Nachdem Armstrong alle sieben Titel aberkannt wurden, bleiben die Siegerlisten leer. Fast alle Nächstplatzierten sind oder waren belastet.

Berlin. Lance Armstrongs sieben aberkannte Gesamtsiege bei der Tour de France werden nicht neu vergeben. Wie der Radsport-Weltverband UCI am Freitag in Genf entschied, rücken damit unter anderen Jan Ullrich und Andreas Klöden in den Klassements nicht auf Platz eins vor.

Zu Beginn der Woche waren dem US-Amerikaner alle sieben Titel der Frankreichrundfahrt aberkannt worden. Seitdem überlagern immer neue Enthüllungen die Bemühungen um einen glaubwürdigen Neubeginn im Radsport. Nicht einmal vor der Erpressung des heutigen US-Präsidenten Barack Obama soll der skrupellose Doping-Betrüger Recherchen einer preisgekrönten US-Starpublizistin zufolge auf dem Höhepunkt seiner erschlichenen Popularität zurückgeschreckt sein.

Unbhängig davon ringt die Szene um wirkungsvolle Maßnahmen zur Bewältigung der düsteren Vergangenheit. „Der Radsport ist noch zu retten, dafür sind aber gewaltige Anstrengungen nötig“, sagte Deutschlands frühere Radsport-Chefin Sylvia Schenk: „Man muss radikal denken.“

Geradezu unvorstellbar radikal ging Armstrong anscheinend nicht nur im Sattel bei der Verfolgung seiner Ziele vor. Laut Recherchen der Journalistin Selena Roberts, die 2003 schon den spektakulären Baseball-Dopingfall Alex Rodriguez enthüllt hatte, wollte Armstrong im Sommer 2008 offenbar in einem Gefühl der Allmächtigkeit Obamas Teilnahme an einer Veranstaltung seiner Livestrong-Stiftung erzwingen.

Nachdem der damalige Präsidentschafts-Kandidat der Demokraten wegen seiner Europa-Reise abgesagt hatte, soll Armstrong in einer Mail an dessen Parteifreund John Kerry gedroht haben, gegen den Hoffnungsträger der Demokraten mobilzumachen. „Wenn Krebs für die Demokratische Partei kein Thema ist, gehen wir in die Livestrong-Datenbank mit ihren Millionen von registrierten Mitgliedern und lassen alle wissen, wo die Demokratische Partei in dieser Frage steht“, hieß es laut Roberts in Armstrongs Nachricht an Kerry.

Roberts spekuliert in ihrem Online-Report weiter, Armstrong habe bis zuletzt seinen Einfluss in der Politik zum eigenen Vorteil genutzt. So soll die überraschende Einstellung der staatlichen Ermittlungen gegen den Texaner auf Druck des früheren US-Präsidenten Bill Clinton beim zuständigen Staatsanwalt Andre Briotte zurückzuführen sein. Roberts weist diesbezüglich darauf hin, dass Armstrong just zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung 100.000 Dollar für eine von Clintons Demokraten unterstützte Krebshilfe-Organisation gespendet hat.

Unterstützung erhält Armstrong vom zweimaligen Tour-de-France-Sieger und überführten Dopingsünder Alberto Contador. Sein früherer Teamkollege sei „gedemütigt und gelyncht“ worden, sagte der Spanier. „Jetzt reden die Leute über Lance, dabei gibt es keinen neuen Test oder etwas anderes. Alles basiert auf Zeugenaussagen, die auch schon 2005 hätten existieren können“, sagte Contador, der die aktuellen Dopingtests im Radsport als so „rigoros wie möglich“ bezeichnete.

Unterdessen sucht der Radsport weiter nach Wegen aus der tiefsten Krise seine Geschichte. Am Tag der Vorstellung der 100. Tour de France im kommenden Jahr nahm Schenk dabei besonders die Macher der „Großen Schleife“ in die Pflicht. „Die Tour ist der Schlüssel dazu, dass der Radsport wieder sauber wird“, sagte die heutige Sportbeauftragte der Antikorruptions-Organisation Transparency International in einem Radiointerview mit WDR2.

Die Vorgängerin von Rudolf Scharping an der Spitze des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) forderte für die nächste Frankreich-Rundfahrt einschneidende Verschärfungen der Anti-Doping-Maßnahmen. „Man muss dafür sorgen, dass niemand von außen in die Hotels gelangen kann, und es müssen sich alle bereit erklären, dass jederzeit in den Hotels Kontrollen in den Zimmern durchgeführt werden können. Man könnte eine Menge machen, wenn alle mitspielen und sagen: Wir wollen zeigen, dass nicht mehr gedopt wird“, sagte Schenk.

Die Effektivität der bisherigen Mittel der Doping-Bekämpfung im Radsport will die Vereinigung der Profi-Teams (AIGCP) von einer unabhängigen Kommission überprüfen lassen. „An diesem kritischen Punkt ist es am besten, dass sich Außenstehende das System anschauen und uns helfen, die Fehler der vergangenen 20 Jahre in Zukunft zu vermeiden“, begründete AIGCP-Chef John Vaughters beim Online-Portal cyclingnews.com die einstimmige Forderung der Rennställe. Seinen Angaben zufolge wollen sich die Teams an den Kosten der Untersuchung beteiligen: „Wir hoffen, dass die UCI ebenfalls ihren Beitrag leistet und Dritte in ihre Abläufe hineinschauen lässt.“