3100 Kilometer durch Mexiko: Für viele Rennsport-Fans ist das Ende Oktober stattfindende Oldtimer-Rennen Carrera Panamericana das Höchste. Auch für das Ehepaar Haase aus Hamburg.

Die Wasseroberfläche in den Pfützen kräuselt sich. Als sei etwas ziemlich Großes in Anmarsch. Wie in Steven Spielbergs „Jurassic Park“, als der Tyrannosaurus Rex aus dem Dschungel prescht. Doch das hier ist kein Kino. Es ist das größte Abenteuer, das man mit dem Auto erleben kann.

Tausende Pferdestärken wiehern durch die Straßen der Hafenstadt Veracruz am Golf von Mexiko: 113 für den Rallyesport optimierte Oldtimer rollen an den Start. Die jüngsten sind Baujahr 1974, die ältesten aus den 40er-Jahren, die wertvollsten eine Million Euro teuer.

Am Steuer der schönen und schnellen Schlitten: 112 Männer und eine Frau. Viele sind erfahrene Rennfahrer – unter ihnen der frühere deutsche Formel-1-Pilot Jochen Mass und McLarens langjähriger Teammanager Jo Ramirez. Und zwei Hamburger. Christine und Albrecht Haase. Dem Unternehmer-Ehepaar jagt der bissige Motorensound keinen Schrecken ein. Sie machen schon zum vierten Mal mit. Seit 2006 alle zwei Jahre wieder. Sie seien vom „Carrera-Virus“ infiziert, sagen sie.

Wir sind beim schnellsten, härtesten und verrücktesten Oldtimer-Straßenrennen der Welt, bei der legendären Carrera Panamericana.

Sieben Tage und 3000 Kilometer durch Mexiko

Wie jedes Jahr Ende Oktober geht die Rallye, nach der Sportwagen, Luxusuhren und Kinderzimmer-Rennbahnen benannt worden sind, über sieben Tage und gut 3000 Kilometer quer durch Mexiko. Diesmal von Veracruz im Süden bis in die alte Silberstadt Zacatecas im Norden. Durch Wüste und Dschungel, Hochgebirge und Prärie. Bei Temperaturen von Biosauna bis Kühlschrank.

Nord,- Mittel- und Südamerikaner sind hier stark vertreten. Und Europäer, zwölf Teams allein aus Deutschland sind am Start. Für die meisten ist die Carrera das, was für einen Bergsteiger der Mount Everest ist: das Höchste, das Größte, der Höhepunkt ihrer Rennsportkarriere.

1950 wurde die „Panam“ das erste Mal gestartet. Am Steuer damals: Asse wie Hans Herrmann, John Fitch, Weltmeister Juan Manuel Fangio. Anfangs war die Carrera ein Kräftemessen für Neuwagen. Ferrari, Lancia, Oldsmobile gewannen. 1952 landete Mercedes einen Doppelsieg – mit den legendären 300 SL-Flügeltürern. Das Gewinnerteam: Karl Kling und Hans Klenk. Trotz Geiereinschlags durch die Windschutzscheibe, der dem Copiloten Klenk kurz das Bewusstsein raubte, kachelten die beiden als erste über die Ziellinie und setzten einen wichtigen Meilenstein in der Mercedes-Rennsportgeschichte.

Hier weht noch der alte Rennsport-Geist

„Die Carrera ist ursprünglich, wild, ehrlich“, sagt Albrecht Haase, 63, aus seinem grauen Jaguar MK 1 mit Hamburger Nummernschild, Baujahr 1958, 220 PS, 240 Sachen Höchstgeschwindigkeit, heraus. „Über ihr weht noch der alte Rennsport-Geist.“ Er und Kopilotin Christine, 60, sind seit 26 Jahren verheiratet und genauso lange Inhaber eines auf Osteuropa und die russische Förderation spezialisierten Handelsunternehmens, das 80 Mitarbeiter beschäftigt und in 28 Ländern tätig ist.

Die Hanseaten bringen vornehmlich Bübchen-Babypflegeprodukte und Dallmayr-Kaffee in die Kaufhäuser, Supermärkte und Apotheken zwischen Moskau, Kiew, Ulan Bator und Wladiwostok. Sie kümmern sich um Transport und Zulassung der Ware, ebenso wie um den Druck der Etiketten in Landessprache. „Wir sind besondere Herausforderungen gewohnt und kennen uns aus auf schwierigem Terrain“, sagt Albrecht Haase. „Wir werden auch Mexiko meistern“, erwidert seine Frau.

Dann geht’s los. Stotternde Studebaker (bis 900 PS unter der Haube und 310 Stundenkilometer schnell), obertourige Oldsmobiles, bollernde Buicks und BMW, lärmende Lincoln, aufbrausende Alfas, dröhnende Datsuns, motzende Mustangs und Mercedes, knatternde Corvettes, prustende Porsche und jaulende Jaguar gehen im Abstand von 30 Sekunden auf die Strecke.

