Weitsprung-Europameister Sebastian Bayer vom HSV über die jüngsten Dopingfälle

Hamburg. Weitsprung-Europameister Sebastian Bayer, 27, vom Hamburger SV hält mit 8,71 den Halleneuroparekord. Im Interview plädiert er dafür, Bestleistungen zu hinterfragen und den Sport in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen.

Hamburger Abendblatt:

Sind Sie von den jüngsten Doping-Enthüllungen überrascht?

Ich bin einerseits glücklich und froh, aber natürlich auch etwas enttäuscht. Ich will keinen Generalverdacht aussprechen. Man kann die 100 Meter sicher sauber unter zehn Sekunden laufen. Aber teilweise sind die gelaufenen Zeiten schon eine andere Welt.

Gibt es eine natürliche Leistungsgrenze?

Bayer:

Bestimmt. Nur wo sie liegt, lässt sich schwer sagen. Vor einigen Jahren hätte ich Sprünge über 8,50 Meter selbst nicht für möglich gehalten. Jetzt, wo ich selbst diese Marke übertroffen habe, sage ich: Unter idealen Voraussetzungen lassen sich außergewöhnliche Leistungen erzielen. Aber ich kann nicht 17-mal im Jahr über 8,50 Meter springen. Das hinterfrage ich schon. An solchen Leistungen orientieren sich natürlich dann die Budgets und Startgelder bei den Meetings.

Die Sprinter liefern dem Publikum offenbar die beste Show.

Bayer:

Wir alle wollen ja tolle und herausragende Leistungen sehen, doch man sollte sie auch hinterfragen. Das ist leider nur selten der Fall. Aber das ist ja nicht nur in der Leichtathletik so, die Tour de France und der Radsport sind da vielleicht sogar ein besseres Beispiel.

Ist die Leichtathletik ähnlich verseucht wie der Radsport?

Bayer:

Wir haben in Deutschland ein sehr gutes Kontrollsystem, das staatlich finanziert ist und nicht durch Verbände oder Sponsoren. Problematisch ist, dass letztlich die sauberen Sportler den Schaden haben, nicht nur finanziell gesehen. Nach Jahren eine Medaille zugesprochen zu bekommen, weil jemand aufgeflogen ist, wiegt die verpassten Momente, die verpasste Anerkennung und Wertschätzung nicht auf.

Was müsste sich ändern?

Bayer:

Ich würde mir wünschen, dass der Sport im Mittelpunkt der Betrachtung stünde und nicht das reine Ergebnis. Bei den deutschen Meisterschaften Anfang Juli haben wir im Weitsprung einen unglaublich spannenden Wettkampf geliefert, auch wenn die Weiten aufgrund der Bedingungen nur im Bereich von acht Metern waren. Dieser Gedanke müsste viel stärker transportiert werden. Dadurch wird doch der Leitspruch „Höher, schneller, weiter“ auf Dauer ad absurdum geführt. Dann müssen andere Formen ersonnen werden, um den Sport zu präsentieren. Im Moment gibt es für einen 18-Jährigen doch kaum einen Anreiz, Leichtathletik zu betreiben, weil die Anerkennung enorm schwindet. So machen wir uns den Sport kaputt.