Der Deutsch-Jamaikaner aus Winsen/Aller besiegt überraschend den Australier Hewitt. „Ich habe an mich geglaubt“, sagt Dustin Brown. Nach Rafael Nadal ist in Wimbledon auch Roger Federer raus.

London. Tränen liefen Dustin Brown über die Wangen, als er den Matchball zum größten Erfolg seiner Karriere genutzt hatte. Von Gefühlen überwältigt schlich er zum Netz und holte sich die Glückwünsche des Ex-Champions Lleyton Hewitt ab, den er überraschend 6:4, 6:4, 6:7 (3:7), 6:2 bezwungen hatte. Damit zog der Deutsch-Jamaikaner zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Tennisprofi in die dritte Runde eines Grand-Slam-Turniers ein – und das ausgerechnet in Wimbledon.

„Ich bin nicht der Typ, der anfängt zu weinen“, sagte Brown, „aber Lleyton habe ich schon spielen sehen, als ich aufgewachsen bin. Ich war so oft nah dran an solch großen Siegen. Heute habe ich es endlich zusammengebracht.“

Es ist sein Auftreten im traditionsbewussten All England Club, das ihn aus der Masse der namenlosen Tennisprofis befreit. Dabei machen die langen, geflochtenen Haare und der schlaksige Körper nur den kleineren Teil seiner Anziehungskraft aus. Besonders die – gelinde gesagt – ungewöhnliche Spielweise begeistert die Zuschauer bereits seit der Qualifikation.

Jeder Tennislehrer verdreht die Augen, sieht er Brown die Vorhand schleudern oder einen Flugball peitschen. Der 28-Jährige, dessen Mutter Inge aus Winsen/Aller stammt und dessen Vater Leroy auf Jamaika lebt, schnibbelt, wenn es nichts zu schnibbeln gibt, drischt, wenn er besser schieben sollte, und stürmt ans Netz, als sei das Serve-and-volley nicht irgendwann in den 90er-Jahren ausgestorben. All das machte Brown gegen Hewitt glänzend. Den Satzball im ersten Durchgang traf er mit nach einem „Becker-Hecht“, der Ball kullerte langsam über das Netz.

Dafür feierte er sich mit weit von sich gerissenen Gliedmaßen – und das Publikum freute sich mit. Der Showcourt 2 füllte sich spätestens jetzt, Browns Fangemeinde hielt locker mit der seines Gegners mit. Lleyton Hewitt, 32, der vor elf Jahren in Wimbledon triumphiert hatte, hat seinen privaten Fanklub immer dabei. 14 Anhänger sangen schon vor dem ersten Ballwechsel die australische Nationalhymne.

Browns Website bricht zusammen

Brown ließ sich von den Schlachtenbummlern in Gelb und Grün nicht beeindrucken und zog das Publikum, das sich bei Pimp‘s und Popcorn einen gemütlichen Tag machen wollte, auf seine Seite. Vor allem der krachende Vorhandreturn begeisterte, sodass selbst der Hauptsender BBC 1 das Spiel auf den Schirm nahm. „Ich hab an mich geglaubt, aber an sich zu glauben und das dann auch umzusetzen, sind zwei grundverschiedene Dinge“, sagte der 1,96 Meter große Athlet mit dem Spitznamen „Dreddy“. Er hat mit diesem Coup bereits 74.300 Euro Preisgeld verdient, das größte seiner Karriere.

In der Heimat war wohl niemand auf Browns Erfolg vorbereitet. Die Webseite des Teilzeitmodels, das in der Tennis-Weltrangliste auf Platz 189 geführt wird, brach während des Matches zusammen. Derweil unterhielt Brown weiter die Zuschauer und blieb selbst nach dem Verlust des dritten Satzes gelassen, ja geradezu fröhlich. Beim Seitenwechsel grinste er den vier Jahre älteren Hewitt an, als würde er sagen wollen: „Hey, ich führe immer noch!“

Das entscheidende Break gelang Brown zum 3:1 im vierten Durchgang, weil er auf den schwachen zweiten Aufschlag seines Kontrahenten sofort ans Netz stürmte. Er selbst servierte hammerhart, teilweise mit mehr als 210 km/h. Das hat Brown immer schon getan, auch als er zu Beginn seiner Karriere im Wohnwagen von Turnier zu Turnier tingelte. Auf der Challenger-Tour, der zweiten Tennisliga, ist er auch heute noch zu Hause.

In Wimbledon machte Brown jedoch eine Ausnahme und meldete für die Qualifikation. Auf Rasen fühlt er sich wohl, deshalb muss sein Weg noch lange nicht zu Ende sein. In Runde drei trifft er auf den Franzosen Adrian Mannarino, die Nummer 111 der Weltrangliste. Das scheint machbar.

Aus für Titelverteidiger Roger Federer, Andrea Petkovic und Julian Reister

Nach dem Spanier Rafael Nadal ist jetzt auch Titelverteidiger Roger Federer, 31, früh in Wimbledon gescheitert. Der siebenmalige Champion unterlag in der zweiten Runde Sergej Stachowsky, 27, nach drei Stunden 7:6 (7:5), 6:7 (5:7), 5:7, 6:7 (5:7). Damit riss Federers Rekordserie von 36 in Folge erreichten Grand-Slam-Viertelfinals. Zuletzt war der Schweizer 2004 in Paris in der dritten Runde ausgeschieden. „Er hat einfach perfekt gespielt“, sagte Federer, der nur eine von acht Breakchancen gegen den stark aufschlagenden Ukrainer, die Nummer 116 der Weltrangliste, nutzen konnte.

Für zwei Deutsche kam ebenfalls das Aus in Runde zwei. Der Hamburger Qualifikant Julian Reister unterlag dem Österreicher Jürgen Melzer 6:3, 6:7 (2:7), 6:7 (5:7), 2:6. Andrea Petkovic scheiterte an der US-Amerikanerin Sloane Stephens mit 6:7 (2:7), 6:2, 6:8.

Am heutigen Donnerstag spielen sieben deutsche Profis um den Einzug in die dritte Runde, darunter Tommy Haas gegen Jimmy Wang aus Taiwan.