Lizenz zum Rasen

Fünf bis zehn Speed-Etappen gibt es pro Renntag, etwa fünf bis 30 Kilometer lang. Doch auch bei den täglich viele hundert Kilometer langen Transferstrecken kacheln die Piloten wie bei einer Verfolgungsjagd im Agentenkrimi. Sonst verpassen sie den nächsten Start, kriegen Strafzeiten aufgebrummt. Die Speed-Etappen sind für den normalen Verkehr gesperrt, die Pisten dorthin nicht. Für die Rennfahrer sind trotzdem alle Verkehrsregeln außer Kraft gesetzt. Sie besitzen in der Carrera-Woche die behördlich geduldete Lizenz zum Rasen.

Dafür sind die Sicherheitsbestimmungen extrem hoch: In die Überrollkäfige sind 24 Meter Stahlrohr verarbeitet. Kopfrückhaltesystem, Vierpunktgurte, Fangnetze, Feuerlöschanlagen sind Pflicht. Darauf achte die Veranstalter mit Argusaugen. Ansonsten herrscht Ausnahmezustand auf dem Asphalt.

Aufsichtsräte werden zu Adrenalin-Junkies, Besonnene zu Bleifüßen, Ruhige zu Rasenden, Distinguierte zu Desperados. Und die Haases nennen ihren Jaguar jetzt „Rennsau“. Er ist am Steuer für die Geschwindigkeit verantwortlich, sie mit dem Roadbook auf den Knien für die Sicherheit. Einige schinden ihre Autos, als gebe es kein morgen mehr. Mancher Pilot kennt nur noch eine Pedalstellung: Vollgas. Und bei den Zwischenstopps immer wieder die bangen Fragen: Wer und wie? Wer ist von der Straße geflogen – und wie geht es ihm?

Stresstest für Mensch und Maschine

Unfälle gibt es einige, meist mit glücklichem Ausgang. Auf einer Achterbahn-Etappe rauschen gleich fünf Wagen hintereinander 20 Meter ins Tal hinunter. Doch alle Piloten kommen mit Kratzern davon. Ein am Unfall beteiligter US-Amerikaner nimmt das Rennen tags darauf sogar wieder auf. „Darum geht es“, erklärt er in völlig verbeultem Blech sitzend. „Du kommst vom Weg ab und kämpfst dich wieder rauf. Das ist die Carrera. Sie macht Helden.“

Start ist stets im Morgengrauen, Zeitdruck auf den Transferstraßen, High-Speed den ganzen Tag. In den Cockpits ist es oft heiß wie in der Sauna. Rennanzüge und Helme sorgen für zusätzlichen Hitzestau in den rasenden Schwitzkästen. Und immer am Abschluss eines Renntages: Triumphale Einfahrten in die Etappenzielorte, in denen Highways und Hauptplätze für die Piloten gesperrt sind, als wären sie Staatspräsidenten. Volksfeststimmung, Bier- und Champagnerduschen, Musik- und Tanzgruppen, Mädchen in knappen Kostümen, die mit den Rennfahrern für Fotos posieren. Adrenalin abbauen in den Hotels.

„Die Carrera ist der ultimative Stresstest für Mensch und Maschine“, sagt Christine Haase in einer Rennpause, zückt den Schminkspiegel und checkt ihr Aussehen. „Die Erfahrung, dass wir uns auch in Extremsituationen wie hier hundertprozentig aufeinander verlassen können, ist sehr wichtig für uns als Ehepaar. Und als gleichberechtigte Firmenchefs“, sagt ihr Mann und wischt sich, umringt von Zuschauern im malerischen Tagesziel Guanajuato, den Schweiß von der Stirn.

Ein Rennen mit Reiz und Risiko

Frei laufende Esel auf der Speed-Strecke oder überraschend doch Gegenverkehr von klapprigen Kisten, die aus irgendeiner Nebenstraße kommen. Kakteenwälder und Gebirgsdörfer, Traumlandschaften wie im John-Wayne-Western, mit Rollsplitt versehene Abschnitte, von denen nichts im Roadbook steht, atemberaubende Abhänge ohne Leitplanken, rasiermesserscharfe Kurven, Bodenwellen wie Sprungschanzen, Schlaglöcher wie Fallgruben: All das macht Reiz und Risiko der Carrera aus.

Christine Haase schafft es zwei Mal mit ihrem Zeitmessgerät nur per Taxi ins Tagesziel und beschwatzt den Zeitnehmer mit einer so großen Portion Charme, dass er ihr keine Strafminuten gibt. Der Jaguar hat unterwegs schlapp gemacht, und ihr Mechaniker war nicht rechtzeitig zur Stelle. „Es ist wie im wirklichen Leben“, erklärt die Hamburger Geschäftsfrau. „Wer Erfolg haben will, muss gewitzt sein, improvisieren können und einfach auch mal Glück haben.“

Nur 84 der 113 gestarteten Rennwagen schaffen es bis ins Ziel in Zacatecas.

Die Hamburger sind nach den 3100 rasanten Kilometern quer durch Mexiko die schnellsten in ihrer Wertungsklasse. Ihr Jaguar hat nicht einen Kratzer abbekommen. „Jaaaa“, jubelt Christine Haase bei der Siegerehrung unter funkelndem Sternenhimmel in der alten Stierkampfarena. Ihr Mann resümiert hanseatisch-trocken aber vollkommen glücklich: „Die Haasen-Jagd hat ein herrliches Ende genommen.“ Dann wird gefeiert. Bis tief in die Nacht. Mit Tanz, Tequila und auch so mancher Freudenträne.