Hockey-Ass Moritz Fürste plädiert für eine Hamburger Olympiabewerbung. Der 29-Jährige spricht zudem über seine Erfahrungen im Ausland, das vergangene Jahr und seine Pläne.

Am Dienstagabend war Moritz Fürste, 29, einer der vier Gastgeber von „Anstoß! Hamburg“ im Dorint Hotel Hamburg-Eppendorf. Der zweimalige Hockey-Olympiasieger aus Hamburg sprach hier vor Sportlern, Funktionären, Wirtschafts- und Medienvertretern. Zuvor nahm er sich Zeit für ein Interview über seine Erfahrungen, Pläne und Meinung zu einer Hamburger Olympiabewerbung.

Herr Fürste, hinter Ihnen liegen sehr aufregende Monate. Angefangen mit dem Olympiasieg Ende August 2012 in London, über den Gewinn der indischen Meisterschaft im Februar und dem spanischen Vizemeistertitel im Mai bis hin zum EM-Triumph im August. Wann waren Sie an dem Punkt angelangt, an dem Ihnen Hockey zum Hals heraushing?

Moritz Fürste: So richtig extrem war es bei mir noch nie der Fall, dass ich keinen Bock mehr auf Hockey hatte. Aber wenn nach der Europameisterschaft die Euphorie nicht so groß gewesen wäre, zu meinem Heimatverein Uhlenhorster HC zurückzukehren, dann wäre es sicher sehr hart geworden. Schließlich hatte ich seit September 2012 nie mehr als zwei Wochen am Stück Hockey-frei.

Haben Sie sich zwischendurch einmal die Zeit genommen, die vielen Eindrücke zu verarbeiten und zu ordnen?

Nein, dazu war keine Gelegenheit, es ging ja immer sofort weiter. Ich bin jemand, der im Internet eine Menge Hockeyspiele aus anderen Ligen guckt, um sich weiterzubilden. Aber ich habe mir noch keine Bilder vom Olympiasieg angeschaut, auch keine aus Indien. Ich würde auch sehr gern den Film der WM 2006 anschauen, als meine Karriere richtig begann. Aber die Highlights meiner Laufbahn bewahre ich mir wohl für später auf, wenn ich mit etwas Abstand auf alles zurückblicke und mich erinnere.

Lassen Sie uns dennoch versuchen, das Erlebte einzuordnen. Jeder denkt, die Erfahrungen in Indien, wo Sie in der neu gegründeten Profiliga HIL mit den Ranchi Rhinos Meister wurden, waren die prägendsten der vergangenen Monate. War dem tatsächlich so?

Indien war auf jeden Fall die größte Umstellung, eine völlig andere, krasse Welt. Aber auch meine Zeit in Spanien war immens wichtig für mich, weil ich dort gezwungen war, mir ein Alltagsleben aufzubauen. Ich war dort neun Monate, in Indien nur knapp zwei, da war ich eher wie ein Tourist, in Spanien war ich wie ein Einheimischer. Ich bin ja ins Ausland gegangen, weil ich erleben wollte, wie es ist, dauerhaft in einer anderen Kultur zu leben. Die menschliche Weiterentwicklung stand vor der sportlichen. Und von daher muss ich sagen, dass mich Spanien unheimlich weitergebracht hat.

In welcher Hinsicht?

Es ist total interessant, mal von außen auf sein angestammtes Umfeld zu schauen. Ich habe einen ganz neuen Blick auf Hamburg und den UHC bekommen, sehe einige Dinge, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich, jetzt objektiver und sachlicher als früher. Und der positive Effekt war, dass ich gespürt habe, wie sehr ich Hamburg liebe. Ich hatte zwar kein Heimweh, aber ich habe die Lebensqualität der Stadt sehr vermisst, und das, obwohl ich mit Madrid ja wahrlich keine schlechte Alternative hatte.

Gibt es etwas, das Sie nun, da Sie Ihre Auslandserfahrung gesammelt haben, an Deutschland richtig stört?

Der Neid und der Sarkasmus, den man hier oft spürt. Hier kriegt man oft einen blöden Spruch, wenn man erzählt, dass einem etwas gut gelungen ist. In Spanien nehmen die Leute mehr Anteil, sie sind offener, aber auch oberflächlicher. In Indien gibt es gar keinen Neid, was aber auch daran liegt, dass die Menschen dort in ihrem Kastensystem verharren und glauben, dass sich für sie nichts ändert in diesem Leben. Da macht Neid auch wirklich keinen Sinn.

Ende Januar kehren Sie nach Indien zurück und spielen wieder für Ranchi. Freuen Sie sich schon darauf, oder hat Ihnen die eine Saison gereicht?

Nein, ich freue mich, außerdem habe ich ja einen Dreijahresvertrag, der mir sehr gutes Geld einbringt (66.000 Euro, d. Red.). Ich habe viel Kontakt, vor allem zu den anderen internationalen Spielern, wir werden uns diesmal viel besser vorbereiten auf das, was uns erwartet.

