Im Interview spricht der Hamburger Wimbledonsieger von 1991 über den Konflikt mit dem Deutschen Tennis-Bund zum Rasenturnier in Hamburg. Michael Stich selbst sieht sich nicht als Sündenbock.

Hamburg Im Vorgarten des neuen Büros seiner Stiftung an der Heilwigstraße, in dem Michael Stich das Abendblatt zum Gespräch empfängt, weht die Regenbogenfahne der internationalen Friedensbewegung. Die Gefühle, die den 44 Jahre alten Wimbledonsieger von 1991 in der Auseinandersetzung mit dem Deutschen Tennis-Bund (DTB) bewegen, sind von Friedlichkeit allerdings weit entfernt.

Hamburger Abendblatt: Herr Stich, wie fühlt man sich als Sündenbock dafür, dass in Hamburg kein Rasenturnier ausgetragen wird?

Michael Stich: Ich fühle mich nicht als Sündenbock.

Aber der DTB hat in Person des Präsidenten Karl-Georg Altenburg den Rückzug seiner Bewerbung um ein Rasenturnier in Hamburg ab 2015 damit begründet, dass mit Ihnen kein Konsens gefunden werden konnte.

Stich: Und das war der Punkt, der mich sehr verärgert hat. Ich lasse mir nicht vorwerfen, dass ich einem Konsens im Weg gestanden hätte. Es gab nie den Versuch, einen Konsens zu finden. Wenn der DTB als Lizenzinhaber gern ein Rasenturnier in Hamburg veranstalten möchte, ist das sein gutes Recht. Aber er muss darüber mit meinen Partnern vom Turnierausrichter HSE und mir reden, weil wir einen Vertrag haben, der uns erlaubt, das Turnier bis 2018 als 500er-Turnier am Rothenbaum auszutragen. Der DTB hat sich aber um ein Rasenturnier beworben, ohne unsere Zustimmung einzuholen. Auf mehrfaches Bitten von der HSE und mir als Turnierdirektor, uns die Bewerbungsunterlagen vorzulegen, gab es keinerlei Resonanz. Ich habe immer betont, dass wir keiner Vision im Weg stehen würden, die dem deutschen Tennis nutzt. Mir persönlich vorzuwerfen, ich würde dem deutschen Tennis schaden, ist deshalb eine Frechheit, die ich mir nicht bieten lassen kann.

Was haben Sie denn gegen ein Rasenturnier in Hamburg?

Stich: Überhaupt nichts, im Gegenteil. Meine Partner und ich finden, dass die Idee grundsätzlich Charme hat. Aber nachdem wir auf Basis der wirtschaftlichen Daten, die uns vorliegen, eine Kalkulation erstellt haben, stellte sich die Lage für uns so dar, dass es wirtschaftlich keine Verbesserung gegenüber dem Status quo wäre. Ich habe aber immer gesagt, dass wir uns sehr gerne von einem Konzept überzeugen lassen würden. Wir haben den DTB mehrfach gebeten, uns seine Visionen, sein Konzept für Hamburg vorzulegen. Das ist nie passiert.

Hätte ein Rasenturnier im Juni zwischen den French Open und Wimbledon nicht viel bessere Vermarktungschancen als das jetzige Sandplatzturnier im Juli, mitten in den Sommerferien?

Stich: Der Termin wäre sicherlich besser, und ich denke auch, dass die Geschichte, in Hamburg auf Rasen zu spielen, in den ersten Jahren interessant wäre. Aber was ist in vier oder sechs Jahren? Das zu beurteilen fällt mir schwer. Ich bezweifle zudem, dass wir ein besseres Teilnehmerfeld hätten als derzeit, denn einerseits wollen die Topspieler in der Woche nach Paris, die für Hamburg infrage käme, Pause machen, zum anderen würde nach der Planung es DTB der jetzige 500er-Status an Halle gehen und Hamburg als 250er-Turnier ausgetragen. Das bedeutet, dass wir hohe Antrittsgagen zahlen müssten, die wir nicht finanzieren können. Das weitere große Problem ist die Frage, wie man die Voraussetzungen für ein Rasentunier am Rothenbaum schaffen will. Der Club an der Alster, der das Erbbaurecht an der Anlage besitzt, hat uns signalisiert, dass für ihn ein Rasenturnier kein Thema ist.

Man hätte einen anderen Standort in Hamburg suchen können.

Stich: Aber der DTB hat sich, so unser Kenntnisstand, explizit mit dem Rothenbaum beworben.

Der DTB sprach davon, dass es eine Drohung der ATP gegeben hätte, Hamburg von 2019 an aus dem Turnierkalender zu streichen, wenn nicht auf Rasen umgestellt würde. Muss man so etwas nicht ernst nehmen?

