Ihr Stiefvater schoss viermal auf sie. Vor einem Jahr feierte Rola El Halabi ihr Comeback. Die Boxerin ist mitunter enttäuscht. Aber sie gibt nie auf

Ulm. Neulich wurde sie gebeten, auf einer Kinderkrebsstation Geschenke an die kleinen Patienten zu verteilen. Die Presse sollte dabei sein und dieses Bild in die Welt schicken. Das Bild der gutherzigen Boxerin, die so viel Schlimmes erlebt hat und deshalb jetzt Gutes tut. Rola El Halabi hat das Angebot freundlich abgelehnt. Nicht dass sie nicht gern todkranken Kindern helfen möchte. „Aber ich mache das nicht, um in der Öffentlichkeit gut dazustehen, sondern nur wenn ich glaube, damit etwas bewirken zu können. Deshalb mache ich lieber Vorlesestunden oder ähnliche Aktionen, von denen ich glaube, dass sie den Kindern mehr bringen“, sagt sie. „Und vor allem möchte ich nicht nur auf meine Geschichte reduziert werden.“

Diese Geschichte, das ist die Zeitspanne zwischen dem 1. April 2011 und dem 12. Januar 2013, die Rola El Halabi bekannter gemacht hat, als es jeder Boxkampf hätte bewirken können. An jenem 1. April hatte ihr Stiefvater Roy El Halabi vor einem Kampf in Berlin ihre Kabine gestürmt und ihr in eifersüchtiger Raserei viermal in Hände, Füße und Knie geschossen. Er fühlte sich von seiner Tochter geschnitten, weil diese ein eigenes Leben führen wollte, unabhängig von ihm. Mehrere Wochen nach dem Anschlag war die heute 28-Jährige auf einen Rollstuhl angewiesen, doch ihr Wille, in den Ring zurückzukehren, war größer als alle Schmerzen. Im Februar 2012 stand der Plan, ein Comeback zu schaffen, und am 12. Januar 2013 stand Rola El-Halabi in ihrer Heimatstadt Ulm wieder auf der Boxbühne.

Natürlich hat sie gewusst, dass dieser Kampf gegen die Italienerin Lucia Morelli, den sie nach Punkten verlor und natürlich trotzdem gewann, weil es der Schritt zurück ins Leben war, der Höhepunkt ihrer Karriere werden würde. „Der Riesen-Hype, der um diesen Kampf gemacht wurde, hat mich gar nicht überrascht“, sagt sie heute, „schließlich hatten mir alle großen Promoter immer gesagt, dass ich eine Geschichte brauche, um wahrgenommen zu werden.“ Die im Libanon geborene Sportlerin, die im Alter von eineinhalb Jahren mit der Familie nach Deutschland floh, war auch nie so blauäugig gewesen zu glauben, dass das weltweite Interesse an ihrer Person von Dauer sein würde. Ein Jahr nach dem Comeback kann sie ein gewisses Maß an Desillusionierung indes nicht verbergen.

Noch immer hat sie weder einen großen Promoter noch einen Fernsehpartner für sich gewinnen können, auch Sponsoren stehen nicht Schlange. Ihre Biografie „Stehaufmädchen“, die sie kurz nach dem Comeback vorstellte, verkauft sich mäßig. „Ich habe eine hollywoodreife Geschichte, und trotzdem interessiert das im Boxen niemanden. Das Boxgeschäft ist eben ein bisschen anders“, sagt sie. „Ich wäre wohl für viele eine echte Konkurrenz. Vielleicht scheuen deshalb die wenigen großen Promoter, die im Boxen etwas zu sagen haben, die Zusammenarbeit mit mir.“

Es ist ihre direkte Art und die charakterfeste Ablehnung jeglicher ihr unangemessen erscheinenden Angebote, die es ihr unmöglich macht, sich im Box-Business anzubiedern. Weil sie vor ihrem Comeback-Kampf eine feste Absprache mit Sat.1 getroffen hatte, sagte sie alle anderen TV-Anfragen ab. Als Sat.1 dann wenige Wochen vor dem Kampf zurückruderte und sie nur noch im Vorprogramm von Felix Sturm zeigen wollte, beendete sie die Zusammenarbeit und boxte ohne Fernsehpräsenz. Dass sie deshalb mithilfe ihres langjährigen Sponsors Dolobene eine mittlere fünfstellige Summe investieren musste, anstatt ordentliche TV-Gelder einzustreichen, hält sie bis heute für richtig. Eine wie sie wird im profitorientieren Profiboxen, wo Anpassung gefragt ist, kaum reüssieren können.

Einerseits findet sie das schade, „weil ich mir ein Stück weit Gerechtigkeit gewünscht hatte, und weil ich auch gern große Kämpfe bekommen würde“. Andererseits hat sie sich mit diesem Los abgefunden, weil sie seit ihrem Comeback wieder spürt, wofür sie sich im Training quält. Bis zu diesem 12. Januar war ihr Ziel, wieder zurückzukehren in den Ring, um zu beweisen, dass sie Grenzen überwinden kann, die unüberwindbar scheinen. Doch jetzt, nachdem dieses Ziel erreicht ist und sich trotzdem in ihrem Leben als Boxerin kaum etwas geändert hat, musste sie sich neue Ziele setzen.

