2011 wurde er vom Deutschen Olympischen Sportbund als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Im Interview spricht Hockey-Bundestrainer Markus Weise über die Arbeitsbedingungen seines Berufsstandes.

Hamburg. Markus Weise, 50, ist der erfolgreichste Trainer einer deutschen Spielsportart. 2006 übernahm er als Bundestrainer die deutschen Hockeyherren und führte sie unter anderem zu den Olympiasiegen 2008 und 2012. Mit der Damennationalmannschaft gewann der gebürtige Mannheimer 2004 zudem sensationell Olympiagold in Athen. 2011 wurde er vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Weise lebt mit seiner Frau Britta von Livonius und zwei Töchtern in Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Herr Weise, Sie sind Mitglied im Berufsverband der Trainer und Trainerinnen im deutschen Sport, der Ende Oktober gegründet wurde. Worum geht es Ihnen dabei?

Markus Weise: Die Trainer haben in Deutschland keine Lobby. Von daher ist es ein wichtiger Schritt. Trainer ist in Deutschland kein anerkannter Beruf. Das sieht man an vielen Dingen. Unter anderem an den oft sehr zweifelhaften Vertragsbedingungen. Das sind im Prinzip alles Kettenarbeitsverträge, teilweise miserabel dotiert. Bei Olympischen Spielen kriegst du als Trainer nicht einmal eine Medaille. Das ist jetzt keine Entscheidung des deutschen Sports, aber auch der könnte sagen, wenn der Medaillenspiegel so unglaublich wichtig ist, dann finanzieren wir zumindest mal eine Kopie der Medaille. Das sind alles so Kleinigkeiten und Fingerzeige dafür, dass der Beruf nicht gerade die größte Anerkennung genießt. Es gibt noch andere Berufsgruppen, die wenig geachtet werden, zum Beispiel Erzieher, Kranken- und Altenpfleger, aber die Trainer gehören dazu. Deutschland leistet sich den Luxus, sehr wichtige Berufe sehr schnöde zu behandeln.

Es geht also nicht nur um den Spitzensport?

Weise: Nein, es geht um die allgemeine Ausbildung und nicht nur um die Spitze, ganz klar. Es geht um die gesamte Pyramide. Es geht auch um Breitensport und alle, die sich da engagieren und jeden Tag unter keine Ahnung welchen Bedingungen ihren Job machen. Wenn Deutschland etwas anderes will, als im Medaillenspiegel auf Platz fünf zu landen, dann kommst du an der Trainerfrage nicht vorbei. Es wird weder genügend in die Basis investiert noch in die Spitze.

Ein Kritikpunkt sind die angeblich miesen Vertragsbedingungen für Trainer.

Weise: Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, verdient der durchschnittliche Trainer im deutschen Sport zwischen 2000 und 3000 Euro brutto und hat keinerlei Sicherheiten. Du kannst dir keine Sicherheiten ansparen, kriegst damit bei keiner Bank auch nur einen halbwegs vernünftigen Kredit. Ich kriege auch keinen, wenn ich mir jetzt ein Haus bauen wollte, weil ich ja nur einen Vierjahresvertrag habe. Und viele Kolleginnen und Kollegen stehen ja noch sehr viel schlechter da. Ich kann gut leben. Ich bin kein Idealbeispiel für die Masse der Leute. Wenn man Pech hat, bekommt man keinen Anschlussvertrag. So wie es dem Kollegen Michael Behrmann von den Hockeydamen gegangen ist. Es ist halt kein Netz da, das einen auffängt. Da musst du gucken, wo du bleibst.

Ist der Stellenwert des Sports insgesamt zu gering?

