Hockey-Nationaltorhüter Nico Jacobi vom Uhlenhorster HC spielte fünf Wochen lang in der Hockey India League. Ein persönliches Fazit.

Obwohl er erst am Donnerstagabend wieder in Hamburg gelandet war, wirkt der deutsche Hockey-Nationaltorwart Nico Jacobi, 25, bestens gelaunt und erholt, als er am Freitagmittag im Vapiano am Rothenbaum bei Pasta mit Scampi und Spinat sein Abenteuer Indien resümiert.

Hamburger Abendblatt: Herr Jacobi, worauf haben Sie sich bei Ihrer Rückkehr nach Hamburg am meisten gefreut?
Nico Jacobi: Darauf, wieder mit Wasser aus dem Hahn Zähne putzen zu können und beim Duschen nicht ständig den Mund zuhalten zu müssen. Das Anstrengendste war, auf die Hygiene zu achten, um sich nicht ein so gefürchtetes Magen-Darm-Virus zuzuziehen.

Ganz hat das nicht funktioniert, ein paar Tage lagen Sie flach. Warum lässt sich das nie ganz vermeiden?
Jacobi: Weil der europäische Magen an die Anforderungen, die Indiens Hygiene stellt, nicht gewöhnt ist. Magengrummeln ist ein ständiger Begleiter. Ich habe versucht, den Grundsatz 'Koche es, schäle es oder lasse es' zu befolgen, auch auf Eiswürfel habe ich verzichtet, Wasser nur aus verschlossenen Flaschen getrunken. Den Infekt habe ich bekommen, weil ich auf einem Pressetermin Fisch vom Buffet gegessen habe. Ich wusste schon in dem Moment, wo ich merkte, dass es Fisch ist: Das kann ins Auge gehen. Aber ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und habe es riskiert. Die Quittung folgte sofort.

Haben Sie Erfahrungen mit exotischen Speisen gemacht?
Jacobi: Ich habe mich bewusst von allem, was ich nicht kannte, ferngehalten. Und ich muss sagen, dass das Essen in den Hotels, in denen wir gewohnt haben, gut bis ausgezeichnet war. Schwierig war es nur, etwas zu bekommen, das für einen Europäer nicht scharf schmeckte. Da haben die Inder einfach ein anderes Empfinden.

Wie haben Sie die Kluft zwischen Arm und Reich empfunden, die in Indien größer sein soll als in jedem anderen Land?
Jacobi: Anfangs hatte ich ein erdrückendes Gefühl der Machtlosigkeit und des Mitleids. Aber so hart es klingt: Mit der Zeit stumpft man ab und nimmt es gleichgültig hin wie die Inder selbst. Ich habe mal einem Mädchen, das am Straßenrand bettelte, ein paar Rupien gegeben. Da haben mich meine indischen Teamkameraden regelrecht ausgeschimpft, weil sie meinten, das Geld würde sofort in Drogen umgesetzt.

Gab es sonst noch Dinge, die Sie als störend empfunden haben?
Jacobi: Genervt hat mich, dass man sich auf nichts verlassen konnte. Es gab keinen Terminplan, alles wurde spontan angesetzt. Die Inder sind sehr servicebewusst, sie fragen ständig, ob sie helfen können. Aber wenn man wirklich etwas braucht, muss man sich selbst darum kümmern. Ich habe gelernt, dass man nichts erwarten darf. Und dass man Gelassenheit braucht. Das gilt insbesondere für den Straßenverkehr. Wenn ich da selbst hätte fahren müssen, hätte ich es nicht überlebt.

War es Ihnen möglich, Kontakt zur normalen Bevölkerung aufzunehmen?
Jacobi: Kaum, wir haben in unserem eigenen Hockey-Universum gelebt. Das, was ich über den Sport hinaus sehen konnte, hatte lediglich touristischen Charakter. Aber ich habe mit vielen Deutschen, die dauerhaft in Delhi leben, gesprochen, und die haben gesagt, dass man als Ausländer grundsätzlich anders behandelt wird. Ein TV-Reporter, der perfekt Hindi spricht, wollte mal bei einer Taxifahrt den normalen indischen Preis bezahlen, weil er sich damit auskannte. Da hat ihn der Taxifahrer aus dem Auto geworfen.

Ihr früherer UHC-Teamkollege Philip Sunkel hat im Vorjahr für die Delhi Wizards in der Konkurrenzliga WSH gespielt. Er berichtete von harten Busreisen, von Insekten, die während der Spiele auf dem Platz herumschwirrten. Sie sind mit dem Teambus zwischen Hotel und Trainingsplatz gependelt, zu allen Auswärtsspielen geflogen, Sie haben in Fünfsternehotels logiert. Haben Sie ein anderes Indien kennengelernt als er?

Jacobi: Ich war von der Organisation absolut positiv überrascht, das hätte wesentlich schlimmer kommen können. Das Reisen war zwar anstrengend, ich habe 18 Inlandsflüge absolviert. Aber das ist immer noch besser, als im Bus anreisen zu müssen. Und was die Insekten angeht: In Ranchi krabbelten auch riesige Käfer über den Platz. Aber damit muss man klarkommen.

Hinter Ihrem Team Delhi Waveriders steht die Wave Group, ein Multikonzern. Wie war der Kontakt zu den Eignern?
Jacobi: Bestens. Man muss wissen, dass das Unternehmen in einer Krise steckte, als im Spätherbst die Auktion starten sollte, auf der die fünf Teams ihre Spieler ersteigern konnten. Der Firmengründer war kurz vorher im Zuge eines Streits von seinem Bruder erschossen worden. Es war lange fraglich, ob das Unternehmen sich überhaupt im Hockey engagieren würde. Aber weil es der Lebenstraum des Firmengründers war, hat sein Sohn, der die Geschäfte übernommen hat, letztlich zugestimmt.