Zwei Gründe gibt es für sie, um weiterzukämpfen. „Zum einen tue ich das, weil mir nichts im Leben bislang ein solches Gefühl gegeben hat wie der Moment, im Ring zu stehen und gewonnen zu haben. Und zum anderen tue ich es, weil ich spüre, wie vielen Menschen ich durch meine Kämpfe Kraft gebe, egal ob ich gewinne oder verliere.“ Zweimal hat sie seit ihrem Comeback geboxt, am 3. August in Laubach, keine 30 Kilometer entfernt von Ulm, und am 7. September in Saarbrücken, beide Male nahm die Öffentlichkeit kaum Notiz von ihren Siegen. Der Kampf in Laubach war Horror, den Druck empfand sie als viel stärker als vor dem Comeback. „Damals hat mir niemand die Niederlage übel genommen. Doch im Kampf nach dem Comeback hätte es für eine Niederlage keine Ausrede mehr gegeben. Ich hätte aufgehört, wenn ich verloren hätte, und deshalb war der Druck enorm“, sagt sie. Sie hielt stand, wohl auch, weil sie das Boxen einfach noch nicht missen will. Weil sie das Kämpfen zu sehr liebt, um es aufzugeben, nachdem sie so hart für die Rückkehr geackert hat.

Bei guter Führung könnte ihr Stiefvater im April 2015 freikommen

Dennoch spürt sie längst, dass es nicht das Boxen ist, das ihr die Achtung der Menschen eingebracht hat. Jeden Tag hat sie außergewöhnliche Erlebnisse, wildfremde Menschen sprechen sie an, umarmen sie, bedanken sich bei ihr für das Beispiel, das sie ihnen ist, ein Beispiel dafür, niemals aufzugeben. Sie bekommt viel Post und viele Anfragen, vor allem von Frauenverbänden, die im muslimisch geprägten Umfeld mit ähnlichen Problemen kämpfen, die Rola mit ihrem Stiefvater erlebt hat. Sie versucht dort zu helfen, wo es ihr sinnvoll erscheint, sie wird seit Kurzem sogar von einer Agentur an Firmen vermittelt, die Motivationsredner suchen. „Vor einem Jahr hätte ich mir nicht träumen lassen, vor Menschen eine Rede zu halten. Jetzt macht mir das richtig Spaß“, sagt sie.

Und wahrscheinlich ist genau das die wichtigste Lehre, die sie aus den Monaten seit ihrem Comeback gezogen hat: dass nicht ihre Karriere sich verändert hat, sehr wohl aber ihr Leben außerhalb des Rings. „Ich bin für viele nicht mehr nur eine Boxerin, sondern eine Frau, die sich durchs Leben kämpft. Die Menschen hören mir zu und nehmen mich wahr, und das ist mir viel mehr wert, als es ein WM-Titel sein könnte“, sagt sie.

Seit dem Tag ihres Comebacks kennt ihr Leben nur noch eine Richtung: aufwärts. Nach zwei Jahren emotionaler Achterbahnfahrt, die bisweilen in tiefsten Tälern stecken zu bleiben drohte, genießt sie dieses Gefühl, keine Depressionen mehr zu haben, kaum noch Panikattacken. Mit ihrem Mann Kosta hat sie in der Ulmer Altstadt eine neue Bar eröffnet, die BaRola, in der sie für die Fans stets ansprechbar ist. „Es geht uns gut, wir sind gesund und genießen unser Leben“, sagt sie, und ihr Blick verklärt sich, als sie diesen Worten nachlauscht.

Natürlich ist da immer noch dieser Wunsch, einen Investor zu finden, der ihr große Kämpfe ermöglicht, sie würde ja gern „eine Legende werden und große Hallen füllen“. Und auch die Gedanken an die Zeit, wenn der Stiefvater aus der Haft entlassen wird, peinigen sie bisweilen. Zu sechs Jahren Gefängnis war er verurteilt worden, bei guter Führung könnte er im April 2015 freikommen. Durch ihren Bruder bekommt sie mit, wie es ihrem Peiniger geht, sie weiß, dass er ihre Kämpfe zur Kenntnis genommen und ihr Buch gelesen hat. „In manchen Momenten scheint er zu begreifen, was er getan hat, aber oft gibt er sich weiterhin als Unschuldslamm und den anderen die Schuld. Er ist derselbe kranke Mann wie früher. Ich habe Angst davor, dass der Ärger wieder losgeht, wenn er rauskommt, und noch mehr, dass er mich um Verzeihung bittet. Ob ich die Kraft aufbringe zu boxen, wenn er wieder auf freiem Fuß ist, weiß ich nicht“, sagt sie.

Aber sie weiß, dass dann etwas anderes, vielleicht sogar Besseres kommen wird. Sie ist ein Stehaufmädchen, das hat sie längst bewiesen. Und sie ist bereit für neue Geschichten.