Stich: Ich bin in der ATP gut vernetzt und habe von allerhöchster Stelle die Information, dass es solch eine Drohung nicht gegeben hat. Der inzwischen wegen Krankheit zurückgetretene ATP-Präsident Brad Drewett hätte es gern gesehen, dass Hamburg auf Rasen gespielt wird. Aber er ist, anders als vom DTB dargestellt, mit der Entwicklung des Turniers zufrieden. Die ATP kann auch nicht einfach Turniere streichen, höchstens den Status verändern. Aber das kann jedes Turnier betreffen, da sich jedes Turnier im Fünfjahresturnus einer Überprüfung stellen muss. Deshalb ist es theoretisch ebenso möglich, dass Hamburg ab 2019 wieder ein Mastersturnier wird.

Warum droht der DTB mit so etwas, wenn es nicht stimmt?

Stich: Das frage ich mich auch. Aber der DTB hat auch gesagt, dass es ein Schriftstück gibt, in dem Wimbledon seine Unterstützung für ein Rasenturnier in Hamburg versichert. Meiner Bitte, mir dieses zu zeigen, wurde auch nicht entsprochen.

Warum, glauben Sie, will der DTB Ihnen als Vertragspartner diese Details der Bewerbung nicht offen legen? Liegt es daran, dass es gar kein Konzept gibt?

Stich: Das muss es geben, sonst hätte die ATP die Bewerbung gar nicht akzeptiert. Ich gehe davon aus, dass der DTB seine Hausaufgaben gemacht hat, und ich denke auch, dass die Verantwortlichen grundsätzlich niemandem schaden wollten, sondern das deutsche Tennis nach vorne bringen möchten. Aber warum das in der Art getan wurde, wie es nun passiert ist, frage ich mich auch. Ich glaube, es liegt daran, dass es beim DTB niemanden gibt, der das Know-how hat, solche Dinge zu Ende zu denken. Herr Altenburg ist einfach nicht im Thema. Er setzt auf seine Berater Stefan Felsing und Charly Steeb, aber er hat das Heft nicht in der Hand, wie es bei einem so wichtigen Thema ein Präsident haben müsste.

Sie haben Altenburg vorgehalten, er habe keine Visionen.

Stich: Das stimmt nicht. Ich habe gesagt, dass ich seine Visionen nicht kenne, weil er sie nicht kommuniziert. Ich gehe davon aus, dass er welche hat. Aber niemand, außer vielleicht seine Präsidiumskollegen, kennt sie. Das ist ja auch das, worüber ich mich so ärgere. Das Problem, dass eine zusätzliche Rasenwoche frei wird, weil Wimbledon sein Turnier um eine Woche nach hinten verlegt, war seit Februar 2012 bekannt. Wir hätten also fast ein Jahr Zeit gehabt, das Thema mit allen Beteiligten zu besprechen. Stattdessen passiert auf mehrfaches Nachfragen unsererseits nichts, und dann bewirbt sich der DTB ohne Absprache. Und er zieht seine Bewerbung ebenso überraschend zurück, obwohl Herr Altenburg mir wenige Tage zuvor per Mail mitgeteilt hatte, dass man uns endlich ein Konzept vorlegen wolle. Auf meine Nachfrage, warum sich der DTB auf einmal gegen ein Rasenturnier entschieden hat, sagte er mir, man habe den Eindruck gewonnen, mit uns keine Lösung finden zu können.

Der DTB erweckt durch sein Vorgehen den Eindruck, die HSE als Partner loswerden zu wollen. Der Vertrag, den Sie 2009 mit der alten Führung geschlossen hatten, ist der neuen Führung zu einseitig positiv gestaltet, man sieht einen Nachteil für den Verband. Können Sie das nachvollziehen?

Stich: Ich kann nachvollziehen, dass ein neuer Vorstand Dinge anders bewertet als dessen Vorgänger. Uns ist bekannt, dass der neuen DTB-Spitze die Lizenzgebühr, die wir zahlen, zu gering ist. Aber andererseits haben wir damals auf Bitten der alten Führung auf unser Risiko hin das Turnier übernommen und dem DTB so einen jährlichen sechsstelligen Fehlbetrag erspart. Außerdem sind bestehende Verträge zu respektieren. Wenn man daran etwas ändern will, muss man darüber reden. Zu diesen Gesprächen waren wir bereit.

Es heißt, Sie hätten pauschal zehn Millionen Euro Kompensation gefordert, damit der DTB die HSE aus dem Vertrag herauskaufen kann.

