Skispringer Severin Freund setzt auch bei der Nordischen Ski-Weltmeisterschaft auf seinen Ehrgeiz und hofft auf eine Medaille

Val di Fiemme . Eigentlich kann nichts mehr schiefgehen. Nachdem Severin Freund, 24, grandios in die Saison gestartet war, dann aber ein bisschen seine Form verloren hatte, legte er eine kleine Wettkampfpause ein. Er fuhr nach Predazzo in Italien - und zwar nicht einfach nur, weil dort zwei Skisprungschanzen stehen, mit denen er ziemlich gut klarkommt. Sondern vor allem, weil dort die nordischen Ski-Weltmeisterschaften ausgetragen werden und er sich akribisch auf sie vorbereiten wollte. Jetzt, gut drei Wochen nach seinem Extratraining in Predazzo, ist er wieder an den WM-Ort zurückgekehrt. Die erste WM-Entscheidung fällt am Donnerstag im Sprint der Skilangläufer, Freund nutzt den Tag zum Training. Freitagabend geht es dann für die Skispringer los mit der Qualifikation für die Normalschanze, der Wettbewerb folgt Sonnabend. Severin Freund, noch Vierter des Gesamtweltcups, hat beim Einzel- und Teamspringen einiges vor.

Hamburger Abendblatt: Herr Freund, der Österreicher Gregor Schlierenzauer sagte nach seinem 47. Sieg, nun sei er wohl eine Legende. Was sind Sie?

Severin Freund: Ein Springer, der sein Leistungsmaximum bislang nicht erreicht hat.

Dieter Thoma sagt, Sie seien Dr. Skisprung. Einverstanden?

Freund: Wenn er meine Herangehensweise an den Sport meint, trifft es zu. Ich beschäftige mich sehr viel mit dem Skispringen und analysiere ständig, was ich wo und wie besser machen kann.

Der coole Analytiker also?

Freund: Na ja, wenn es mal nicht läuft, bin ich nicht mehr so wahnsinnig cool. Das wird aber von Zeit zu Zeit besser.

Dabei wirken Sie meistens so ruhig und ausgeglichen ...

Freund: Gerade in der Juniorenzeit habe ich mich über ein schlechtes Ergebnis extrem aufregen können - vielleicht gar nicht so sehr nach außen, aber nach innen. Mit der Zeit habe ich gelernt, damit anders umzugehen. Ich rege mich natürlich auch heute noch auf, wenn es nicht funktioniert, aber du musst dieses Gefühl schnell kanalisieren und so einsetzen, dass du bessere Leistungen bringst. Wenn du anfängst, nur noch genervt zu sein, zu zweifeln und dich zu ärgern, dann bringt dich das beim Skispringen nicht vorwärts.

Wie gut ist Ihnen das nach der Vierschanzentournee gelungen? Sie sind super gestartet und haben enttäuschend aufgehört, als Sie beim letzten Wettbewerb den zweiten Durchgang verpassten.

Freund: Der Tag direkt danach war blöd. Im Training in Oberstdorf war es wirklich gut gelaufen - besser, als bei den drei Stationen davor. Ich dachte, es könnte im Wettbewerb etwas richtig Gutes herauskommen. Das war vielleicht auch das Problem: Vorher musste ich vom Training zum Wettkampf etwas aufholen und verbessern. In Bischofshofen war es eine andere Situation, mit der ich dann unbewusst wohl falsch umgegangen bin. Dass so ein Wettbewerb ausgerechnet bei der Vierschanzentournee passiert, ist extrem nervig. Das konnte ich auch nicht innerhalb von fünf Minuten abhaken. Ich muss einfach dranbleiben. Und das Positive in dieser Saison überwiegt ja doch.

Vor der Tournee hatten Sie gesagt, Sie seien in der Form Ihres Lebens. Dann haben Sie ein wenig diesen Fluss verloren. Liegt es an der Sensibilität dieses Sports oder doch an der Trainingspause durch Ihre Rücken-OP in der Vorbereitung?