Sie hätten im Sommer auch in Spanien bleiben oder in die niederländische Liga, die beste der Welt, wechseln können. Warum haben Sie sich für die Rückkehr zum UHC entschieden, und war das die richtige Entscheidung?

Definitiv, die Euphorie in der Mannschaft, der Hunger nach Erfolg ist riesig. Ein gewichtiger Grund für meine Rückkehr war, dass mit Kais Al Saadi ein neuer Trainer verpflichtet wurde, den ich sehr schätze. Er ist ein absoluter Profi, ich glaube, dass in Hamburg kein anderes Sportteam professionellere Vor- und Nachbereitung von Spielen betreibt. Wenn ich von einem Spiel nach Hause komme, habe ich in meinem Posteingang schon einen Zusammenschnitt von wichtigen Spielszenen, und die bekommt jeder Spieler individuell. Kais hat eine Menge Schwung reingebracht, und auch wenn eine gewisse Eingewöhnung nötig war, haben sich beide Seiten jetzt so aufeinander zubewegt, dass es optimal passt.

Dann dürfte dem ersten Feldmeistertitel ja nichts im Weg stehen. Immerhin überwintern Sie als Tabellenführer.

Da der Titel an einem Wochenende im Final Four vergeben wird, werde ich mich mit Prognosen zurückhalten, denn da kann so viel passieren. Fakt ist, dass wir noch nie Hauptrundenmeister waren und das gern werden würden, um die Qualifikation für die EHL zu sichern. Und dass wir die Qualität haben, um den Titel zu gewinnen, glaube ich auch. Aber die haben auch noch vier, fünf andere Clubs.

Steht für Sie denn der Meistertitel im Feld ganz oben auf der Agenda 2014, oder ist der WM-Titel, der im Juni in den Niederlanden vergeben wird, das höchste Ziel?

Ich werde alles daran setzen, beide Titel zu holen, denn ich habe noch nie verglichen, welcher wichtiger für mich ist. Und es wäre auch Unsinn, die WM mit der deutschen Meisterschaft zu vergleichen, das sind fast zwei unterschiedliche Sportarten. Klar ist, dass wir beim UHC genauso heiß auf den Titel sind wie in der Nationalmannschaft, denn die meisten, die jetzt Europameister und Olympiasieger sind, waren noch nie Weltmeister. Das Turnier in Holland wird für alle ein absoluter Höhepunkt der Karriere.

Als Sie sich im September 2011 das Kreuzband gerissen hatten, hätten Sie damals geglaubt, dass noch so viele Titel auf Sie warten würden? Oder war die Verletzung sogar die Pause, die Sie brauchten, um auch mental wieder zu Kräften zu kommen?

Darüber habe ich tatsächlich oft nachgedacht. Ich glaube, dass mir die Pause sehr gut tat, weil ich in der Reha einen wahnsinnigen Willen und Ehrgeiz entwickelt habe, der mir gezeigt hat, dass ich unbedingt Hockey spielen will. Ich habe schon immer mehr trainiert, als andere von mir gedacht haben, aber in der Phase habe ich gespürt, was ich wirklich wollte. Ich war 2011 bei der Heim-EM zum besten Spieler gewählt worden, und gefühlt habe ich kurz vor der Verletzung auch mein bestes Hockey gespielt. Viele haben, als ich im vergangenen Jahr zum Welthockeyspieler des Jahres gewählt wurde, gesagt, dass ich es eher 2011 verdient gehabt hätte. Umso glücklicher bin ich, dass ich es geschafft habe, wieder annähernd an das Niveau heranzukommen, auf dem ich vor dem Kreuzbandriss war.

In Phasen langer Verletzungen denkt man zwangsläufig auch über Alternativen zum Sport nach. Welche haben Sie gefunden?

Als Hockeyspieler denkt man ja grundsätzlich immer daran, dass man Geld verdienen muss. Ich schließe in diesem Winter, in dem ich auf die Hallensaison verzichte, mein Studium der Wirtschaftspsychologie ab, und dann werde ich schauen, was sich beruflich ergibt. Aber ich werde sicherlich noch einige Jahre Hockey spielen, vielleicht auch noch einmal im Ausland. Das Thema ist noch nicht abgehakt, und ich habe den Respekt davor durch das Jahr in Spanien total verloren.

Ist es für Sie denkbar, als Trainer Ihre Erfahrungen weiterzugeben?

Ich würde das nicht ausschließen, habe mit meinem Konditionstrainer Rainer Sonnenburg ja schon eine Hockeyakademie gegründet, in der ich genau das tue. Aber mein Ziel ist eher, nach der aktiven Karriere Abstand vom Hockey zu gewinnen. Vorstellen kann ich mir, im Funktionärsbereich tätig zu werden. Und auch dem UHC werde ich immer verbunden bleiben.

Liegt die Unlust am Trainerberuf auch daran, dass dort so schlecht verdient wird? Gerade kürzlich hat sich eine Trainerkommission gegründet, um den Bundestrainern in Deutschland zu mehr Anerkennung zu verhelfen. Wie sehen Sie dieses Thema?

