. „Natürlich verspüre ich viel Wehmut, wenn ich sehe, wie viele Freunde, mit denen ich zusammengespielt habe, Olympiasieger geworden sind“, sagt Ress. Umso größer war die Freude, dass er an diesem Wochenende doch noch die Chance auf den Gewinn einer internationalen Medaille bekommt. Bei der Hallen-EM in Wien ist der Mittelfeldregisseur des Clubs an der Alster einer von sechs Hamburgern im Kader von Bundestrainer Stefan Kermas, der den bei der World League in Indien mit dem Feldkader engagierten Markus Weise vertritt.

„Ich hätte gedacht, dass man mehr auf junge Talente setzen würde, deshalb kam die Nominierung überraschend“, sagt Ress, der sich mit Alsters Damenspielerin Janina Casanova eine WG am Turmweg teilt. Die Spanierin hat das Zimmer Moritz Fürstes übernommen. Der Welthockeyspieler des Jahres 2012 vom Uhlenhorster HC ist ein guter Freund, als Jugendliche starteten sie zeitgleich ihre DHB-Karrieren. Mit dem gemeinsamen Auftritt in Österreich, der möglich ist, weil Fürste für die World League geschont wurde, geht ein Traum in Erfüllung: Seite an Seite für Deutschland um Titel zu spielen.

Dass sie das können, davon ist Ress, der beim Harvestehuder THC groß wurde und mit 18 wegen der besseren Ausbildungsperspektive zu Alster wechselte, überzeugt. Zwar ist die Vormachtstellung Deutschlands im Hallenhockey über die Jahre schwächer geworden, als Rekordsieger (13 Triumphe bei 15 Austragungen) und Titelverteidiger wäre alles andere als der Finaleinzug jedoch eine Enttäuschung.

Angesichts der schweren Gruppe mit Russland (Fr, 10 Uhr), den Niederlanden (Fr, 16.40 Uhr) und England (Sa, 9 Uhr) und des neuen Spielsystems „Hockey 5“, dessen Auswirkungen auf die internationale Rangordnung nicht abzuschätzen sind, warnt Ress jedoch vor zu viel Optimismus. „Die Osteuropäer sind immer stärker geworden, die Niederlande haben sich mit einem eigenen Hallenkader gezielt vorbereitet, und Österreich hat den Heimvorteil“, sagt er.

Die deutsche Mannschaft, die am Dienstagmorgen nach Wien reiste, hat gerade einmal zwei Testspiele und drei Trainingseinheiten Zeit, um sich zu finden. „Ich glaube aber, dass das reicht, denn die Qualität im Kader ist sehr hoch“, sagt Ress. Für ihn ist die EM der sportliche Jahreshöhepunkt, nachdem Alster sich weder für die Endrunde in der Halle noch im Feld qualifizieren wird. Sein Fokus liegt deshalb anschließend auf dem ersten Staatsexamen, das er für Juli anpeilt. Anwalt möchte er werden, wenn er einen Spitzenabschluss schafft, wäre sogar der Traum, Richter zu werden, greifbar. 2014 könnte also ein Jahr des Zupackens werden für Alessio Ress.