Spielführerin Julia Müller über die EM-Titelchancen der deutschen Hockeydamen und die Vorteile, die die Niederlande gegenüber der Bundesliga haben

Hamburg. Julia Müller ist bester Laune, als sie am Mittwochmittag im EM-Quartier im belgischen Antwerpen den Anruf des Abendblatts empfängt. Am Sonnabend (siehe Kasten rechts) starten die deutschen Hockeydamen gegen Schottland in die kontinentalen Titelkämpfe, und die 27 Jahre alte Hamburgerin darf das Team erstmals als Kapitänin in eine EM führen.

Hamburger Abendblatt:

Frau Müller, was hat sich für Sie geändert, seit Bundestrainer Jamilon Mülders Sie im März zur neuen Spielführerin gemacht hat?

Julia Müller:

Meine Einstellung. Es ist jetzt meine wichtigste Aufgabe, immer aktiv zu sein, als Vorbild voranzugehen und die Dinge, die nicht so gut funktionieren, ehrlich anzusprechen. Das konnte ich früher schleifen lassen. Jetzt, als Bindeglied zwischen Team und Trainerstab, geht das nicht mehr.

Bei der World League im Juni hatten Sie Ihren ersten Auftritt als Kapitänin bei einem großen internationalen Turnier. Ist das etwas anderes, als wenn man als ‚normale‘ Spielerin aufläuft?

Müller:

Das erste Spiel war schon sehr aufregend. Ich trage die Trikotnummer 28 und bin deshalb meist als letzte Spielerin eingelaufen. Plötzlich stand ich bei der Nationalhymne ganz vorn. Das hat mich kurzzeitig ziemlich geschockt. Aber im Spiel hatte das überhaupt keine Auswirkungen. Dennoch glaube ich, dass ich jetzt bei der EM noch routinierter mit der Aufgabe umgehen kann. Geholfen hat mir auch, dass ich nach Olympia innerhalb Hollands von Laren zu Kampong Utrecht gewechselt bin. In Laren hatte ich nur Topspielerinnen um mich, habe da gut mitgespielt, aber kaum Verantwortung gehabt. Bei Kampong bin ich eine der zentralen Figuren. Das kommt mir jetzt zugute.

Die World League hat als neues Format die EM als Qualifikationsturnier für WM und Olympia abgelöst. Sie haben das Ticket für die WM 2014 bereits sicher. Ist dadurch die EM nicht abgewertet? Kann man sich trotzdem motivieren?

Müller:

Die EM ist abgewertet, bleibt aber weiterhin ein wichtiges Turnier. Früher war es so, dass man sich mit dem Halbfinaleinzug bei der EM für die WM qualifiziert hatte, und dennoch wollte man danach auch den Titel gewinnen. Deshalb muss das auch jetzt unser Ziel sein. Ich persönlich habe bislang drei EM-Turniere gespielt, stand immer im Endspiel. Da kann ich jetzt nicht sagen, dass mir das Halbfinale reicht. Wir haben die Qualität, den Titel zu gewinnen.

Daran hat der neue Bundestrainer großen Anteil. Es scheint, dass er ein Team geformt hat, das an seine Stärke glaubt und Selbstvertrauen ausstrahlt. Wie ist ihm das gelungen?

Müller:

Jami hat eine klare Vorstellung von dem, was wir spielen sollen. Aber er lässt uns viele Freiheiten, damit jede Spielerin ihre Stärke ausschöpfen kann. Er ist sehr offen im Umgang, solange alle das Maximum herausholen. Und er hat uns gelehrt, dass wir nur auf uns schauen und nicht mehr so viel lamentieren sollen, was wir nicht können oder was die anderen besser machen. Das hat uns Selbstvertrauen gegeben.

Man hat das zuletzt gesehen, als Sie den Erzrivalen Niederlande im World-League-Finale in dessen Wohnzimmer besiegt haben. Sie selbst spielen seit 2007 in der niederländischen Liga, die als die beste der Welt gilt. Warum schafft Deutschland es in wichtigen Spielen oft, Holland zu besiegen, während es in Testspielen häufig deftige Klatschen gibt?

Müller:

Die Niederlande haben immer den Anspruch, Vollgas zu geben und uns abzuschießen. Uns fehlt dieser Killerinstinkt in Testspielen bisweilen, und wenn wir gegen Holland nicht 100 Prozent Leistung bringen, verlieren wir, so wie vor der World League, als wir eine 2:10-Packung bekommen haben. In den wichtigen Spielen aber sind wir voll da und tun das, was die Holländerinnen nicht mögen: hart verteidigen, tief stehen, gefährlich kontern. Und dann haben wir auch gegen sie eine Chance.

Sie wissen am besten, was die Niederländerinnen über die Deutschen denken. Ist deren Respekt so groß, wie er scheint?

Müller:

O ja, am meisten fürchten sie unsere Fähigkeit, ein Spiel auch noch in der Nachspielzeit drehen zu können. Über die deutschen Fußballer hieß es früher, sie seien erst besiegt, wenn sie im Bus auf dem Heimweg sind. Das sagen die Holländerinnen auch über uns.

Dennoch sind die Niederlande im Hockey Deutschland vor allem im Damenbereich um einiges voraus. Warum?

Müller:

Zum einen ist Holland ein kleines Land, sodass die Nationalspielerinnen viel häufiger zentral gemeinsam trainieren als wir. Dass so etwas Vorteile bringt, sieht man an allen Nationen, die das so handhaben, neben Holland auch Argentinien und England. Zum anderen ist Hockey in den Niederlanden bei den Frauen Volkssport Nummer eins. Der Stellenwert, den die nationale Liga hat, ist viel höher als der der deutschen Bundesliga. Hier bekommen sogar Drittligaspielerinnen noch Autos vom Verein gestellt. Davon können viele Bundesligaspielerinnen nur träumen. Diesen Fokus auf den Sport, das professionelle Training, das könnten wir uns von den Niederlanden abschauen.

Sind Sie als Deutsche in Holland mittlerweile akzeptiert, oder gibt es da noch viele Frotzeleien?

Müller:

Ab und zu werde ich noch mit Weißwurst und Bier in Verbindung gebracht, ansonsten werde ich längst als Holländerin gesehen. Ich spreche die Sprache, und wenn ich sage, dass ich nach Hause fahre, meine ich heute nicht mehr Hamburg, sondern Amsterdam, obwohl meine Eltern das nicht gern hören. Aber es ist so, dass ich mich in Amsterdam sehr heimisch fühle. Es gab sogar schon die Anfrage, ob ich nicht den niederländischen Pass beantragen möchte. So weit geht die Liebe dann aber doch nicht.

Könnten Sie sich denn vorstellen, noch einmal in der Bundesliga zu spielen?

Müller:

Momentan nicht. Vor Olympia gab es Gespräche, aber ich konnte mich dann doch nicht zum Wechsel durchringen. Derzeit plane ich, noch bis Rio 2016 zu spielen, und das ziemlich sicher in Holland. Wenn ich allerdings zurückkehre, dann nur nach Hamburg.