Die deutschen Volleyballfrauen verpassen im Finale gegen Russland den EM-Titel, sorgen aber für neue Aufmerksamkeit

Berlin. Es war schon weit nach Mitternacht, aber Giovanni Guidetti war noch nicht müde. Der Bundestrainer der deutschen Volleyballspielerinnen war immer noch gefangen vom Erlebten – und hin- und hergerissen. Über den Dächern Berlins machte die Mannschaft die Nacht zum Tag. Nach einem Essen bei ihrem Stamm-Italiener in Kreuzberg feierte das Team in einem Penthouse-Club. „Die Mädels haben Unglaubliches geleistet“, sagte der Italiener beim Blick auf die imposante Skyline Berlins. Aber nach dem 1:3 (23:25, 25:23, 23:25, 14:25) im Finale der Europameisterschaft gegen Weltmeister Russland in Berlin musste er auch zugeben: „Mein Herz ist ein bisschen traurig.“ Er habe, so erzählte Guidetti gequält lächelnd, „eine schlechte Beziehung zu Niederlagen“.

Bei seinen Spielerinnen ging der Stimmungsumschwung am Sonnabend schneller. „Ich war nur drei Minuten traurig. Wir haben Silber gewonnen, nicht Gold verloren“, sagte Mittelblockerin Corina Ssuschke-Voigt. Wie ihre Mitspielerinnen tanzte auch sie ausgelassen auf dem Feld, bejubelt von 8500 Zuschauern. „Im Vorfeld haben viele an uns gezweifelt“, sagte Saskia Hippe, „aber wir haben eindrucksvoll bewiesen, wie gut wir sind.“

Wie schon vor zwei Jahren in Belgrad verpasste das Team um Spielführerin Margareta Kozuch erneut nur um Haaresbreite das ersehnte Gold. „Die Russen sind eine starke Volleyball-Nation“, lobte Guidetti den nun 18-maligen Europameister. Der russische Trainer Juri Maritschew gab zurück: „Das war das schwerste Spiel für uns bei der EM.“

„Wir haben gekämpft“, meinte Guidetti, „aber es war nicht genug.“ Lediglich drei Sätze lang konnten die Deutschen mithalten. „Bei zehn Spielen gegen Russland gewinnen wir einmal, diesmal war es eine von den neun Niederlagen“, sagte Guidetti mit traurigem Blick. Und er fügte den weisen Satz an: „Der Sport ist sehr ehrlich: Am Ende gewinnt der Beste.“ Je länger er voller Emotionen sprach, desto mehr kam langsam nun doch Zufriedenheit durch: „Ich kann in den Spiegel schauen und sagen: ‚Das war richtig gut.‘“

Ssuschke-Voigt sprach einen wichtigen Punkt an: „Unser Projekt war Gold, aber es war auch, Volleyball für die Massen populärer zu machen. Das war Mission Nummer eins.“ Ein Schub für die gesamte Sportart, das ist nun die große Hoffnung aller Beteiligten. Die attraktive Heim-EM mit der großartigen Leistung der deutschen Mannschaft soll helfen, Volleyball aus dem Nischendasein herauszuführen. Die Einschaltquoten waren ermutigend. Sport1 meldete im Schnitt 730.000 Zuschauer, die das Finale verfolgten. In der Spitze waren es sogar 1,05 Millionen Interessierte. Nach neun Tagen Heim-EM bleibt vor allem der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit. „Ich hoffe, dass es in der Öffentlichkeit bleibt, dass die Menschen unsere Randsportart und auch die anderen Sportarten mehr wahrnehmen, dass sie mitfiebern“, meinte auch die beste Mittelblockerin des Turniers, Christiane Fürst, eindringlich. „Wir möchten vor so einer Halle spielen, dafür leben wir.“

Aber es wird ein weiter Weg, die Sportart weiter nach vorn zu bringen. „Der Stellenwert von Volleyball in Deutschland entspricht noch nicht unserem Anspruch“, sagt Thomas Krohne, der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes. „Unser Ziel muss sein, uns auf das Niveau von Basketball, Handball und Eishockey zu entwickeln und als eine der zweiten Sportarten hinter Fußball wahrgenommen zu werden.“

Aber wie nachhaltig ist diese EM im eigenen Land? Prägende Spielerinnen aus dem Team spielen im Ausland, auch der Bundestrainer steht dort, beim Champions-League-Sieger VGS Türk Telekom Istanbul, unter Vertrag. Erst in gut acht Monaten, Ende Mai 2014, wird sich die deutsche Mannschaft wieder treffen, um sich dann auf die WM in Italien vorzubereiten.

Sportlich gibt es keine Sorgen. Das Team wird fast komplett zusammenbleiben, einige Nachwuchsspielerinnen geben Hoffnung, den Sprung in die Mannschaft zu schaffen. Bundestrainer Guidetti sagt: „Ein höheres Level ist noch möglich.“ Die Bundesliga jedoch dümpelt eher vor sich hin, als dass sie für bundesweite Schlagzeilen sorgt. Standorte wie Dresden oder Schwerin, wo regelmäßig bis zu 3000 oder 4000 Fans kommen, sind regionale Phänomene. In Hamburg kommen zum VT Aurubis im Schnitt nur 1000.

Krohne lässt nichts unversucht. Vor der EM besuchte er persönlich die TV-Sender und fragte: „Was können wir tun, um für euch attraktiv zu sein? Was können wir besser machen?“ Auch ein gemeinsames Vorgehen mit anderen Teamsportarten wie Basketball und Handball ist angedacht. Mehrstündige Live-Übertragungen mit zwei oder drei Spielen sind denkbar unter dem Stichwort „Super Sunday“. In Zukunft will sich Deutschland auch verstärkt für weitere große Turniere bewerben.

Für Giovanni Guidetti gibt es erst einmal andere Prioritäten. Am Sonntag fuhr der 40-Jährige mit seiner Verlobten, der türkischen Nationalspielerin Bahar Toksoy, mit dem Auto 2000 Kilometer nach Istanbul. Am 20. September wird das Paar heiraten – und dann dürfte auch Guidetti seine gute Laune wiedergefunden haben. Margareta Kozuch war das schon früher gelungen. Als sie zur Musik von „Notti Magiche“ (Magische Nächte) von Gianna Nannini ihre Silbermedaille umgehängt bekam, strahlte sie wieder. „Ich bin stolz auf die Mannschaft, auf uns alle“, sagte die gebürtige Hamburgerin.