Der Erfolgstrainer Fritz Sdunek schreibt über seine 16 Jahre lange Zeit beim seit Kurzem insolventen Hamburger Boxstall Universum.

Hamburg. Ist es leichter, den Abschied von einem geliebten Weggefährten zu verkraften, wenn man sich lange darauf vorbereiten kann? Tut es weniger weh, wenn man über viele Wochen spürt, dass es dem Ende entgegengeht? Ich habe mir diese Fragen oft gestellt in den vergangenen Monaten; immer dann, wenn ich mich mit früheren Kollegen oder alten Boxern unterhielt und die Nachrichten hörte, die aus dem Universum-Stall kamen.

16 Jahre meines Trainerlebens habe ich für Universum arbeiten dürfen. Viele dachten, dass mit meinem Abschied Ende 2009 auch meine Verbundenheit zum einstmals erfolgreichsten Boxstall der Welt abgeschnitten worden wäre. Doch das ist falsch. 16 Jahre, in denen ich Weltmeister wie die Klitschko-Brüder, Dariusz Michalczewski, Juan Carlos Gomez, Zsolt Erdei oder Artur Grigorian formen konnte, werfe ich nicht in den Mülleimer der Geschichte wie ein gebrauchtes Taschentuch. Sie hängen mir nach, für immer, und deshalb war der Schmerz groß, als ich am 19. November hörte, dass Universum einen Antrag auf Insolvenz gestellt hat. Es war wie ein Stich ins Herz, als mir schlagartig klar wurde: Universum, so wie ich es kannte und mit aufbauen durfte, wird es nie mehr geben.

Elf Tage zuvor war ich wieder einmal an dem Ort gewesen, wo im November 1993 alles begann. Unser Trainingsgym an der Walddörferstraße wird heute noch immer für Kampfsport genutzt. Der Hamburger Wrestling-Star Karsten Kretschmer sorgt dort mit seinem Nordisch Fight Club dafür, dass Jugendliche nach Regeln kämpfen und nicht auf der Straße, und ich bin darüber sehr glücklich, dass die alte Heimat, die Universum Anfang 2011 aufgab, um in Lohbrügge neu anzufangen, noch immer nach Sport riecht.

Ich war mit einem befreundeten Ehepaar nach Wandsbek gefahren, um den beiden zu zeigen, wo ich meine ersten Erfahrungen im Profiboxen sammelte, und wie ich so erzählte von den alten Zeiten, da übermannten mich die Emotionen, und die Bilder vom November 1993 waren wieder ganz deutlich in meinem Kopf.

Klaus-Peter Kohl, der das Unternehmen 1984 gegründet hatte, wollte damals den Trainingsbetrieb seiner Boxer aus der legendären "Ritze" auf der Reeperbahn nach Wandsbek verlegen. Er zeigte mir die Räume und erklärte mir, dass er vorhabe, in den Zimmern hinter der rund 500 Quadratmeter großen Haupthalle Sparringspartner unterzubringen. Dazu ein paar Büroräume, eine Kaffeeküche, das war die Idee, die Kohl hatte. Ich hatte eine andere Idee, denn ich hatte sofort gespürt, dass ich es mir dort heimisch machen könnte. Man könne doch, sagte ich, alle Räume renovieren und umbauen, um aus dem Gym eine Art DDR-Sportschule im Kleinformat zu machen. In die geplanten Büroräume, da wollte ich selbst einziehen. "Sind Sie denn noch ganz normal, Herr Sdunek? Hier wollen Sie wohnen?", fragte Kohl entgeistert.

Aber als er sah, dass ich es ernst meinte, fing er an, sich mit dieser Idee zu beschäftigen und sie umzusetzen. Und so begann am 1. März 1994 mein neuer Job als Trainer und Hausmeister bei Universum.

Eine Stimmung, wie sie in meinen Anfangsjahren herrschte, habe ich niemals wieder irgendwo erlebt. Meine Ehefrau Carola bereitete jeden Morgen das Frühstück, das wir gemeinsam im Kreis der Boxer nach dem Morgentraining gegen 9.30 Uhr einnahmen. Diese Runden waren immer unheimlich lustig, vor allem wenn wir Sparringspartner aus anderen Ländern dabeihatten, die weder Deutsch noch Russisch sprachen. Mit Tiergeräuschen haben wir dann versucht, den Jungs klarzumachen, was sie da gerade auf dem Teller hatten. Muh bedeutete Rindfleisch, Grunzen stand für Schweinefleisch, Kikeriki war die Lautform für Hühnerfleisch. Oftmals kamen zum Frühstück auch die Bosse vorbei, dann wurde über das aktuelle Tagesgeschehen geredet oder über Alltagssorgen, und man spürte sofort, dass die persönlichen Beziehungen das Betriebsklima ungemein positiv beeinflussten.

Besonders hart war die Arbeit, wenn wir Veranstaltungen im Gym hatten. Da gingen die Partys danach bis in die Morgenstunden des Sonntags, und dann hieß es für uns trotzdem früh aufstehen, um aufzuräumen und zu putzen, das Gym zu lüften, um den Zigaretten- und Alkoholgestank aus den Ecken zu kriegen, und alles wieder fürs Training am Montagmorgen herzurichten. Wenn Besucher kamen und ich gerade den Hof fegte oder die Dachrinne säuberte, dann konnten die oftmals gar nicht glauben, was ich da tat. Es gab auch welche, die mich nicht kannten, und als die sahen, dass derselbe Mann, der kurz vorher noch die Halle ausgefegt hatte, dann das Training leitete, war die Überraschung groß.

