Am 12. August 1989 warf Olympiasieger Rolf Danneberg die Scheibe im Hamburger Volkspark 67,38 Meter weit – sein dritter Meistertitel

Hamburg. Augenblicke, die eine Karriere prägen. Orte, die man ein Leben lang nicht vergisst. Das Abendblatt bat Sportler, an Hamburger Stätten großer Momente zurückzukehren und sich dort an ihre Vergangenheit zu erinnern. Die Serienteile lesen Sie bis Anfang September regelmäßig an dieser Stelle.

Das Stadion heißt nicht mehr Volksparkstadion, und die nachfolgende HSV-Fußball-Arena wurde beim Umbau vor 15 Jahren um 180 Grad gedreht, doch die Stelle, an der damals der zwei Kilogramm schwere Diskus beim entscheidenden Meisterschaftswurf einschlug, findet Rolf Danneberg noch halbwegs genau. „Hier in etwa muss es gewesen sein“, sagt der heute 60-Jährige, orientiert sich an der tief stehenden Sonne, den Tribünen und kreist mit einer rotierenden Handbewegung eine Fläche am Mittelkreis ein.

Abendblatt-Fotograf Roland Magunia holt sein Taschenmesser aus dem Rucksack, schneidet das angedeutete Stück Rasen heraus, säubert es von Zigarettenkippen – Relikte mehrerer Fußballcamps in der Sommerpause – und drückt es Danneberg in die immer noch kräftigen Hände. Der Hobbygärtner betrachtet die Sode und den sandigen Untergrund misstrauisch: „Kein Wunder, dass der HSV den Rasen immer wieder auswechseln muss. Der kann bei dieser Bodenbeschaffenheit gar nicht richtig anwachsen.“

12. August 1989. Der Diskuswettbewerb zieht bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Volksparkstadion 35.000 Zuschauer in seinen Bann. „Es war eine super Stimmung im Stadion“, erinnert sich Danneberg. Es ist das Duell Wolfgang Schmidt, damals 35, gegen Danneberg, 36, den Olympiasieger von Los Angeles 1984 und -dritten von Seoul 1988. Schmidt, Europameister 1978, war im September 1987 aus der DDR ausgereist und bis Ende des Jahres in Hamburg geblieben. Der HSV, in beginnenden finanziellen Nöten, konnte ihm keinen Vertrag geben, bei den Stuttgarter Kickers erhielt er einen mit Unterstützung von Mercedes. Schmidt und Danneberg, der für die LG Wedel-Pinneberg startet, sind zu diesem Zeitpunkt befreundet, trainieren zusammen, feiern gemeinsam Weihnachten. Mit der räumlichen Distanz wird sich auch ihr Verhältnis in den nächsten Jahren abkühlen. Danneberg missfällt zunehmend Schmidts „große Schnauze“, die Großmannssucht, mit denen er schon im anderen deutschen Staat bei den Kollegen aneckte.

Beim Einwerfen versuchen sich die Rivalen zu beeindrucken. Danneberg legt rund 66 Meter vor, Schmidt kontert mit 68 Metern. Im Wettkampf gelingen Schmidt im ersten Wurf 65,48 Meter, Danneberg schafft 64,44 Meter. Bis zum fünften Versuch bleibt die Reihenfolge bestehen. Dann lässt Danneberg die Scheibe fliegen. Sie landet bei 67,38 Metern. Meisterschaftsrekord! Nach einem Wurf von 67,60 Meter zwei Jahre zuvor in Berlin ist das Dannebergs zweitbeste Weite seiner Karriere. Schmidt scheint geschockt, kann nicht mehr kontern. Danneberg wird nach 1980 und 1988 zum dritten und letzten Mal deutscher Meister. Am Tag darauf, „ich hatte keine Ahnung davon“, zeichnet der Deutsche Leichtathletikverband ihn für seine sportliche Lebensleistung mit dem Rudolf-Harbig-Preis aus. Das ist selbst für den sonst eher rationalen Hamburger ein bewegender emotionaler Moment. Diese Anerkennung tut ihm gut.

