Boxprofi Denis Boytsov vergab die Chance auf einen WM-Kampf – und sagt an diesem Montag im Kluch-Prozess aus

Bamberg. Außergewöhnliches muss passieren, um aus einem 102,8 Kilogramm schweren Kerl mit Armen wie Baumstämme ein Häufchen Elend zu machen. Ein Blick auf die Teammitglieder in seiner Ecke und seine Promoter und Manager in der ersten Reihe genügte allerdings, um zu wissen, was dieses Häufchen Elend in der Nacht zu Sonntag in der Brose Arena angerichtet hatte. Man hatte damit rechnen müssen, dass Alex Leapai der härteste Prüfstein für Denis Boytsov werden würde. Aber dass der russische Schwergewichts-Boxprofi in seinem ersten Kampf für das Berliner Sauerland-Team eine solch ernüchternde Pleite einstecken müsste, hatte wohl niemand einkalkuliert.

Mit einem Sieg über den in Samoa geborenen Australier hätte der zuvor in 33 Profikämpfen unbesiegte 27-Jährige wenigstens formal den Anspruch auf eine WM-Chance erfüllt. Der Weltverband WBO hätte Boytsov als Pflichtherausforderer für Dreifach-Weltmeister Wladimir Klitschko akzeptiert. Stattdessen muss er sich nach seiner so deutlichen wie verdienten Punktniederlage (90:98, 92:96, 92:96) erst einmal ganz hinten anstellen. „Ich muss es so hart sagen: Diese Niederlage erspart uns immerhin eine Blamage gegen Klitschko“, sagte Kalle Sauerland, Juniorchef des Berliner Stalls. Geschäftsführer Chris Meyer sagte: „Wir werden Denis jetzt behutsam aufbauen. Er braucht fünf bis sechs Kämpfe, bevor wir wieder an eine WM denken können.“

Natürlich, Boytsov ist mit seinen 27 Jahren noch ein junger Hüpfer im Schwergewicht, wo die Klitschko-Brüder mit 37 und 42 Jahren regieren. Dennoch darf man von einem Mann, der vor neun Jahren beim Hamburger Universum-Stall Profi wurde, mehr erwarten als das, was er gegen Leapai zeigte, einen etwas dicklich wirkenden, langsamen und technisch limitierten Boxer.

Erschreckend war, dass von der Explosivität, die Boytsov in den Anfangsjahren seiner Karriere ausgezeichnet hatte, nichts zu sehen war. Stattdessen machte er den taktischen Fehler, sich auf ständiges Klammern und Schieben einzulassen, was gegen einen zehn Kilogramm schwereren Kontrahenten zu viel Kraft kostet. Kraft, die ihm für Wirkungstreffer fehlte.

Nach der ersten Niederlage seiner Karriere steht Boytsov am Scheideweg. Vielleicht rächt sich, dass ihm bei Universum zu lange echte Prüfsteine aus dem Weg geräumt wurden. Natürlich haben ihn diverse Verletzungen in den vergangenen Jahren zurückgeworfen, eine komplizierte Handoperation hätte das Karriereende bedeuten können. In welch erschreckender Form er sich jedoch präsentierte, war schockierend. „Ich hätte mich mehr bewegen müssen, aus der Distanz boxen müssen. Aber meine Beine sind stehen geblieben, also muss ich härter trainieren“, sagte er.

Das muss er wohl, und er muss vor allem die Geister der Vergangenheit endlich abschütteln. Nach der Geschäftsübergabe im Universum-Stall von Gründer Klaus-Peter Kohl an Waldemar Kluch im Juli 2011 war um den als Zugpferd eingeplanten Russen ein Streit entbrannt, der derzeit Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gegen Kluch vor dem Landgericht Hamburg ist. Im Zuge dieses Konflikts war Boytsov nach Morddrohungen psychisch angeschlagen, nach der Insolvenz Universums im November 2012 hatte er sich endgültig losgesagt und im Juli dieses Jahres bei Sauerland unterschrieben.

An diesem Montag muss er nun als Zeuge gegen den wegen räuberischer Erpressung angeklagten Kluch aussagen. Sein persönlicher Berater Gagik Khachatryan, der ebenfalls als Zeuge geladen ist, bestätigte, dass dieses Gerichtsverfahren die Vorbereitung auf den Kampf beeinträchtigt habe. „Denis hat mich ständig gefragt, was da auf ihn zukommt“, sagte Khachatryan, der diese Belastung allerdings nicht als Entschuldigung gelten lassen wollte. „Wenn man gegen Klitschko boxen will, hat man ganz anderen Druck. Denis hat jetzt gemerkt, dass es noch andere starke Gegner gibt und dass er einfach härter arbeiten muss.“

Während alle an das Potenzial Boytsovs glauben, dürfte die Karriere eines anderen in Hamburg lebenden Weltklasseboxers vor dem Ende stehen. Der Russe Alexander Alekseev, lange Universum-Stallkollege Boytsovs und seit 2011 beim Hamburger EC-Stall unter Vertrag, vergab gegen Sauerlands IBF-Cruisergewichtschampion Yoan Pablo Hernandez seine erste WM-Chance. Nach zwei Niederschlägen in den Runden zwei und fünf kam der 32-Jährige bravourös zurück und hatte den Titelverteidiger am Rande eines Knock-outs. Doch dann beendete ein rechter Kinnhaken aus dem Lehrbuch nach 95 Sekunden in Runde zehn das hochklassige Duell zugunsten von Hernandez.

Während sich alle Beteiligten einig waren, „Werbung für das Boxen“ gesehen zu haben, wird Trainer Fritz Sdunek seinem Schützling das Karriereende nahelegen. Alekseev, der mit seiner Frau und den zwei Söhnen in Hamburg lebt, hat dank eines in Russland abgeschlossenen Jurastudiums gute Perspektiven für ein Leben nach dem Boxen. Das hat er Denis Boytsov immerhin voraus.