Nach dreieinhalb Jahren Doppelfunktion war ich allerdings an meine Grenzen gestoßen. Carola und ich hatten niemals Feierabend, die Jungs kamen sogar nachts wegen jeder Kleinigkeit zu uns. Ende 1997 sagte ich zu Carola: "Wenn wir hier länger als fünf Jahre wohnen, kann ich mich nur noch erschießen." Zum Glück fanden wir kurz vor Ablauf der Frist ein Häuschen in Sasel, wo wir auch heute noch leben.

Natürlich werde ich oft gefragt, welches die herausragenden Dinge waren, die ich in meiner Universum-Zeit erlebt habe. Ich tue mich schwer mit einer Antwort, denn einerseits waren es eine Menge unglaublicher Erlebnisse, andererseits will ich auch niemanden vor den Kopf stoßen. Wie könnte ich meinen ersten Weltmeister Ralf Rocchigiani vergessen, dem ich mal in einer Berliner Kneipe dabei zusah, wie er 27.000 Mark beim Zocken gewann? Oder meinen "Tiger" Dariusz Michalczewski, dem ich an den Augen ablesen konnte, wenn er in einer Mittagspause mal wieder nicht allein geschlafen hatte? Oder die Reise nach Argentinien mit Juan Carlos Gomez, als Diebe aus meinem Hotelzimmer den Safe stahlen, indem sie ihn einfach aus der Wand herausbrachen? Diese und noch viel mehr Geschichten können Sie in meiner Biografie lesen, die im März erschienen ist. Aber meinen größten sportlichen Moment im Universum möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Es war der Kampf mit Vitali Klitschko in Los Angeles gegen WBC-Weltmeister Lennox Lewis am 21. Juni 2003. Wir kamen als krasse Außenseiter, und ich werde nie vergessen, was dann passierte. Beim Einmarsch in die Arena wurden wir ausgepfiffen, doch die fünf Runden, die folgten, sollten alles auf den Kopf stellen. Vitali und Lennox, den ich 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul kennengelernt hatte, lieferten sich ein unfassbares Duell. In den Rundenpausen stöhnten die Zuschauer kollektiv auf, als sie die schweren Treffer, die beide einstecken mussten, in Zeitlupe sahen. In der Pause vor der sechsten Runde wurde der Kampf abgebrochen, weil Vitali eine Risswunde über dem Auge hatte, in der man einen ganzen Wattestab versenken konnte. Er lag auf allen drei Punktzetteln 58:56 vorn, und bis heute bin ich überzeugt, dass er gewonnen hätte. Die Aufregung war riesig, aber als ich hörte, dass das Publikum Vitali feierte, da wusste ich, dass das der Kampf gewesen war, der ihn zum Star machte. Und das ist eine der wichtigsten Lehren, die ich weiterzugeben versuche: Dass man nicht immer Sieger sein muss, um Gewinner zu sein.

Niederlagen gehören zum Sport dazu, und trotzdem habe ich die Art und Weise, wie mein Abenteuer bei Universum endete, nie ganz verwunden. Der Niedergang des Unternehmens begann im Jahr 2005, als man sich von Geschäftsführer Peter Hanraths trennte. Er war der Verbindungsmann zwischen Boxern und Geschäftsleitung gewesen und hatte dafür gesorgt, dass das Betriebsklima stimmte. Als er weg war, wurde der Stall quantitativ aufgerüstet, doch die Qualität litt. Als zwecks Auslese immer mehr stallinterne Duelle angesetzt wurden, vor denen wir Trainer immer warnten, war das Klima irgendwann vergiftet. Wir waren nicht mehr die große Familie der 90er-Jahre.

2009, ich hatte eine Hautkrebserkrankung und eine Herzoperation hinter mir, spürte ich, dass man mir nicht mehr vertraute. Offen gesagt hat man es mir nie, aber hinter vorgehaltener Hand wurde meine Arbeit kritisiert und meine Gesundheit thematisiert. Wir einigten uns dann darauf, in einer Pressemitteilung öffentlich zu machen, dass ich aufgrund meiner gesundheitlichen Verfassung kürzertreten und eine lange Auszeit nehmen müsse. Damit war das Kapitel Universum beendet.

Dass die Verbindungen trotzdem nie abgerissen sind, habe ich schon erwähnt. Ich habe bis zuletzt für meine alten Sportler und Kollegen gehofft, dass es für sie weitergeht, weil ich nicht glauben wollte, dass aus einem so großartigen Unternehmen, wie es Universum war, ein Insolvenzkandidat werden könnte. Seit dem 19. November aber weiß ich, dass die Antwort auf die Fragen, die ich mir in den vergangenen Monaten gestellt habe, ein klares Nein ist.

Fritz Sdunek, 65, ist derzeit als Trainer von Vitali Klitschko und Felix Sturm aktiv. Seine Biografie "Durchgeboxt - Mein Leben am Ring" (ISBN 978-3-86265-108-5), kostet 19,95 Euro, hat 400 Seiten plus 32 Seiten Bildteil und ist von ihm handsigniert.