Weise: Was man erzielen muss, sind Effekte in die politische Richtung. Sport ist natürlich nicht das Allheilmittel für alles in Deutschland, aber Sport ist ein ganz interessanter Hebel, den man für viele Dinge einsetzen könnte und sollte. Da spricht man auch von Gesundheit, von Bildung, von Integration. Sport sollte aus meiner Sicht eine Investition in die Gesellschaft sein. Und dann redet man nicht nur von 130 Millionen pro Jahr. Das ist ja Klickerkram. Damit redest du nur über Leistungssport. Wir müssen uns doch fragen, was wollen wir denn? Wollen wir Platz fünf im Medaillenspiegel, ist das wirklich so spannend? Ich glaube, man müsste sagen, wir wollen in die Gesellschaft investieren und damit in den Gesamtsport. Wenn du heute in Untersuchungen liest, dass es Kinder in Deutschland gibt, die keine 100 Meter laufen, und zwar nicht am Tag, sondern in der Woche, dann muss man sich nicht wundern, dass wir eine Gesellschaft haben, die immer weiter verfettet und verzuckert. Auf diesem Weg sind wir ja.

Der DOSB hat schon 2005 die Traineroffensive ausgerufen, mit der der Stellenwert der Trainer gestärkt werden sollte.

Weise: Dinge wie die Traineroffensive des DOSB - das klingt schön als Wort, aber was ist denn übrig geblieben außer einem Trainerpreis? Da kriegen ein, zwei Trainer pro Jahr einen netten Geldbetrag und auch eine Form von Anerkennung, aber das hat ja nichts mit Offensive zu tun.

Äußern die Trainer ihre Unzufriedenheit auch gegenüber dem DOSB?

Weise: Ja, schon. Es ist noch so eine kleine Revolutionsgruppe beim DOSB entstanden, da durfte ich auch mitmachen. Weil die Bundestrainer beim Leistungssport auch relativ unzufrieden mit der Gesamtsituation sind. Da gibt es jetzt einige Initiativen.

Also ein Trainerrat der olympischen Leistungssporttrainer, die ihre Interessen gegenüber dem DOSB vertreten?

Weise: Den gibt es noch nicht, wir haben mal paar Leute zusammengestellt aus allen Sportarten. Wir haben uns selbst zusammengerottet. Wir sind nicht gewählt. Wir sind erst einmal nur eine Art vorbereitendes Gremium. Wir haben eine bunte Mischung gemacht, wo wir gedacht haben, das ist sehr repräsentativ, haben Wintersport, haben Mannschaften, haben die großen Sportarten Turnen und Schwimmen, haben Fußball mit dabei. Damit muss sich der DOSB aber erst noch anfreunden. Wir haben jetzt eine Einladung für den 14. April zu einem Gespräch. Viele Trainer wollen, dass wir auch eine Interessenvertretung im DOSB haben.

Mit welchem Ziel?

Weise: Mit dem Ziel, ein bisschen Einfluss zu nehmen auf den deutschen Sport. Da sind viele Leute unzufrieden. Wenn man jetzt gesehen hat, wie es zum Beispiel beim Schwimmen gelaufen ist nach Olympia. Das ist doch eine Vollkatastrophe, dass Leute, die jahrelang nachweislich einen hervorragenden Job machen, sich erst mal drei Monate arbeitslos melden müssen, weil sie nicht wissen, ob ihre Verträge verlängert werden. Das ist doch kein Umgang mit Topleuten. Da muss es doch in Deutschland eine andere Lösung geben.

Verliert Deutschland deshalb auch Know-how, weil unzufriedene Trainer gehen?

Weise: Es gibt definitiv den Abfluss von hochqualifizierten Trainern ins Ausland, weil da besser gezahlt wird. Das findest du in einigen Sportarten. Das ist eine Sache, die sogar in höchster DOSB-Spitze beklagt wird. Wir haben eine gute Trainerausbildung in Deutschland, die ist sicherlich auch noch zu verbessern, aber wir haben eine gute, und andere Länder haben da gar nichts. Entsprechend werden die Topleute auch abgegriffen.

Wie sollen die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen finanziert werden?

Weise: Keine Ahnung. Fakt ist doch: Wir hauen einerseits Milliarden für zumindest zweifelhafte Großprojekte wie zum Beispiel Stuttgart 21 raus, und wir leisten uns andererseits riesige Subventionsvolumina. Die Frage ist: Investieren wir genug Mittel in diese Gesellschaft? Wie soll unsere Gesellschaft in 20 bis 50 Jahren aussehen? In unserer Politik wird häufig sehr laut über das "kleine Karo" geredet und wenig über das "gesamte System" und die Zusammenhänge. Dabei ist der positive Einfluss von Bewegung und Sport auf bessere Gesundheit, Bildung und Integration gut dokumentiert.

