Der neue Kapitän Carsten Arriens über Teamgeist, seine Entscheidung für Tobias Kamke und seinen Rat an Andrea Petkovic.

Hamburg. Das Erstrundenspiel in Argentinien, das an diesem Wochenende sein Debüt als Kapitän der deutschen Daviscupherren markiert, ist ganz nach dem Geschmack von Carsten Arriens. Der 43-Jährige, der 1993 in der Tennisweltrangliste mit Rang 109 seine beste Platzierung erreichte, ist seit November 2012 offiziell Nachfolger von Patrik Kühnen. Er muss ein zerstrittenes Team einen, das seit Sonntag in Buenos Aires trainiert, und neue Strukturen in der Nachwuchsarbeit aufbauen. Das ist beileibe kein leichtes Unterfangen, "aber je größer die Herausforderung, desto interessanter ist es doch", sagt der in Frankfurt am Main geborene Wahl-Kölner im Abendblatt-Gespräch.

Hamburger Abendblatt: Herr Arriens, Sie haben kürzlich bei den Australian Open den Leistungsstand Ihrer Spieler überprüfen können. Mit Philipp Kohlschreiber schied der Letzte von ihnen im Achtelfinale aus. Was lässt Sie dennoch hoffen, dass Sie in Argentinien gewinnen?

Carsten Arriens: Bis auf Florian Mayer, der neben sich gestanden hat, haben alle gezeigt, dass sie spielerisch gut drauf sind. Und im Training hat Flo sich in der vergangenen Woche auch stabilisiert gezeigt. Philipp hat einige sehr gute Matches gespielt. Tobias Kamke war bis zu seiner Verletzung gegen Stanislas Wawrinka, der danach immerhin fünf Sätze gegen Novak Djokovic gespielt hat, ebenbürtig. Und unser Doppelspezialist Christopher Kas ist in einer Bombenform. Außerdem habe ich in Melbourne auch die Argentinier beobachtet und gesehen, dass die derzeit absolut schlagbar sind. Viel wichtiger war aber, dass ich gespürt habe, dass alle Spieler den Neuanfang mittragen.

Sie haben diesen Neuanfang darüber definiert, dass ein neues Teamgefühl entstehen soll, nachdem im vergangenen Jahr der Streit zwischen Ihrem Vorgänger, Kohlschreiber und Tommy Haas eskaliert war. Wie schafft man ein neues Teamgefühl mit den alten Spielern?

Arriens: Über viele kleine Maßnahmen, vor allem aber über Kommunikation. Ich habe mit allen Spielern viele Gespräche geführt und vor allem auch ein Treffen mit allen Spielern, die in Melbourne waren, initiiert. Das heißt, es waren nicht nur die fünf dabei, die fürs Team nominiert wurden, sondern zwölf deutsche Profis. Das werde ich beibehalten. Jeder soll das Gefühl bekommen, dass er wichtig ist für das Team. Ich will mir bei Turnieren nicht nur die Topspieler anschauen, sondern alle, auch die Jugend. Das ist viel Arbeit, aber das wird bislang sehr gut angenommen, weil mir auch jeder abnimmt, dass ich es ernst meine und nicht nur als Show zum Einstieg in meine neue Aufgabe.

Warum hat Patrik Kühnen das nicht geschafft? Er hat doch auch immer viel Wert auf Teambuilding gelegt.

Arriens:Ich werde die Arbeit von Patrik, den ich lange kenne und mit dem ich vor der Amtsübernahme auch gesprochen habe, nicht kommentieren. Ich kann nur sagen, dass ich den ganzen Vorgang, der zur Trennung geführt hat, überhaupt nicht ehrenrührig finde. Patrik war zehn Jahre Teamchef, da ist es ganz normal, dass Dinge sich abnutzen, Beziehungen sich verändern und man auch mal aneinander vorbeiredet. Aus der ganzen Sache ist viel mehr gemacht worden, als wirklich vorgefallen war.

Mit Verlaub, aber das Verhalten Kohlschreibers gegenüber Kühnen, dass er sich sogar einmal weigerte, mit ihm zu reden, war schon grenzwertig. Es gibt einige, die sich gewünscht hätten, dass Kohlschreiber dafür eine längere Denkpause erhält.

