Thomas M. Schünemann startet bei der Rallye Dakar zusammen mit seinem Fahrer erstmals mit einem allradgetriebenen Prototyp.

Hamburg. Manchmal, wenn Thomas Schünemann mit wahnwitziger Geschwindigkeit durch die Landschaft braust, dann scheint es ihm, als bliebe für einen Moment die Zeit stehen. Dann hat er das Gefühl, an genau diesem Ort schon einmal gewesen zu sein. Und meistens wird diese Ahnung nach einer kurzen Rückfrage bei seinem Fahrer Matthias Kahle zur Gewissheit. 15 Wüsten-Rallyes hat Schünemann in seinem Leben bereits bestritten, jede davon Tausende Kilometer lang. Aber, so sagt er, könne er sich auch nach Jahren noch an jeden einzelnen Tag, jede Etappe, jede Streckenpassage erinnern. "Man erlebt bei einem solchen Rennen zehnmal mehr als im normalen Leben", sagt der 62 Jahre alte Hamburger Unternehmer, "Freud und Leid, Schmerz und Jubel folgen dicht aufeinander. Ich habe noch nie eine so dichte Erfahrung gemacht."

Wenn der siebenmalige deutsche Meister Kahle und sein Beifahrer Schünemann an diesem Sonnabend mit ihrem HS RallyeTeam zum siebten Mal die Dakar in Angriff nehmen, dann werden sich die Déjà-vus in Grenzen halten. Bei ihrer offiziell 35. Auflage befährt das berühmteste und berüchtigtste Wüstenrennen der Welt wieder einmal Neuland. Erstmals wird es in der peruanischen Hauptstadt Lima gestartet, erstmals kommt es nach einem Umweg über Argentinien am 19. Januar in der chilenischen Hauptstadt Santiago an. Dazwischen gilt es auf 8574 Kilometern unter anderem eine Dünenlandschaft zu durchqueren und - auch das ist ein Novum - einen Pass auf 4900 Meter Höhe im Renntempo zu bewältigen.

Schünemann wird nach bestem Wissen vorsorgen, einschließlich der Sauerstoffflaschen und einer Ration vorgekochten Fleischs für den Notfall. Und er wird sich wie immer an jedem Abend für mehrere Stunden mit dem Bordbuch in den Service-Lkw zurückziehen, um die Etappe des nächsten Tages genauestens zu studieren, während Kahle bereits im Bett liegt. Etwa 800 Ansagen muss Schünemann auf einer Etappe machen, auf besonders langen können es sogar 1500 werden. Wenn es sein muss, wird er den Wagen aus dem Sand freischaufeln oder auch einen Reifen wechseln. "Vieles lässt sich mit Routine kompensieren", sagt Schünemann. In seinem Büro in der City Nord hat sich über die Jahre eine stattliche Zahl von Pokalen angesammelt. Um die körperlichen Strapazen zu bewältigen, hat sich der promovierte Gründer und Geschäftsführer der Firma HS - Hamburger Software dreimal pro Woche von einem Personaltrainer stählen lassen.

Aber Schünemann weiß, dass wieder vieles anders kommen wird als geplant - diesmal mehr denn je. Erstmals steigt das von ihm gesponserte Team von der Buggyklasse in die Top-Liga der allradgetriebenen Prototypen auf - ein kleines Abenteuer im großen. Langweilig sei es zuletzt geworden, sagt Schünemann doch tatsächlich. Aber welche Ziele hätten er und der Kölner Kahle, 43, sich auch setzen sollen? Bei sechs Dakar-Teilnahmen gelangen ihnen bereits zwei Klassensiege. 2011 konnte das Duo sogar auf Platz zehn der Gesamtwertung vorfahren. Eine Top-Ten-Platzierung ist seit dem Umzug der Rallye nach Südamerika 2009 keinem anderen Buggyteam gelungen. Warum also nicht einen Gang höher schalten?

Die technische Umstellung ist für das Fahrerduo allerdings beträchtlich. Zwar profitiert es jetzt von der Traktion des Allradantriebs. Dafür sind der Stabilität des Fahrzeugs bei der Breite, der Federung und der Reifengröße engere Grenzen gesetzt als in der Buggyklasse. Um die technischen Anforderungen zu bewältigen, wurde ein dritter Mechaniker in das nun 13-köpfige Hamburger Team aufgenommen, das sich selbst als "deutsche Nationalmannschaft" bewirbt. Tatsächlich sind bis auf einen niederländischen Truck-Beifahrer alle Mitglieder und Komponenten einheimisch. Für ihre erste Königsklassenfahrt wären Kahle/Schünemann mit einem erneuten Top-Ten-Platz zufrieden. Ihr Prototyp SAM 30D CC, angetrieben von einem gut 300 PS starken Mercedes-Turbodieselmotor, fuhr bei der Silk Way Rallye im Juli vergangenen Jahres sogar um den Gesamtsieg mit, ehe auf der Schlussetappe drei der vier Antriebswellen versagten.

Die erwarteten Anlaufschwierigkeiten, versichert der Plauener Hersteller SAM, seien inzwischen überwunden. Die Dominanz der werksunterstützten Teams X-Raid-Mini oder Overdrive-Toyota aufzubrechen, dürfte dem privat finanzierten HS RallyeTeam trotz aller Anstrengungen kaum gelingen. Den Sieg hat Thomas Schünemann aber als Fernziel schon klar vor Augen. "Ein Unternehmer will nicht durchkommen, ein Unternehmer will immer auch gewinnen", sagt er.