Hat die von Ihnen angesprochene fehlende Anerkennung der Trainer auch mit fehlender medialer Präsenz zu tun?

Weise: Ja, klar. Es gehört ins Gesamtbild rein, dass sich die Medien nur bestimmte Dinge rauspicken und die ganz massiv unterstützen. Dadurch generiert der jeweilige Sport natürlich auch ganz andere finanzielle Grundlagen, inklusive auch Verträge für die Trainer. Ich bin mir sicher, ein Dirk Bauermann als Bundestrainer im Basketball hatte ein Vielfaches von meinem Gehalt. Die populäreren Leute, die die populäreren Sportarten bedienen - ob medial gemacht oder gewachsen in Deutschland -, haben eine ganz andere Situation. Aber das sind ja nur sehr wenige.

Ihr Vorgänger Bernhard Peters ist zum Fußball abgewandert, zu 1899 Hoffenheim. Haben Sie auch schon Anfragen aus dem Fußball gehabt?

Weise: Nein, andere lose Anfragen aus anderen Bereichen aber schon. Aber alles ist sehr vage und wenig konkret. Man kann nicht sagen, da sieht man schon deutlich die Alternative wachsen und in diese Richtung geht's. Ich glaube aber nicht, dass ich bis zur Rente auf dem Hockeyplatz stehen will. Ich werde mir selbst eine Alternative schaffen müssen. Das ist eine Notwendigkeit. Ich habe einen Vertrag bis Rio, was danach passiert, weiß ich nicht. Ob ich dann noch weitermachen will oder ob ich auch gefeuert werde, kann man ja gar nicht sagen.

Also schauen Sie zunächst bis Rio. Hat der Deutsche Hockey Bund (DHB) denn bereits mit dem DOSB und dem Bundesinnenministerium eine neue Zielvereinbarung geschlossen?

Weise: Ja, die ist interessanterweise abgesenkt worden. Vor London waren es zwei Medaillen, davon eine goldene. Jetzt ist es zweimal Halbfinale und nur eine Medaille. Das ist sehr moderat und wohl der Damenplatzierung in London geschuldet. Aber die sehe ich eigentlich als Ausreißer, und meiner Meinung nach hätte man die gleiche Zielvereinbarung wieder machen können. Das ist ja auch so eine Geschichte mit diesen Zielvereinbarungen. Letztlich ist es so, wenn man so ganz hohe Ziele anvisiert, dass man die Sportarten auch finanziell entsprechend ausstatten muss, um diese Ziele auch erreichen zu können.

Der DHB hatte sich für die World League für Männer und Frauen Ende Juni in Mannheim beworben. Warum musste das Turnier zurückgegeben werden?

Weise: Weil wir dafür nicht genügend öffentliche Gelder bekommen. Es gibt verschiedene Kategorien, in die Turniere von der sportpolitischen Ebene eingestuft werden. Und da ist die World League in der untersten Kategorie gelandet. Warum auch immer. Jetzt dürfen wir dafür mit den Männern nach Malaysia tuckern, und das ist ein Qualiturnier für die WM. Da muss man schon mal fragen, ist das denn richtig so? Mir scheint das fragwürdig, aber ich bin nur Trainer.

Beim Winterlehrgang kürzlich in Südafrika haben Sie Ihren Spielern die Nutzung von Handys verboten. Warum das denn?

Weise: Das war kein generelles Handyverbot, sondern nur die Einschränkung, dass keine Handys mit zum Training genommen werden dürfen. Es ist nicht so, dass die Jungs keinen Zugang zu den Smartphones mehr hatten. Wir haben nur gesagt: Zwischen Abfahrt zum Training und Rückkehr ins Quartier braucht es das nicht. Und wenn man sich unterhalten will, dann unterhält man sich mal mit seinem Nebenmann. Das war ganz spannend, weil der Geräuschpegel im Bus deutlich höher war. Wenn viele Leute Smalltalk halten, ist das wie ein sehr angenehmes Hintergrundplätschern. Kein Piepen und kein Gedöns.