Ich sehe diese Probleme, ganz klar, aber das betrifft nicht nur die Trainer, sondern auch die Athleten. Es fehlt in Deutschland leider die Bereitschaft, den Sport so zu fördern, wie es sein müsste, um mit der Weltspitze mitzuhalten. Im Hockey ist es so, dass in England, Australien oder den Niederlanden so viel Geld fließt, dass die Spieler Vollprofis sind und sich komplett auf den Sport konzentrieren können. Wir sind dagegen an der unteren Grenze. Für die Trainer ist besonders bitter, dass sie keine Planungssicherheit haben.

Was würden Sie ändern?

Ich denke, dass man Bundestrainer durchaus mit Lehrern gleichstellen müsste, sowohl vom Beamtenstatus her als auch von der Bezahlung. Ab einem gewissen Level haben Trainer mindestens genauso viele soziale Kompetenzen wie Lehrer, und sie vermitteln im Sport andere Werte als in der Schule, die sicherlich nicht weniger wichtig für die Gesellschaft sind. Es muss auf jeden Fall ein Umdenken stattfinden, denn es geht nicht, dass alle vier Jahre zu Olympischen Spielen gefordert wird, dass Deutschland im Medaillenspiegel vorn liegt, und dann zu klagen, wenn das nicht klappt, obwohl jeder die Gründe dafür kennt. Langfristig geht das nicht gut.

Die Frage ist, wie wichtig den Deutschen Olympische Spiele überhaupt noch sind. Die Ablehnung der Münchner Bewerbung für die Winterspiele 2022 könnte man als Zeichen werten.

Ich persönlich halte das für völligen Quatsch, ebenso wie die verbreitete Meinung, dass das eine Abstimmung gegen das Gebaren des IOC war. Meiner Meinung nach wollten die stramm konservativen Olympia-Gegner keine Veränderungen, weil sie in einer reichen Region leben und sich pudelwohl fühlen. Ich finde es aber einfach nur kurzsichtig und egoistisch, dass diese Leute dem ganzen Land die Chance genommen haben, das größte Sportereignis der Welt auszurichten und sich dadurch enorm zu entwickeln.

Die Menschen scheinen aber zu fürchten, dass das IOC nur Geldmacherei betreibt, ein eventuelles Minus aber auf den Steuerzahler umgelegt wird.

Ich bezweifle, dass wirklich viele so denken. Es setzt sich doch kaum jemand mit der Thematik auseinander. Ich bin überzeugt davon, dass ein Land wie Deutschland, das solide wirtschaftet und plant, durch Olympische Spiele keine finanziellen Einbußen erleiden würde. Im Gegenteil: Die Chancen überwiegen bei weitem das Risiko.

Fürchten Sie auch, dass Olympische Spiele in Zukunft eher in Staaten stattfinden, die entweder im Geld schwimmen oder die Spiele zu politischen Propagandazwecken missbrauchen?

Nein, ich sehe diesen Trend nicht. 2016 sind wir in Rio de Janeiro, vier Jahre später in Tokio. Es werden ja immer schnell Horrorszenarien aufgebaut, aber meistens ist das heiße Luft. Denken Sie an London 2012. Was wurde davor alles geunkt, dass es eine Verkehrskatastrophe geben würde. Und was ist passiert? Nichts, alles hat funktioniert. Natürlich mussten die Menschen längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Aber dazu sind sie bereit, weil sie sehen, wie toll es ist, Olympiagastgeber zu sein.

Wenn man Sie so schwärmen hört: Muss Hamburg sich noch einmal um die Austragung der Sommerspiele bewerben?

Auf jeden Fall! Wer die Fußball-WM 2006 noch im Kopf hat, der erinnert sich liebend gern an die Abende in der Stadt zurück, als alle gemeinsam gefeiert haben. Was für eine tolle Stimmung das war! Und das könnte Olympia mit der Potenz 20 übertreffen, denn dann sind Menschen aus allen Ländern dabei und feiern gemeinsam ein riesiges, buntes Fest. Es wäre zudem eine wirtschaftliche Chance für die Stadt, die über Jahrzehnte wirken kann. Eine Stadt, die Olympiagastgeber war, ist für immer in aller Welt bekannt und ein Touristenmagnet.

Es gibt viele Menschen, denen das zu groß erscheint, die nicht wollen, dass Hamburg einen solchen Status bekommt.

Leider gibt es zu wenige Menschen, die wirklich beurteilen können, wie großartig es ist, Olympische Spiele zu erleben. Jeder, der es kann, und ich zähle glücklicherweise nach zwei Teilnahmen dazu, der wird alles dafür tun, damit seine Heimatstadt Gastgeber sein kann. Ich wünsche jedem Hamburger von Herzen, das erleben zu können.

Ist Hamburg denn wirklich bereit dazu, Olympische Spiele auszurichten?

Das kann ich heute nicht beurteilen, aber wir reden ja frühestens über die Spiele 2024, eher 2028. Das sind noch 15 Jahre. Deshalb sage ich: Hamburg ist auf jeden Fall in der Lage, vernünftig zu planen und sich ordentlich vorzubereiten. Wir sind bereit, bereit zu werden.