Vor 25 Jahren gewannen die deutschen Tennisherren erstmals den Daviscup. Carl-Uwe Steeb, der auch bei den weiteren Siegen 1989 und 1993 im Team war, erinnert sich an seine größten Triumphe.

Stuttgart. Zum Gespräch über seine Erinnerungen an die deutschen Daviscupsiege von 1988, 1989 und 1993, die er wie auch Patrik Kühnen allesamt als Teammitglied erlebte, hat Carl-Uwe „Charly“ Steeb in sein Büro in der feinen Mörikestraße mit Blick über die Stuttgarter Innenstadt geladen. Die Charly Steeb GmbH, mit der er hier residiert, wird nach dem Insolvenzantrag im August dieses Jahres gerade abgewickelt, im Dezember ist die Gläubigerversammlung. Wie es danach beruflich weitergeht, kann Steeb, der noch immer die Figur eines Leistungssportlers hat, nicht sagen.

Hamburger Abendblatt: Herr Steeb, beruflich machen Sie gerade eine schwierige Phase durch, Ihre Firma ist insolvent, Ihr Amt als Vizepräsident Leistungssport des Deutschen Tennis-Bundes ist deshalb auch gefährdet...

Carl-Uwe Steeb: Das ist doch heute nicht unser Thema, bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich dazu nicht äußern möchte.

Habe ich. Dennoch die Frage: Helfen Ihnen Ihre Erfahrungen als Leistungssportler, im Leben nach der Karriere besser mit Rückschlägen umzugehen?

Steeb: Mit Sicherheit. Das, was ich als Tennisspieler am besten gelernt habe, war der Umgang mit Niederlagen. Ich habe ja nur drei Turniere gewonnen, bin oft als Verlierer vom Platz gegangen, hatte mal ein Jahr mit zehn Erstrundenniederlagen. Das sind Phasen, die extrem belasten und schwierig sind. Diese Erfahrungen, sich aus solchen Tiefen herausziehen zu können, helfen im jetzigen Berufsleben.

Wir sitzen hier, um über die größten Erfolge Ihrer Karriere zu sprechen. Der erste Daviscupsieg Deutschlands, das 4:1 im Finale gegen den Favoriten Schweden, jährt sich am 16. Dezember zum 25. Mal. Wie oft werden Sie auf dieses Ereignis noch angesprochen?

Steeb: Extrem oft, besonders mein Match gegen Mats Wilander ist fast in jedem Interview, das ich gebe, in jedem Vortrag, den ich halte, ein Thema. Deshalb ist es noch sehr präsent.

Wilander war damals die Nummer eins der Welt, Sie haben ihn in Göteborg im Auftakteinzel in fünf Sätzen besiegt. War es das Match Ihres Lebens?

Steeb: Auf jeden Fall. Mir war das in dem Moment des Sieges noch nicht klar, aber unser Doppelspezialist Eric Jelen kam nach dem Match in die Kabine, wo ich hockte, völlig fertig nach mehr als fünf Stunden Spielzeit, und sagte: ‚Schwabe, das war ein Match für die Ewigkeit, da werden sich viele Menschen ihr Leben lang dran erinnern!’ Realisiert habe ich das erst ein paar Monate später, und richtig einschätzen konnte ich es erst nach Jahren, als ich einzuordnen wusste, wie schwierig es ist, den Daviscup zu gewinnen. Insofern hat dieser erste Titel einen enorm hohen Stellenwert für mich.

Lassen Sie uns zurückblicken auf die Tage vor dem Finale. Sie hatten zwar mit Boris Becker einen Topspieler im Team, Schweden war mit Wilander und Stefan Edberg und dem Heimvorteil aber klarer Favorit. Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Göteborg gereist?

Steeb: Anders als bei normalen Vorbereitungen auf ein Turnier wusste ich ja sechs Wochen vorher, dass wir gegen Schweden spielen würden und dass ich, da auf Sand gespielt wurde, für die Einzel eingeplant war. Deshalb habe ich zunächst zwei Wochen mit meinem Trainer Günther Metzger in Stuttgart auf Sand trainiert, und danach ging es mit dem Daviscupteam nach Neuss zur gemeinsamen Vorbereitung. Schon da war bei mir die Anspannung riesengroß, denn ich wusste ja, dass ich im Blickpunkt stehen würde wie nie zuvor. Das hat mich einerseits gefreut, aber andererseits auch unter Druck gesetzt. Ich habe nie zuvor und auch nie danach wieder eine so intensive Vorbereitung gehabt. Das ging sogar so weit, dass ich eine Woche vor dem Match geträumt habe, wie ich Wilander besiege. Beim Aufwachen habe ich mich dann geärgert, dass es noch so lange hin war bis zum Match. Ich fühlte mich längst bereit!

