Hamburgerin erlief kurzfristig ihren 1500-Meter-Startplatz und lässt ihre Zwillingsschwester zurück

Hamburg. Wie schön der Blick aus dem Fenster des Moskauer Golden-Ring-Hotels doch ist! Man schaue sich nur mal die Bilder an, die Diana Sujew gemacht und über Twitter verbreitet hat. Um ehrlich zu sein: Es ist nicht viel zu erkennen. Ein paar helle Lichter in der Dunkelheit. Aber wenn man versucht es durch Sujews Augen zu sehen, ahnt man, wie großartig die Aussicht sein muss. Zum ersten Mal darf sie mit den deutschen Leichtathleten ein Weltmeisterschaftsquartier beziehen, noch dazu in der Geburtsstadt ihrer Mutter.

Am Sonntag gegen 8.25 Uhr unserer Zeit wird Sujew keine Augen mehr haben für die Reize der Gastgeberstadt. Sie wird an der Startlinie der 1500-Meter-Vorläufe stehen. Wer ihre Konkurrentinnen und wie viele Läufe es überhaupt sind, erfährt die 22-Jährige vom Lauf-Team Haspa-Marathon Hamburg am Sonnabend. Und damit auch, wie es um die Chance steht, ihr WM-Ziel zu erreichen: nämlich eine Runde weiterzukommen. Sind es drei oder mehr Vorläufe, dürfte am Dienstag ein Halbfinale angesetzt werden. Kommen nur zwei zustande, qualifizieren sich die insgesamt zwölf besten Läuferinnen direkt fürs Finale am Donnerstag.

„In diesem Fall müsste schon Glück im Spiel sein“, sagt Sujews Trainerin Beate Conrad. Das Halbfinale aber sei durchaus in Reichweite: „Dass sie es draufhat, hat Diana im Training gezeigt.“ Im Wettkampf natürlich auch, spätestens mit ihrem sechsten Platz bei der EM 2012, damals gehörte Sujew noch dem SC Potsdam an.

In diesem Jahr hat sich die gebürtige Lettin auf 4:05,62 Minuten gesteigert. Damit verpasste sie zwar die WM-Norm um die Winzigkeit von zwölf Hundertstelsekunden. Aber es reichte, um sich an die Spitze der deutschen Bestenliste zu setzen und der Regensburgerin Corinna Harrer den gnadenhalber eingeräumten Startplatz kurz vor der Nominierung wegzuschnappen.

Den Einwand, dass Harrer als deutsche Meisterin zu bevorzugen gewesen wäre, lässt Conrad nicht gelten: „Abgerechnet wird zum Schluss. Und in den letzten Rennen sah Diana eindeutig besser aus.“ Harrer musste am Ende wohl auch einer Salmonellenvergiftung Tribut zollen, die sie in der Vorbereitung aus der Bahn geworfen hatte.

Bei allen Unwägbarkeiten – wie die WM-Rennen sich gestalten werden, ahnt Conrad schon: „Bei Meisterschaften wird die letzten 500 Meter gnadenlos gerannt.“ Auf diese Herausforderung sei Diana Sujew sowohl taktisch als auch körperlich gut vorbereitet. Ob aber gut genug, damit Elina Sujew sie vor Ort in Aktion erlebt? Die Zwillingsschwester hat für Mittwoch einen Flug nach Moskau gebucht.

Die gemeinsame Anreise verpasste sie als Drittschnellste des Jahres (4:08,82 Minuten) nur knapp. So war es Elina Sujew schon 2012 im Kampf um die EM-Teilnahme ergangen. Damals, erzählt Conrad, sei die Trauer noch größer gewesen. In diesem Jahr konnte sich Elina Sujew damit trösten, dass sie Deutschland bei der Mannschaftseuropameisterschaft vertreten durfte.

Um derlei Konflikte künftig zu vermeiden, würde Conrad die mit 1,64 Meter zwei Zentimeter kleinere Elina am liebsten zur 800-Meter-Läuferin umlernen: „Ihr Laufstil passt sehr gut dazu. Aber sie hat eben ihren eigenen Willen.“ Auch das hat sie dann mit Diana Sujew gemeinsam.