Vom Sportjournalisten wurde der gebürtige Düsseldorfer zum stärksten Mann des Deutschen Fußball-Bundes. Ein Zwischenfazit nach 365 Tagen.

Frankfurt/Main. Das Flugzeug war aufgetankt, die Zeit drängte. In München wartete am Mittwoch schon der nächste Termin auf Wolfgang Niersbach. Aber der DFB-Präsident ließ sich nicht beirren, hielt ganz entspannt und gewohnt launig die Laudatio für seinen Freund und Vorgänger Egidius Braun zu dessen 88. Geburtstag in Aachen. Keine vier Stunden später, 650 Kilometer südlich, stand der 62-Jährige neben Uefa-Präsident Michel Platini, um Franz Beckenbauer, der nächsten Ikone, die Ehre zu erweisen. Natürlich ganz entspannt.

Langeweile kommt bei Niersbach, der am Sonnabend vor einem Jahr an die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gewählt wurde, wahrlich nicht auf. Aber eben auch kein Stress. „Das eine Jahr im Amt ist wahnsinnig schnell vorbeigegangen“, betonte er: „So gewaltig haben sich die Dinge aber gar nicht für mich verschoben. Ich habe mich als Mensch nicht verändert.“

Am Mittwochabend saß Niersbach mit seinen „Kumpels“ Platini und Beckenbauer auf der Tribüne der Allianz-Arena und verfolgte das Spitzenspiel des DFB-Pokals zwischen Bayern München und Borussia Dortmund – die Großen des Weltfußballs sind längst „persönliche Freunde“. Früher habe er die noch „auf dem Platz bewundert“, sagte Niersbach.

Früher, vor 40 Jahren, wurde der Rheinländer, dessen Herz noch immer an Düsseldorf hängt, bei der Nachrichtenagentur „Sport-Informations-Dienst“ vorstellig. Ohne Termin und ohne Bewerbung überzeugte der damals 22-Jährige, er begann plötzlich seine Laufbahn „im großen Rad“ als Sportjournalist, wie er sagt. Die Spitze des mit knapp sieben Millionen Mitgliedern größten Sportfachverbandes der Welt sei dabei „nie mein Planziel oder meine Vision gewesen“, sagte Niersbach.

Nach (noch) Höherem strebt der gelernte Journalist aber nicht. Auf einen Sitz in der „Weltregierung des Fußballs“ bei der Fifa legt Niersbach keinen Wert. Schon eher an die Seite Platinis ins Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union (Uefa) „gehe ich gerne“, sagte er: „Ich muss aber erst einmal gewählt werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit.“

Argumente für eine Wahl in Europa kann Niersbach in seinem ersten Jahr als Verbandsboss in Deutschland zur Genüge liefern. Unaufgeregt sorgte er dafür, dass der Riese DFB in deutlich ruhigeres Fahrwasser steuerte.

Anders als sein Vorgänger Theo Zwanziger belässt es Niersbach bei seinem Kerngeschäft, er versucht nicht ungefragt, auf mehreren Hochzeiten zu tanzen. „Ich bin nicht auf einmal der Staatsmann“, sagte er am Montag bei einem zünftigen Essen in einem Frankfurter Gasthof, etwas abseits der Bankentürme: „Ich halte mich für relativ normal. Nur die Termine sind viel mehr und die Wahrnehmung anders geworden.“

Gefordert wurde der langjährige DFB-Mediendirektor gleich zu Beginn seiner Amtszeit dennoch mit Themen, die weit über den Fußball hinausgehen. „Beim Fall Timoschenko im Vorfeld der Europameisterschaft war es nicht leicht, das richtige Maß zu finden“, sagte er.

Das komplizierte Politikum um die ukrainische Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko löste der DFB dennoch souverän – ebenso wie den Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, eine Woche vor Beginn der EM. Anstatt medienwirksam die komplette Mannschaft dorthin zu beordern, gedachte eine kleine Delegation des DFB der Tausenden Opfer im Stillen. Das internationale Auschwitz-Komitee schickte ein Dankesschreiben.

„Der Schwerpunkt ist der Fußball, aber das andere darf man nicht ignorieren“, sagte Niersbach: „Ich stehe für den Fußball. Umso besser man das Kerngeschäft beherrscht, umso besser kann man sich auch um die gesellschaftlichen Themen kümmern.“

Als Vermittler, als Kommunikator war Niersbach auch während der spätherbstlichen Querelen um das Sicherheitspapier der Deutschen Fußball Liga (DFL) gefragt. „Schwierig“, sagte Niersbach, sei die Debatte gewesen: „Sie lässt sich nur in der Gemeinschaft lösen. Die Umsetzung muss vor Ort passieren, nur so kann man das Problem in den Griff bekommen.“

Nach dem stürmischen Herbst kam es umso gelegener, dass der DFB verkünden konnte: Deutschland wird Gastgeber der ersten paneuropäischen EM im Jahr 2020. „Wir werden einer der 13 Spielorte sein“, sagte Niersbach. Allerdings ist nach wie vor offen, ob in Deutschland während der Vorrunde und der ersten K.o.-Phase oder während der Finalrunde gespielt wird.