Stich: Über dieses Thema wurde nie gesprochen, es ist aber von der DTB-Spitze so kommuniziert worden, was im übrigen einen Vertragsbruch darstellte. Fakt ist doch, dass ich nach vier Jahren Investment am Rothenbaum jetzt, da wir das Turnier neu aufgestellt haben und anfangen, damit Geld zu verdienen, nicht einfach sagen kann: ‚Okay, lieber DTB, ihr habt andere Pläne, dann macht mal.’

Aber ist es nicht traurig, dass jetzt die große Chance vertan wurde, über eine Veränderung nachzudenken, die für alle sinnvoll hätte sein können?

Stich: Wie groß diese Chance ist, die vertan wurde, vermag ich derzeit nicht einzuschätzen. Aber wenn man von Beginn an offen mit dem Thema umgegangen wäre, hätte man eine Lösung finden können, mit oder auch ohne die HSE. Aber genau das ist es ja, was mich so verärgert. Wir haben es geschafft, dass das Turnier wieder auf soliden Füßen steht und dass nicht jedes Jahr darüber diskutiert wird, ob es überhaupt noch stattfindet. Es ist schade, dass der DTB nicht in der Lage ist, dies aktiv zu kommunizieren. Viel schlimmer: Der DTB als unser wichtigster Vertragspartner signalisiert mit seiner Bewerbung, dass er das Turnier in seiner jetzigen Form schlecht findet. Das tut uns weh, nicht nur in der Außendarstellung, sondern auch bei der Sponsorensuche.

Warum tun Sie sich das alles dann überhaupt noch an?

Stich: Weil wir damals angetreten sind mit der Maßgabe, das Turnier auf lange Sicht in Hamburg zu halten. Die Arbeit macht uns großen Spaß, und wir sehen die Fortschritte, die wir gemacht haben. Wir haben bewiesen, dass dieses Turnier Zukunft hat. Und wir haben Visionen, die wir im Gegensatz zum DTB auch kommunizieren. Wir wollen auch über 2018 hinaus ein großes Turnier in Hamburg spielen, und aus Gesprächen mit Vertretern der Stadt, die wir in dieser Woche geführt haben, wissen wir, dass die Stadt dieses Interesse absolut mitträgt. Wir wollen gern ein Damenturnier integrieren, sind da in der Ideenfindung. Und wir wollen auch Topstars wie Roger Federer und Rafael Nadal noch einmal nach Hamburg locken. Es gibt also noch viel zu tun.

Droht durch den geplanten Umbau der Anlage und den möglichen Abriss des Centre-Courts neues Ungemach?

Stich: Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir bis 2018 einen Vertrag haben, der uns zusichert, am Rothenbaum ein Turnier in einer Arena mit mindestens 7500 Zuschauern austragen zu dürfen. Wenn das in einer neuen Arena stattfindet – gern.

Ist eine Zusammenarbeit mit dem DTB nach allen Querelen überhaupt noch möglich?

Stich: Wir haben hier ein Turnier auszurichten, das tun wir seit 2009 recht unabhängig vom DTB und werden das auch weiterhin tun, so lange unser Vertrag läuft. Ich habe mit Herrn Altenburg alles besprochen, was zu besprechen war. Wenn er oder die DTB-Spitze Klärungsbedarf sieht, stehe ich für weitere Gespräche gern zur Verfügung.

Wäre ein neues DTB-Präsidium die Lösung für Ihre Probleme?

Stich: Es geht nicht um meine Probleme, sondern um das deutsche Tennis. Das derzeitige Präsidium ist noch für zwei Jahre gewählt und hat in dieser Zeit die Möglichkeit, noch einiges zu bewegen. Fakt ist aber, dass dieses Präsidium in den vergangenen zwölf Monaten einen sehr unglücklichen Eindruck gemacht hat. Die verpatzte Rothenbaum-Bewerbung ist nur ein Aspekt, der für einen kräftigen Imageschaden gesorgt hat. Das ist umso trauriger, als es im Tennis eigentlich eine positive Grundstimmung gibt. Der Zulauf in den Vereinen ist gut, die Erfolge der Damen werden sehr positiv wahrgenommen.

Vielleicht sollten Sie sich für das Amt des DTB-Präsidenten bewerben. Gehandelt wurden Sie ja schon, bevor Altenburg antrat.

Stich: Ich habe mich nie beworben, und ich beschäftige mich derzeit nicht damit, auch weil ich finde, dass der Posten kein Ehrenamt mehr sein darf. Aber da ich grundsätzlich der Ansicht bin, dass man nicht nur meckern darf, sondern aktiv mitarbeiten muss, um etwas zu verändern, würde ich niemals nie sagen.