Wie waren die Stunden vor dem Match?

Steeb: Ich war extrem aufgeregt, habe unseren Teamchef Niki Pilic mit Fragen gelöchert, ob ich nun mit kurzen oder langen Hosen rausgehen soll und solche Dinge. Dann habe ich aus Versehen eine Flasche Cola in meiner Sporttasche ausgeschüttet. Als ich dann auf den Platz ging, wurde mir bewusst: Jetzt gucken alle auf mich! Die ersten Ballwechsel waren hart, aber als ich merkte, dass meine Form da war, ging es immer besser. Nach dem ersten Satz war die schlimmste Nervosität weg, und als ich nach dem 0:2-Rückstand den dritten Satz gewonnen hatte, da wusste ich: Du kannst es packen! Von da an war ich ganz ruhig. Es gab nach dem dritten Satz damals noch eine Pause, wo man in die Kabine gehen durfte. Dort passierte etwas Besonderes. Boris kam zu mir, was ein Spieler normalerweise nicht tut, weil der Trainer redet. Aber er kam und sagte: ‚Charly, du kannst das Ding gewinnen. Dein Rückhand-Cross ist der Schlüssel zum Sieg, das ist der wichtigste Ball.’ Das gab mir einen riesigen Schub, dass der Boris mir Tipps gab und an mich geglaubt hat.

Für einen Tennisspieler, der meist auf sich allein gestellt ist, ist die Umstellung auf den Teammodus nicht leicht. War es für Sie schwierig, sich hinter einem Spitzenmann wie Boris Becker einzuordnen?

Steeb: Natürlich ist das eine Umstellung, denn als Einzelsportler muss man egoistisch sein und auf sich schauen. Aber im Team muss man das ausblenden. Man hat weniger Druck, wenn man nur für sich spielt und keine Verantwortung für ein Team hat. Aber man freut sich allein auch viel weniger über Siege als in einer Mannschaft. Ich habe früher auch gern Fußball gespielt, habe den Daviscup deshalb als schöne Kombination aus Einzel- und Mannschaftssport wahrgenommen und denke, dass mir die Umstellung gut gelungen ist. Manche können das, andere können es gar nicht.

Konnte Becker das?

Steeb: Ja, weil er wusste, dass er den Daviscup nicht allein gewinnen kann, er war auch auf das Team angewiesen. Wir haben uns natürlich auch auf Boris eingestellt, weil es von uns anderen den Druck genommen hat zu wissen, dass wir einen Spieler hatten, der in guter Verfassung nahezu unschlagbar war. Uns war klar: Wenn wir mitziehen, können wir den Titel gewinnen. Deshalb waren wir bestrebt, alles zu tun, damit es Boris gut ging.

Was haben Sie denn getan, um ihn bei Laune zu halten?

Steeb: Boris spielte zum Beispiel im Training sehr ungern Sätze, er wollte einen schlechten Trainingssatz vermeiden. Niederlagen, auch wenn es nur im Training war, waren für sein Selbstvertrauen nicht gut. Deshalb hat Pilic manchmal Trainingssätze abgebrochen, wenn es nicht gut für Boris lief. Wir alle haben das akzeptiert.

Niki Pilic hat mal gesagt, dass das Geheimnis des damaligen Teams darin lag, dass er alle gleich behandelt habe. Wenigstens hätten die anderen Spieler nicht gemerkt, dass er mit Becker intensiver geredet habe.

Steeb: Das stimmt so natürlich nicht, wir haben schon gewusst, dass für Boris andere Regeln galten als für uns. Aber wir waren clever genug, das zu akzeptieren, denn wir wussten, wie wichtig Boris für das Team war. Ich glaube, das Geheimnis der Mannschaft lag darin, dass jeder sich seiner Rolle bewusst war. Wir waren nicht alle gleich, und das haben wir akzeptiert. Außerdem waren wir alle in einer Generation aufgewachsen, kannten uns aus der Jugendzeit. Ich kann das aus meiner Erfahrung beurteilen, wie wichtig es ist, dass es zwischenmenschlich stimmt in einem Team, und das war bei uns der Fall. Wir waren alle Freunde, da passte kein Blatt dazwischen. Wir hatten immer riesigen Spaß zusammen.