Arriens: Ich habe aber mit Philipp kein Problem. Ich kenne ihn lange und muss ihm wie allen anderen die Chance auf einen Neuanfang einräumen. Er ist einer unserer besten Spieler, ich will ihn dabeihaben, solange er die Regeln einhält, die ich vorgebe. Und das tut er.

Den Streit mit Haas, hieß es, habe er auch beigelegt. Glauben Sie tatsächlich, dass die beiden jemals wieder in einem Team spielen könnten, sofern Haas noch einmal in den Kader zurückkehrt?

Arriens: Ich erwarte es sogar. Tennis hat ja nicht die Struktur wie klassische Teamsportarten, deshalb darf man es auch nicht überbewerten, wenn sich alle Spieler vorrangig um sich selbst kümmern. Aber es muss mehr Ehrlichkeit reinkommen, die Spieler müssen respektvoller miteinander umgehen und es schaffen, für maximal vier Wochen im Jahr an einem Strang zu ziehen. Bei dem einen oder anderen sieht man, dass er das noch nicht verinnerlicht hat, aber daran arbeiten wir. Die Spieler sind sich bewusst, dass sie die negativen Schlagzeilen hinter sich lassen müssen.

Tommy Haas hat abgesagt, weil andere auf Sand besser seien. Kann man ihm das abnehmen angesichts seiner Erfolge?

Arriens: Tommy hat seine Entscheidung bei unserem Treffen in Melbourne dem Team erläutert. Er hat sehr lang gesprochen, kam dabei sehr sympathisch und bescheiden rüber. Letztlich hat er sich bis zur von mir gesetzten Deadline nicht entscheiden können, ob er bereit ist oder nicht. Er steht aber weiter zur Verfügung und wäre auch als Ersatzmann mitgekommen, wenn Kamkes Verletzung schlimmer gewesen wäre.

Warum haben Sie Kamke zu diesem Zeitpunkt nominiert?

Arriens: Rational kann ich das kaum erklären, weil sich auch Björn Phau, Benjamin Becker und Daniel Brands aufgedrängt haben. Tobi traue ich aber zu, über sich hinauszuwachsen. Er ist unberechenbar, hat noch so viel Luft nach oben und soll deshalb diese wertvolle Erfahrung machen. Es war eine Bauchentscheidung, aber seine Freude hat mir gezeigt, dass sie richtig war.

In Argentinien erwartet Sie eine spezielle Atmosphäre. Wie bereiten Sie sich vor?

Arriens: Da ich aus eigener Erfahrung weiß, wie die Fans dort durchdrehen, ist das der wichtigste Aspekt der Vorbereitung. Der psychologische Teil hat mich schon immer sehr interessiert. Wir werden uns eine Strategie zurechtlegen, um damit umzugehen.

In Deutschland gibt es viele Millionen Fußballbundestrainer, aber auch Ihnen wurden viele öffentliche Ratschläge erteilt, zuletzt kritisierte Andrea Petkovic den fehlenden Teamgeist bei den Herren. Wie nehmen Sie solche Dinge wahr?

Arriens: Ich mag die Andrea sehr, sie bringt viel frischen Wind rein ins Tennis, aber da lag sie ein bisschen daneben, denn sie hat nicht den nötigen Einblick. Ich würde mir nie anmaßen, über den Teamgeist bei den Damen zu urteilen, stelle aber fest, dass wir immerhin in der Weltgruppe spielen und die Damen in der Zweiten Liga. Grundsätzlich steht es aber natürlich jedem frei, sich zu äußern, wie er mag.

Sie sagten vorhin, dass nach zehn Jahren eine Beziehung oft abgenutzt ist. Können Sie sich also nicht vorstellen, so lange Teamchef zu bleiben wie Patrik Kühnen?

Arriens: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass ich zehn Jahre im Amt bleibe. Wenn ich nicht mehr inspirierend für das System bin, muss ich aufhören. Zunächst aber kann ich es kaum erwarten, dass es endlich losgeht. Ich hatte anfangs Zweifel, ob ich das Richtige tue. Aber seit der offiziellen Amtsübernahme stehe ich voll hinter der Entscheidung. Meine Gedanken schweifen oft ab vom Daviscup, ich habe viele Ideen, um die Verbandsstruktur und die Jugendförderung zu verändern. Zudem habe ich ein großartiges Funktionsteam, das mich bestens unterstützt. Ich will die Zeit, die mir als Bundestrainer gegeben wird, optimal nutzen. Und damit am besten in Argentinien anfangen.