Sportler wie Marion Bartoli zerbrechen auf der Jagd nach Erfolg, weil sie nicht die Kunst des Müßiggangs lernen. Vor einem Monat verkündete die Wimbledonsiegerin überraschend ihren Rücktritt.

Hamburg. Als Wimbledonsiegerin Marion Bartoli vor einem Monat ihren Rücktritt erklärte, reagierte die Sportwelt überrascht. Mit 28 hätte die Französin sicherlich noch ein paar erfolgreiche Jahre im Tenniszirkus vor sich gehabt; umso erstaunlicher war es, dass sie sich dazu nicht mehr in der Lage fühlte. Aus dem Umfeld Bartolis ist aber bekannt, welchen Druck speziell ihr Vater Walter auf seine Tochter ausübte. Es mag dieser permanente Stress, dieser ständige, zum Teil fremdbestimmte Leistungsanspruch gewesen sein, der sie zur Aufgabe zwang.

Leistungssportler sind nicht nur dauerhaften körperlichen Belastungen ausgesetzt, was ihr Immunsystem (Open Window Effect) extrem beansprucht und mittelfristig schwächt, sie führen auch psychisch ein Leben am Limit, stehen pausenlos unter Anspannung. Wer diese Anforderungen über Jahre aushalten will, der braucht Phasen der Regeneration, der sollte besonderen Wert darauf legen, immer wieder regenerative Phasen einzulegen. Der sollte seinen Fuß auch mal vom Gaspedal nehmen und die Prinzipien der Lebenswelt Arbeit als Profi nicht auf seine Freizeitwelt mit Familie und Freunden übertragen.

Erfolgreiches Training ist vor allem die Kunst, zwischen Belastung und Entlastung die Balance zu finden. Auf Leistungsspitzen müssen immer wieder -täler folgen. Körper und Geist sind nur dann zu Spitzenleistungen fähig, wenn die Batterien der Sportler regelmäßig gefüllt werden.

Auch Spitzensportler müssen die Kunst des Müßiggangs lernen. Müßiggang bedeutet keineswegs Faulheit, er ist vielmehr ein bewusstes vegetatives Umschalten vom sympathischen auf das parasympathische Nervensystem, der Abbau von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Die schütteten schon unsere Vorfahren aus, wenn sie im Überlebenskampf mit wilden Tieren alle körperlichen Reserven mobilisierten. Auf Dauer ist das höchst schädlich.

Handyverbote in der Umkleidekabine oder im Bus auf der Fahrt zu einem Spiel hielte ich für selbstverständlich, um der Reizüberflutung entgegenzusteuern. Studien haben zudem belegt, dass aus ähnlichem Grund Joggen mit Kopfhörern nicht zu den gewünschten Trainingseffekten führt, weil Energie in das Verarbeiten der Geräusche fließt. Wer stattdessen in seinen Körper hineinhört, seinem Atem und seinen Tritten lauscht, fühlt sich hinterher nicht nur fitter, sondern auch entspannter.

Der Freizeitsport bleibt ein zentrales Mittel, dem Stress des Alltags zu entkommen. Wichtig ist dabei nur, wie man Sport treibt. Wer sich auch hier Leistungsziele setzt, gerät wieder in jene Mühle, der er gerade zu entkommen versucht. Wir müssen vielmehr die Kultur, den Augenblick zu genießen, leben. Fahrrad fahren um des Fahrens willen, Laufen nach Gefühl und nicht nach Zeit und mit Pulsuhr. Prozess statt Ergebnisorientierung. Das sind Möglichkeiten, das körperliche und seelische Gleichgewicht wiederzufinden. Stress an sich ist nicht schädlich, solange wir wissen, wie wir ihn bewältigen können.

Wir leben in einer Welt von Vergleichzeitigung, Verdichtung, Schnelligkeit, Effizienz, einem Überfluss an Informationen, wollen nichts verpassen, sind Opfer allgemeiner Hyperaktivität. „Humankapitalistischer Selbstverwertungsfanatismus “ nennt der Soziologe Wolfgang Streeck dieses Phänomen. Der ewige Anspruch an sich selbst, das Immer-funktionieren-Wollen, der Selbstoptimierungszwang und die Erwartungen anderer gelten als Ursachen von Erschöpfungssyndromen. Schlecht schlafen, Grübelattacken, Herpes und Magenprobleme sind oft erste Anzeichen. Burn-out ist keine Krankheit, es ist ein Prozess, den man stoppen kann.

Mal zehn Minuten weggehen vom Arbeitsplatz, eine andere Umgebung für die Sinne suchen, wären erste Schritte, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen. Regelmäßiges Trinken, etwa 1,5 Liter Wasser pro Tag, gehört dazu. Bei Stress verdickt das Blut. Dieser Mechanismus schützte die ersten Menschen davor, im Kampf zu verbluten. Nüsse essen, vorzugsweise Mandeln, aktiviert das Gehirn.

Wer sein Leben „selbstwertfreundlich“ verändern will, sollte in der Zukunft Pausen planen und Entspannungstechniken bewusst erlernen. Das Gehirn muss dafür neu programmiert werden. Am einfachsten ist es, Rituale zu schaffen, Beschleunigung und Entschleunigung als Partner zu verstehen, als untrennbaren Verbund. Und an der richtigen Stelle ein freundliches Nein gegenüber Kollegen bleibt das beste orale Verhütungsmittel gegen die Selbstausbeutung.

Olaf Kortmann, 58, ehemaliger Volleyball-Bundestrainer, arbeitet als selbstständiger Personalentwickler und Mentalcoach.