Freund: Es ist beides. Dadurch, dass ich im Sommer nicht voll trainieren konnte, fehlt mir natürlich etwas. Hinzu kommt: Wenn du in Form bist, läuft es - aber diese Form hält nie ewig. Damit musst du als Skispringer umgehen.

War das Selbstbewusstsein angeknackst?

Freund: Nein, das wäre zu viel gesagt. Es ist einfach so, dass die Sprünge nicht mehr so leicht kommen. Da muss ich schnell wieder hin.

Wie optimistisch gehen Sie jetzt an Ihre WM-Einsätze?

Freund: Ich gehe da sehr positiv ran, weil ich im vergangenen Jahr beim Weltcup in Val di Fiemme Zweiter war und weiß, dass mir die Schanzen liegen. Und weil ich bei der WM 2011 in Oslo auf der kleinen Schanze schon die Form hatte, nach einer Medaille zu greifen, aber noch nicht bereit dafür war. Es ist jetzt wieder eine Chance. Ich glaube, dass wir im Team verdammt gut sind, auch wenn wir 2013 nicht mehr die Ergebnisse wie zu Saisonbeginn gebracht haben - aber das waren Ausnahmen. Unser Team ist so stark wie schon lange nicht mehr. Genauso können wir im Einzel nach einer Medaille greifen.

Der Teamwettbewerb verspricht bei der WM so viel Spannung wie lange nicht mehr, weil die einsame Dominanz der Österreicher beendet ist. Was ist möglich?

Freund: Wir gehen ganz sicher mit dem Anspruch hinein, dass wir eine Medaille holen und so weit vorne wie möglich landen wollen. Von Platz vier bis sogar Platz eins ist alles möglich.

Es heißt, Sie seien ein harter Arbeiter, dem nicht einfach alles zufliegt. Anders ausgedrückt: Andere haben mehr Talent. Ärgert das?

Freund: Nein, das unterstreicht ja eigentlich nur den Wert dessen, was ich erreicht habe. Bei mir ging es wirklich immer Schritt für Schritt vorwärts. Es gibt Leute, die von den reinen Voraussetzungen her talentierter sind - ich kann aber sagen, dass ich in anderen Bereichen Dinge mitbringe, die besser sind als bei anderen.

Und was ist das?

Freund: Der Wille und Ehrgeiz, wirklich oben anzukommen.

Und was hat Schlierenzauer, das Sie nicht haben?

Freund: Gregor hat mit seiner Größe von 1,80 Meter und seinem Gewicht von 64 Kilogramm anatomisch wahnsinnig gute Voraussetzungen zum Skispringen. Wenn ich mir seine Hebelverhältnisse und Fußstellung ansehe, braucht der nicht großartig technische Mittel wie einen gebogenen Stab bei der Bindung, damit er den Ski flach stellen kann - das kann er einfach so. Das ist ein natürlicher Vorteil, der mir fehlt. Genauso aber ist es ein Bonus von mir, dass ich mich wahnsinnig hineinfuchsen kann, sodass ich über externe Faktoren wie die Bindung, aber auch über Arbeit an mir selbst richtig gut fliegen kann.

Sind Sie auch abseits des Sports so ein akribischer Arbeiter?

Freund: Das ist wohl eher auf den Sport beschränkt. Es war nicht so, dass ich in der Schule so wahnsinnig viel gemacht hätte.

Was ist Ihr größtes Talent?

Freund: Wenn ich es auf das Skispringen beziehe, ist es, dass ich mich nur sehr schwer zufriedenstellen lasse. Das trifft auch auf andere Bereiche zu. Im Skispringen ist es sicherlich auch manchmal hinderlich, weil ich mit meinem Sprung einfach sehr, sehr selten zufrieden bin und deswegen auch immer etwas suche, dass ich besser gehen kann.

Sie sind also ein Kopfmensch?

Freund: Zum Großteil ist das schon richtig. Die besten Sprünge passieren mir aber, wenn ich sie wirklich rein aus dem Instinkt heraus mache. Ich muss da die Balance halten - mich auf der einen Seite stark mit dem Sprung beschäftigen und hineindenken, aber in dem Moment des Sprunges aus dem Instinkt heraus agieren.