Der Brite Christopher Froome deklassiert am Mont Ventoux die Konkurrenz bei der Tour de France. Zweifel an den übermenschlichen Leistungen bleiben

Mont Ventoux. Es waren surreale Bilder, als Christopher Froome durch die Mondlandschaft an den Abhängen des Mont Ventoux Richtung Gipfel stürmte. Auf dem Weg ins Ziel der 15. Etappe schüttelte der 28 Jahre alte Brite am französischen Nationalfeiertag seine Verfolger mit einer Leichtigkeit ab, die an die dunkelste Ära der Tour de France erinnerte – die Dominanz des amerikanischen Doping-Meisters Lance Armstrong. Scheinbar unbekümmert gab der Mann im Gelben Trikot längst Interviews, als sich das Gros seiner Verfolger noch den 7,5 Prozent steilen Berg hinaufquälte.

Alberto Contador, der Tour-Sieger von 2007 und 2009: Um eine Minute und 40 Sekunden distanziert. Cadel Evans, Tour-Sieger von 2011: acht Minuten und 46 Sekunden zurück. Andy Schleck, Toursieger 2010: 10 Minuten und 42 Sekunden zurück, wie der beste deutsche Bergfahrer Andreas Klöden, der auch schon zweimal Tour-Zweiter war. In der Gesamtwertung hat Froome seine nächsten Verfolger, den Niederländer Bauke Mollema und Contador bereits um mehr als vier Minuten abgehängt. Als Froome sieben Kilometer vor dem Ziel attackierte, hatte sein Sky-Team die Verfolger bereits zermürbt. Niemand zweifelt, dass der Brite das Gelbe Trikot nach Paris tragen wird. „Das Rennen ist vorbei“, befand der dreimalige Toursieger Greg LeMond. „Schade für die Tour, aber so ist es.“

Was ist das Geheimnis dieses Christopher Froome, der vor zwei Jahren über Nacht an der Weltspitze des Radsports auftauchte, als er bei der Spanien-Rundfahrt, der Vuelta, den zweiten Platz belegte? Der für einen Radsportler mit 1,86 Meter Körperlänge ungewöhnlich große Profi verbrachte die ersten 14 Jahre seines Lebens in Kenia, erst 2008 erhielt er einen britischen Pass. Ende 2009 wechselte er zum britischen Sky-Team, das ihn konsequent zum Spitzenfahrer aufbaute.

Erst 2010 wurde bei Froome die Infektion Bilharziose diagnostiziert

Die Mittel dazu, sagt das Team, sollen aus einem neuen Kraft- und Ausdauertraining kommen, das ein ehemaliger Schwimmtrainer bei Sky einführte. Zudem sei Froome genetisch mit einem perfekten Körper ausgestattet, habe ein großes Herz und üppige Lungen. Erst 2010 wurde bei ihm die Parasiteninfektion Bilharziose diagnostiziert, die die Zahl der roten Blutkörperchen reduziert. Dagegen gab es – ganz legale – Medikamente.

Froome ist ein Mann klarer Ansagen. „Es wird große Zeitabstände geben“, hatte er bereits am Sonnabend gemutmaßt, als er sich auf dem flachen Teilstück der 14. Etappe nach Lyon darauf beschränkte, seine Führung zu verteidigen. Im Vorjahr, als er schon der stärkste Bergfahrer war, hatte er sich loyal der Stallregie gebeugt und seinem Kapitän Bradley Wiggins den Tour-Sieg überlassen: „Es ist nicht leicht, Nummer zwei zu sein und auf den möglichen Tour-Sieg zu verzichten.“

Der Mont Ventoux ist der Schicksalsberg der Briten bei der Tour de France. 46 Jahre nachdem Tom Simpson, vollgepumpt mit einem Cocktail aus Aufputschmitteln, auf dem Anstieg als erster Tour-Fahrer starb, hat Froome seine Rolle als Dominator der Frankreich-Rundfahrt untermauert. Doch die Zweifel fahren angesichts der deutlichen Überlegenheit mit. So wurde die mit 242,5 Kilometer längste Etappe der Jubiläums-Tour trotz 30 Grad Hitze in Rekord-Tempo absolviert, Froome erreichte das Ziel 40 Minuten vor der in der Marschtabelle errechneten Zeit.

Auch wenn er nach der Zieldurchfahrt eine menschliche Schwäche zeigte und „fünf bis zehn Minuten“ unter einer Sauerstoffmaske gelegen habe, muss Froome mit dem Unbehagen leben. „Man muss per se Zweifel haben“, sagte LeMond. Schon nach Froomes erstem Gipfelsturm in den Pyrenäen hatte der französische Sportwissenschaftler Antoine Vayer den Briten zunächst in die „Zone der Mutanten“ eingeordnet, später nannte er die Leistungen zumindest „wundersam“, weil seine erzielten Watt-Zahlen in die Nähe Lance Armstrongs kamen. Dass es bisher keinen Doping-Fall bei der Tour gab, quittieren Beobachter mit einem Lächeln. Die medizinischen Labors, glauben sie, sind den Fahndern wieder einen Schritt voraus.

Christopher Froome kontert alle Kritiker mit einem entwaffnenden Lächeln. Anders als sein Vorgänger Wiggins, der lästige Fragesteller noch beschimpfte, nimmt der neue britische Radsportstar die Vorwürfe zur Kenntnis: „Meine Siege werden auch in zehn Jahren noch Bestand haben“, gab er sich selbstsicher. „Ich bin zu hundert Prozent sauber.“ Den Erfolg am Mont Ventoux sieht er als Meilenstein seiner Karriere: „Das war der größte Sieg meines Lebens. Dieser Berg ist historisch.“

Nach einem Ruhetag am Montag will Froome seine Überlegenheit auf den Alpen-Gipfeln bestätigen. Am Donnerstag erhält er eine neue historische Chance. Dann muss der legendäre Anstieg nach L’Alpe d’Huez gleich zweimal bewältigt werden.