Magnus Carlsen ist mit dem Sieg bei den London Chess Classics zum besten Schachspieler aller Zeiten aufgestiegen und will 2014 zur WM.

London/Hamburg. Es war wie immer. Honoratioren, Sponsoren und Kollegen mussten mit der Siegerehrung warten. Magnus Carlsen stand seit Stunden als Gewinner der London Chess Classics fest, doch selbst in seinem letzten Spiel mühte sich der Norweger 61 Züge und sechs Stunden lang, Weltmeister Viswanathan Anand, 43, niederzuringen. Die Partie endete remis. Das Ergebnis änderte nichts an der historischen Leistung, die Carlsen bei seinem Triumph über die Weltelite vollbrachte. Die Januar-Weltrangliste wird den 22-Jährigen als besten Schachspieler aller Zeiten ausweisen. Mit 2861 sogenannten Elo-Punkten übertrifft er die bisherige Bestmarke des Ex-Weltmeisters Garry Kasparow, 49, aus dem Juli 1999 um zehn Zähler.

"Das ist schon ein besonderer Moment", sagte Carlsen, "aber letztlich ist es nur eine vierstellige Zahl, deren Aussagekraft beschränkt bleibt." Unprätentiös wie sein Auftreten ist auch sein Spiel. Während seine Konkurrenten einen Großteil ihrer Energie in die häusliche Analyse der ersten Züge, der Eröffnungen, stecken, zieht Carlsen diesen Vorbereitungsschlachten schnell den Stecker. Er sucht unspektakuläre Pfade jenseits des Mainstreams und führt seine Gegner auf Felder, auf denen nicht Wissen und Gelerntes gefragt sind, sondern vielmehr das Gefühl für das harmonische Zusammenspiel der Figuren, die Intuition für strategisch Erfolg versprechende Konstellationen. "Auf diesem Gebiet ist er unschlagbar", sagt Schachrentner Kasparow, der Carlsen längere Zeit trainierte. Die Zusammenarbeit endete im Jahr 2009, typisch für Kasparow, im Streit.

Carlsen willigt im Unterschied zu allen anderen nie frühzeitig in eine Punktteilung ein, seine Partien sind auf Turnieren stets die längsten. Er spielt bis zum letzten möglichen Moment auf Gewinn. Das zahlt sich oft aus. Der Hobby-Fußballer mit Sympathien für den FC St. Pauli verfügt über eine hervorragende Kondition. Die gibt ihm die Fähigkeit, sechs Stunden lang seine Konzentration hochzuhalten. Grobe Fehler unterlaufen ihm seltener als seinen Widersachern, in der Endphase der Spiele versteht er es, mit seinen Manövern bis zum letzten Zug Druck, auch psychologischen, auszuüben. Das zermürbt.

Carlsen ist nicht nur der König des Schachs, er verdient in seiner Zunft auch am meisten. Der Norweger wirbt unter anderem für eine niederländische Bekleidungsfirma und kassiert allein mit seiner Vermarktung mehr als eine Million Euro im Jahr. Bislang zeigte Carlsen am Weltmeister-Titel wenig Interesse. Am letzten WM-Zyklus nahm er aus Protest nicht teil, weil der Weltverband Fide Absprachen nicht eingehalten hatte. 2014 will er erstmals um die WM-Krone kämpfen. Als bester Schachspieler aller Zeiten sieht er sich jetzt in der Pflicht.