Nachdem Sie Wilander besiegt hatten, mussten Sie auf der Bank zuschauen, wie Becker Edberg schlug, und auch, wie das Doppel Becker/Jelen dann einen Tag später den entscheidenden dritten Punkt holte. Wie ist das, zusehen zu müssen, wie der eigene Sieg so schnell verblasst, weil andere die Heldenrolle übernehmen?

Steeb: So habe ich wirklich nicht gedacht. Ich musste auf der Bank ja bis zuletzt den Fokus auf den Sonntag halten, wo mein Match gegen Edberg noch entscheidenden Charakter hätte haben können. Edberg lag mir nicht, ich hatte mir gegen ihn viel weniger Chancen ausgerechnet als gegen Wilander. Umso erleichterter war ich, als Boris und Eric den Sack zumachten. Man hat in diesen Momenten überhaupt nicht die Zeit und Muße, irgendetwas zu reflektieren oder zu verarbeiten. Das kam erst viel später.

Zunächst wurde sicherlich kräftig gefeiert. Sie wurden sogar vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker empfangen.

Steeb: Wir hatten am Sonnabend das offizielle Bankett, danach sind wir auch zu Bett gegangen, weil Sonntag ja noch gespielt wurde. Die Nacht von Sonntag auf Montag haben wir in einer Göteborger Disco durchgemacht, ich habe keine Minute geschlafen. Dann sind wir am Montag nach Köln oder Düsseldorf geflogen, um von dort nach Bonn zum Bundespräsidenten gebracht zu werden. Ich saß mit Patrik Kühnen in einem Auto, wir hatten den Pokal im Kofferraum, aber unser Fahrer hat sich verfahren, so dass wir eine Stunde zu spät kamen. Weil wir den Pokal hatten, mussten alle auf uns warten, auch Herr von Weizsäcker. Das war uns vielleicht peinlich! Von der Ehrung weiß ich nicht mehr viel. Ich war 21, damals hat man das so an sich vorbeirauschen lassen. Im Nachhinein finde ich das natürlich schade.

Haben Sie das Match gegen Wilander oft auf Video angeschaut?

Steeb: In voller Länge noch nie, aber in Ausschnitten drei- oder viermal, vor allem mit meinen Söhnen, die das mal sehen wollten. Ich erinnere mich aber noch an viele Details, ich weiß noch genau, was ich anhatte, und ich erinnere mich vor allem an alle Freunde und Menschen, die vor Ort und im Teamumfeld waren. Das war schon ein sehr intensives Erlebnis damals.

Ein Jahr später haben Sie in Ihrer Heimat Stuttgart den Titel durch ein 3:2 gegen Schweden erfolgreich verteidigt, aber Ihre beiden Einzelmatches gegen Wilander und Edberg verloren. Trübt das die Erinnerungen?

Steeb: Gar keine Frage, man empfindet einen solchen Triumph als nicht so großartig, wenn der persönliche Beitrag nicht so hoch war. Ich sehe aber den Gesamtzusammenhang. In Stuttgart war der Druck für mich immens, die Euphorie war riesig. Aber ich hatte im Halbfinale beim 3:2 in den USA Andre Agassi geschlagen, beim 3:2 im Viertelfinale in der Tschechoslowakei Karel Novacek. Ich hatte meinen Beitrag an anderer Stelle zur Titelverteidigung geleistet. Und im Finale hat Boris es dann fast allein gerichtet, er hat wohl das beste Tennis seines Lebens gespielt. Nicht zu vergessen die super Leistung von Eric im Doppel.

1993, beim 4:1-Finalsieg gegen Australien in Düsseldorf, waren Sie im Aufgebot, kamen aber nicht zum Einsatz. Es war das Jahr von Michael Stich. Hat auch er sich als Topspieler gut ins Team integriert?

Steeb: Ja, auf eine andere Art als Boris, aber auch er hat den Teamgedanken gelebt. Michael und Marc-Kevin Goellner haben die Einzel gespielt. Ich hatte mich in der Vorbereitung auf das Halbfinale am Knie verletzt, war zum Finale dann zwar wieder fit, aber kam nicht zum Einsatz. Deshalb hat dieser Triumph unter den drei Daviscupsiegen für mich persönlich den niedrigsten Stellenwert.