Sie haben sogar einen Mannschaftsabend in dessen Privathaus erlebt.
Jacobi: Ja, das war ein unglaubliches Erlebnis. Die Familie residiert außerhalb der Innenstadt von Delhi in einem von vier Meter hohen Mauern abgeschirmten Areal, auf dem mindestens sechs Villen stehen. Selbst das Poolhaus ist größer als das Haus meiner Eltern. Und auf der anderen Straßenseite befindet sich einer der schlimmsten Slums Neu-Delhis, wo die Menschen im Dreck hausen. Einen krasseren Gegensatz habe ich nirgendwo anders im Land erlebt.

Indien gilt als Hockey-Nation...
Jacobi: ...was ich nicht uneingeschränkt bestätigen kann. Indien ist eine Cricket-Nation. Hockey hat einen guten Stellenwert, wird aber nicht flächendeckend im Land gespielt.

Immerhin wurden alle Spiele der Liga live gezeigt. Wie war die Resonanz in den Medien, die Atmosphäre in den Stadien?
Jacobi: Die Zeitungen und das Fernsehen haben täglich berichtet. Das Publikum im Stadion war sehr unterschiedlich, in großen Städten wie Delhi oder Mumbai etwas reservierter, in Ranchi sind sie total ausgeflippt. Bei Heimspielen hatten wir zwischen 4500 und 12.000 Zuschauern. Es gibt keine Sprechchöre, die Fans fangen an zu schreien, wenn ihr Team die Mittellinie überquert. Auf den Tribünen wird getanzt und getrommelt. Nach dem Spiel wollen alle ihren Stars die Hand schütteln. Da wird gedrängelt, geschubst, man wird festgehalten. Aber die Glücksgefühle, die ein Lächeln oder ein gemeinsames Foto bei den Fans auslösen, waren eine schöne Entschädigung.

War es für Sie komisch, sich als Star fühlen zu können?
Jacobi: Es war ein sehr ungewohntes, aber schönes Gefühl. Ich wurde auf der Straße oder am Flughafen erkannt, was in Deutschland nie passiert. Vermissen werde ich das aber nicht. Grundsätzlich war die Erfahrung toll, sich einmal nur auf den Sport konzentrieren zu können. Ich habe aber auch gemerkt, dass ein reines Profidasein nichts für mich wäre. Da fehlte mir doch die Betätigung für den Kopf.

Wie würden Sie den sportlichen Stellenwert der HIL beschreiben?
Jacobi: Ich denke, dass wir mit dem UHC gegen jedes HIL-Team gewinnen würden. Die Waveriders könnten aber in der Bundesliga die Play-offs erreichen. Was ich bei den Indern an technischem Talent gesehen habe, war absolut beeindruckend. Was ihnen fehlt, ist die Disziplin in der Defensivarbeit. Es war die Aufgabe der Ausländer im Kader, diese Struktur reinzubringen.

Als Ausländer hatten Sie einen besonderen Stellenwert. Wie haben Sie sich mit den indischen Mitspielern verstanden?
Jacobi: Wir waren am Ende wirklich eine verschworene Gemeinschaft. Die Teamsprache war Englisch; mit denen, die das nicht sprachen, haben wir uns mit Zeichen verständigt. Die Inder dachten, dass wir Deutschen arrogant und hochnäsig seien, humorlos und verbissen. Mein Zimmerpartner Oskar Deecke und ich konnten diesen Eindruck zum Glück nachhaltig verändern.

Es heißt, indische Spieler sind Obrigkeiten gegenüber unterwürfig und den offenen Umgang, der in Europa vorherrscht, nicht gewohnt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Jacobi: Nur teilweise. Unser Trainer Ajay Kumar Bansal war ein sehr angenehmer, lustiger Mensch, der viel Wert auf die Meinung seiner Spieler gelegt hat. Allerdings wurde von uns Ausländern erwartet, dass wir die Stellschrauben drehen und unsere Sicht einbringen. Darum geht es den Indern ja, sie wollen vom Know-how der Ausländer, die sie gut bezahlen, profitieren.

Sie haben einen Dreijahresvertrag. Freuen Sie sich schon aufs kommende Jahr?
Jacobi: Grundsätzlich ja, es hat mir viel Spaß gemacht, und ein Gehalt von 50.000 Dollar plus Extraprämien, wie ich es verdient habe, ist ja auch ein starkes Argument. Allerdings ist derzeit noch unklar, wie der Spielbetrieb in 2014 mit den internationalen Terminen koordiniert werden kann. Deshalb weiß ich noch nicht, ob ich nächstes Jahr in Indien spielen werde.

Kann die Bundesliga von der HIL lernen?
Jacobi: Die Inder beneiden uns um unser Vereinswesen, das es bei ihnen nicht gibt. Deshalb glaube ich nicht, dass ein Franchisesystem wie die HIL auf die Bundesliga übertragen werden sollte. Aber von der Professionalität der Vermarktung kann sich die Bundesliga etwas abschauen. Ich bin mir sicher, dass sich die HIL sehr gut entwickeln wird, und ich hoffe, dass im kommenden Jahr viel mehr deutsche Spieler sich trauen, diese Erfahrung zu machen. Persönlich bringt das jeden weiter.

Interview: Björn Jensen