Österreichs Skisprunglegende Toni Innauer spricht über den jungen deutschen Athleten und die Generation der älteren Springer

Innsbruck. Als Thomas Diethart aufwachte und auf seinen Nachttisch blickte, erschrak er. Da lag doch tatsächlich das blaue Leibchen des Führenden der Vierschanzentournee. „Ein Wahnsinn“, sagt der Österreicher. Nach zwei Springen führt mit dem 21-Jährigen ein Überraschungsmann. Jetzt geht es in seine Heimat. Das Abendblatt sprach vor den Springen in Innsbruck und Bischofshofen mit der österreichischen Skisprunglegende Toni Innauer, 55.

Hamburger Abendblatt:

Herr Innauer, wer ist eigentlich dieser Thomas Diethart? Hatten Sie etwa mit ihm gerechnet?

Toni Innauer:

Diethart ist als Niederösterreicher ein Exot bei uns, der seit Jahren durch seine überragende Sprungkraft auffällt, aber diese Fähigkeit noch nicht „schanzentauglich“ machen konnte. Sein Trainer Florian Liegl hat offenbar im Herbst schon geahnt, dass Ditl für Furore sorgen könnte. Von seinem fulminanten Durchmarsch im Weltcup in diesem Ausmaß sind wir aber alle überrascht.

Und was läuft falsch bei den Deutschen?

Innauer:

Für die Heimnation ist der Start in die Tournee gruppendynamisch enorm wichtig, und der ist in Oberstdorf danebengegangen. Wellinger und Freitag waren beim Auftakt aus unterschiedlichen Gründen, die auch mentalen Ursprungs waren, blockiert. Dadurch lag der ganze Druck auf Freund, der dem zwar standhielt, aber nicht total befreit auftreten konnte.

Wen schätzen Sie von den Deutschen generell am stärksten ein?

Innauer:

Severin Freund und Richard Freitag. Andreas Wellinger hat gewaltiges Potenzial, ist aber noch blutjung.

Hat er das Potenzial zu einem Siegspringer?

Innauer:

Wenn er manche Feinheiten noch entwickelt und noch mehr Sicherheit bekommt, kann er ganz sicher zum Siegspringer werden. Er ist ein Rohdiamant – und zwar ein sehr hochkarätiger. Er hat das Zeug zu einem großen Skispringer, da bin ich mir sicher.

Hinter Diethart, Morgenstern und Ammann ist Noriaki Kasai auf Rang vier des Gesamtklassements. Wie macht der Mann das mit seinen 41 Jahren?

Innauer:

Die Trainingsmethoden sind besser geworden, sodass sich die Leute mit viel Erfahrung, die schon in jungen Jahren außergewöhnlich gut waren, lange halten können. Skispringen hat durch Präparierung, V-Stil und Material an Gefährlichkeit und Stressbelastung verloren. Es ist eine besondere Sportart, die mit Golf zu vergleichen ist. Da gibt es auch über 40-Jährige, die plötzlich ein Masters gewinnen.

Warum schafft es Kasai und Martin Schmitt nicht?

Innauer:

Ich denke, wer im gehobenen Sportleralter noch vorne dabei ist, darf keine großen Verletzungen gehabt haben. Das kostet Energie. Schmitt hatte immer wieder Knieprobleme. Außerdem ist Kasai in Japan weniger unter Druck. Und er muss sich nicht mit so vielen starken jungen Springern und kritischen Medien herumschlagen. Die jungen Athleten machen wenig Druck. Das schont Reserven.

Können Sie nachvollziehen, dass Martin Schmitt sich das Skispringen immer noch angetan hat?

Innauer:

Schmitt wollte sein Optimum noch einmal zeigen und hat alles andere ausgeblendet. Er hat für sich persönlich alles versucht, damit diese Rechnung noch mal aufgeht. Es ist sein Leben und sein Lebensentwurf. Das sollte man respektieren.

Offiziell hat Schmitt seinen Abschied noch nicht verkündet, aber das Neujahrsspringen war sehr wahrscheinlich sein letzter Weltcup. Was bleibt von ihm?

Innauer:

Ich habe ihn als großen und fairen Sportler erlebt. Er hat uns das Leben oft mehr als schwer gemacht. 2001 in Lahti wurde er Weltmeister auf der Großschanze und hat uns Österreichern drei Tage später zur Goldenen im Team verholfen. Nicht etwa durch einen missglückten Sprung, sondern weil er unserem Schlussspringer Martin Höllwarth unmittelbar vor dem Start geholfen hat, seinen gebrochenen Ski notdürftig zusammenzukleben. So eine Geschichte vergisst man nie!