Franz Beckenbauer äußert sich im Abendblatt-Interview über die Defizite der Nationalmannschaft und die neue Klasse des FC Bayern München.

Kitzbühel. Für Franz Beckenbauer, 67, war es ein echtes Heimspiel. Schließlich hat die deutsche Fußball-Legende in Kitzbühel (Österreich) sein Haus behalten, obwohl er inzwischen mit seiner Familie in der Nähe von Salzburg wohnt. Entsprechend schlagfertig und gut gelaunt zeigt er sich bei den Interviews vor dem Laureus Media Award in Kitzbühel im „Open House“ seines langjährigen Managers Marcus Höfl.

Hamburger Abendblatt: Herr Beckenbauer, Sie waren einer der besten Fußballer der Welt, erfolgreicher Trainer mit Gewinn des WM-Titels 1990, hochrangiger Funktionär des FC Bayern und der Fifa, vor allem aber als OK-Chef verantwortlich für das WM-Sommermärchen 2006. Wie sehr vermissen Sie Ihre Ämter?

Franz Beckenbauer: Ehrlich gesagt, gar nicht. Ich genieße das Leben mit meiner Familie. Vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war ich 330 Tage im Jahr unterwegs. Das hält auf Dauer kein Mensch aus. Jetzt habe ich viel mehr Lebensqualität. Und die ganzen Gremien existieren offenbar auch ohne mich. Ich fahre nur noch gelegentlich zu den Spielen des FC Bayern.

Werden Sie als Ehrenpräsident in die Entscheidungen des FC Bayern noch eingebunden, etwa bei der Trennung von Trainer Louis van Gaal?

Beckenbauer: Diese Trennung war ja absehbar und letztlich ein Abschied auf Raten. Aber ich will da gar nicht mehr eingeweiht werden. Dann mache ich mir nur wieder Gedanken. Das will ich nicht mehr. Die Verantwortlichen machen das sehr gut.

Mit der Leistung der Mannschaft werden Sie zufrieden sein, vor allem der beim souveränen 3:0 beim HSV. Ist die Mannschaft schon auf Kurs FC Barcelona?

Beckenbauer: Barcelona ist noch eingespielter, noch trickreicher. Aber wie die Bayern jetzt spielen, das schaut schon gut aus. Da verlieren sie gegen Leverkusen, und die ganze Liga hofft auf den nächsten Ausrutscher. Und dann dominieren sie den HSV. Das ist klasse.

Auch in der vergangenen Saison waren die Bayern der Konkurrenz enteilt und wurden dann von Dortmund abgefangen.

Beckenbauer: Das wird in dieser Saison nicht passieren. Die Mannschaft hat aus dieser Erfahrung gelernt, sie ist jetzt viel stabiler geworden. Vergangene Saison hat der Ausfall von Bastian Schweinsteiger das Team doch sehr geschwächt. Jetzt hat Trainer Jupp Heynckes in seinem Kader ganz andere Auswahlmöglichkeiten. Für mich ist auch die Verpflichtung von Sportvorstand Matthias Sammer ein Glücksfall. Die beiden ergänzen sich richtig gut.

Arjen Robben hat bislang kaum mitspielen können. Wie wichtig ist er noch für die Mannschaft?

Beckenbauer: Sehr wichtig. Er hat absolut außergewöhnliche Qualitäten. Wir sind froh, dass wir ihn haben.

Wie wichtig sind grundsätzlich Führungsspieler für eine Mannschaft?

Beckenbauer: Sehr wichtig. Als Teamchef habe ich immer gesagt, am besten wären elf Kapitäne auf dem Platz. Die hat man natürlich nie. Aber man braucht Spieler, die Kollegen mitreißen, bei denen es nicht so gut läuft.

Nach dem 4:4 gegen Schweden, als die deutsche Nationalelf einen 4:0-Vorsprung verspielte, gibt es in Deutschland diese Führungsspieler-Diskussion?

Beckenbauer: Ich glaube, das Problem war ganz einfach, dass die deutsche Mannschaft nach den Siegen gegen schwächere Gegner zu selbstsicher war. Und dann spielt sie gegen Schweden eine Stunde Traumfußball und denkt, jetzt kann nichts mehr passieren. Dann ist es wahnsinnig schwer den Schalter wieder umzulegen. Die Schweden haben in der letzten halben Stunde alle Zweikämpfe gewonnen.

Die Führungsspieler haben sich in dieser Phase versteckt.

Beckenbauer: Ach was, so etwas passiert einem nur einmal in deiner Karriere. Mir ist das damals mit den Bayern gegen Kaiserslautern auf dem Betzenberg passiert (der FC Bayern führte damals mit 4:1 und verlor noch 4:7, Anm. d. Red.)

Aber Ihre Bayern-Generation hat internationale Titel in Serie gesammelt.

Beckenbauer: Vielleicht müssen wir uns wieder stärker auf unsere deutschen Qualitäten besinnen. Auf den Kampf, auf den Willen. Aber wenn schon unsere Verteidiger anfangen wollen zu zaubern, dann wird es gefährlich. Wir verlassen uns inzwischen zu sehr auf unsere spielerische Überlegenheit. Dabei stand Deutschland vor allem einmal dafür, niemals aufzugeben. Wenn ich nur an die WM in Mexiko 1970 denke. Da lagen wir gegen England 0:2 zurück und haben am Ende noch 3:2 gewonnen.

Hat Fußball-Deutschland inzwischen zu viele Spieler vom Schlage eines Mesut Özils, eines Mario Götze oder eines Marco Reus? Allesamt technisch überragend, aber eben Leichtgewichte.

Beckenbauer: Deren Spiel ist natürlich schön anzuschauen, aber die sind zerbrechlich, wenn da ein Gegenspieler mal ein bisschen rustikaler hingeht. Da schaut jeder zum Schiedsrichter, wenn er mal gefoult wird, auch wenn es nur mal ein Rempler war. Deshalb müssen wir jetzt schauen, dass mehr auf das Kämpferische geachtet wird, ohne das Spielerische aufzugeben.

Kann man das in den verbleibenden gut anderthalb Jahren bis zur WM 2014 in Brasilien noch lernen?

Beckenbauer: Selbstverständlich. Es muss nur wieder eine gewisse Ernsthaftigkeit rein. Gegen Kasachstan oder die Färöer reicht unsere spielerische Überlegenheit. Aber nicht gegen die Großen. Dann muss man richtig dagegenhalten.