Bei allen drei Titelgewinnen war Niki Pilic Ihr Teamchef. Welche Rolle hat er gespielt?

Steeb: Das wichtigste Element war sein unbändiger Ehrgeiz, er hat uns allen vorgelebt, nie mit dem Erreichten zufrieden zu sein. Wir waren immer optimal vorbereitet, hatten einen riesigen Respekt vor ihm, und dennoch hat Niki es geschafft, eine Atmosphäre zu kreieren, in der Spaß und Humor einen hohen Stellenwert hatten. Diese Kombination aus Spaß und Autorität hat uns die Sicherheit gegeben, die wir brauchten, um zu siegen.

Sie wurden 1998 dann selbst für vier Jahre Daviscup-Kapitän. Was haben Sie versucht, von Pilic zu übernehmen, und was wollten Sie anders machen?

Steeb: Ich habe versucht, mit gemeinsamen Trainingslagern und Mannschaftsabenden die Atmosphäre herzustellen, die ich von damals kannte. Aber das ist leider nicht gelungen, auch weil die Spieler jener Generation so unterschiedlich waren. Tommy Haas und Nicolas Kiefer kamen aus grundverschiedenen Richtungen, deshalb war es unheimlich schwierig, das zu vermitteln.

Bereuen Sie das?

Steeb: Nein. Vielmehr tut es mir leid für die Jungs, dass sie dieses Teamerlebnis damals nicht erfahren haben. Die sportliche Qualität war mit Sicherheit gegeben. Ich habe auch versucht zu vermitteln, dass es nicht viele Chancen in einer Karriere gibt, um den Daviscup zu gewinnen, und dass man dafür persönliche Interessen auch mal zurückstellen muss. Aber sie waren damals sehr jung und nicht komplett bereit dazu. Heute sehen sie das bestimmt auch anders.

Haas soll 2014 zum Erstrundenmatch gegen Spanien ins Daviscupteam zurückkehren. Mit ihm, Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer wäre Klasse genug da, um weit zu kommen. Aber sind Haas und Kohlschreiber nicht zu verfeindet, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen?

Steeb: Nein, ich denke, dass beide mittlerweile derart gereift sind, um zu wissen, dass die Möglichkeiten, den Daviscup zu gewinnen, nicht mehr werden. Sie sind definitiv in der Lage, persönliche Animositäten, die es vielleicht mal gab, zum Wohle des Teams zurückzustellen. Zudem ist für einen Sieg sicher auch Losglück in Bezug auf Gegner und Heimvorteil notwendig.

Der Unterschied zu 1988 ist aber, dass es persönliche Animositäten gibt.

Steeb: Die gab es sicher mal in der Vergangenheit. Heute ist das nach meiner Einschätzung kein Thema mehr. Teamchef Carsten Arriens kann mit Sicherheit von einem guten Teamspirit ausgehen, egal wen er nominiert.

Lassen Sie die Kameradschaft mit dem 1988er-Team zum 25. Jubiläum aufleben? Gibt es ein Ehemaligentreffen?

Steeb: Wir versuchen uns jedes Jahr zu treffen, schaffen es diesmal aber erst im Januar 2014. Dann wird über aktuelle Themen geredet, aber auch über die vielen alten Geschichten.

Mit wem haben Sie über die Jahre den besten Kontakt gehalten?

Steeb: Mit Eric Jelen vor allem, mit Patrik Kühnen, mit dem ich auch beruflich zu tun hatte. Und mit Boris habe ich guten, wenn auch nicht regelmäßigen Kontakt. Er ist Patenonkel meines Sohnes, ich bin Pate seines Sohnes. Da trifft man sich schon ab und an.

Und wie beurteilen Sie dann die öffentliche Selbstdemontage, die Becker derzeit betreibt?

Steeb: Bitte verstehen Sie, dass ich das nicht kommentieren möchte.

Ihr Leben hängt auch weiterhin eng mit dem Tennis zusammen, Sie waren von 2007 bis 2009 Turnierdirektor am Hamburger Rothenbaum, waren Veranstalter der BMW Open in München, sind im Verband Vizepräsident. Warum lässt das Tennis einen nicht mehr los?

Steeb: Tennis ist und bleibt meine Leidenschaft. Deshalb interessiert es mich auch, in den verschiedenen Bereichen des Sports tätig zu sein. Das wird weiterhin meine Zukunft sein.