Wenn Rolf Danneberg auf seine Laufbahn zurückblickt, erzählt er mit einem gewissen Stolz von seinen zahlreichen Erfolgen, aber, das ist unüberhörbar, er trauert auch vielen verpassten Gelegenheiten nach. Immer wieder sind es Verletzungen am Rücken und vor allem an den Füßen, Unfälle, Unachtsamkeiten und Fehltritte, die ihn zurückwerfen. Selten kuriert er seine gesundheitlichen Probleme vollständig aus. Das rächt sich. Auch vor dem Meisterschaftstriumph 1989 kann er monatelang nur eingeschränkt trainieren. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul quält er sich mit Rückenschmerzen in den Ring. Den Würfen fehlt deshalb der technische Feinschliff, zur Bronzemedaille reicht es dennoch. „Wenn ich fit gewesen wäre, hätte ich meinen Olympiasieg von 1984 wiederholen können“, sagt er. Weltrekordler Jürgen Schult aus Neubrandenburg, der heutige Bundestrainer, siegt. Es ist der letzte Olympiasieg in der Geschichte der DDR.

Wer über das Diskuswerfen in den 1980er- und 1990er-Jahren spricht, kann das Thema Doping nicht ausklammern. Danneberg will darüber nicht reden: „Andere haben da mehr zu erzählen als ich.“ Seine Bestweite (67,60 Meter) liegt in der Tat sportliche Welten hinter Schults Weltrekord, den 74,08 Metern aus dem Jahr 1986. Vor der Meisterschaft 1989 in Hamburg hatte Danneberg in einem Abendblatt-Interview gesagt: „Es sind gerade die Medien, die immer neue Bestleistungen fordern und uns als Versager schelten, wenn wir den Weltrekord verfehlen. Auf Sportfesten müssen neue Bestleistungen her, sonst zahlt der Sponsor nicht. Wen interessiert noch ein packender Endspurt oder ein schöner Bewegungsablauf. Das Anspruchsdenken der Öffentlichkeit muss weg. Der Wert des Sports darf nicht nur an Rekorden gemessen werden.“ Diesen Worten habe er auch 24 Jahre danach nichts hinzuzufügen.

1993 beendet Danneberg mit 40 Jahren als Achter bei den deutschen Meisterschaften seine sportliche Laufbahn. Der malade Rücken zwingt ihn dazu. Die berufliche Karriere verpasst er danach. Seine Ausbildung zum Gymnasiallehrer für die Fächer Sport und Sozialkunde bricht er trotz Note eins im ersten Staatsexamen im Referendariat wegen anderer Berufsaussichten ab. Die Pläne zerschlagen sich. Als Olympiasieger sind seine Expertisen weiter gefragt, zum Beispiel in China.

Bei der Würdigung von Dannebergs Leistungen dürfen die Trainingsbedingungen in Hamburg nicht unerwähnt bleiben. „Als ich nach der Wiedervereinigung sah, unter welchen Bedingungen meine Konkurrenten in der DDR trainierten, sind mir fast die Tränen gekommen“, sagt Danneberg. „Die hatten Wurfhäuser mit Heizung, konnten trainieren, wann sie wollten, hatten Schlüssel für alle Anlagen, während ich mir im Winter beim Techniktraining im Freien den Hintern abgefroren habe.“ Danneberg musste den Diskusring auf der Wurfwiese hinter der Jahnkampfbahn im Stadtpark oft genug mit einem Pickel vom Eis befreien, Salz streuen, „damit ich überhaupt ein paar Würfe machen konnte. Entsprechend schlecht war meine Technik.“ Die Sporthalle Hamburg war im Winter wiederholt von Veranstaltungen wie Holiday on Ice belegt.

„Mit dem Bau der Leichtathletik-Trainingshalle haben sich die Voraussetzungen für Spitzenleistungen dramatisch verbessert. Hätte ich damals diese Trainingsmöglichkeiten gehabt, mir wäre wohl manche Verletzung erspart geblieben.“ Warm und trocken, so hätte es Danneberg gern gehabt. Dass seine Nachfolger aus den neuen Gegebenheiten bislang wenig gemacht haben, wundert ihn nicht. „Da fehlt vielen der Biss.“ Danneberg hatte ihn stets.