Als Übergangslösung fungieren Schultz, Meggle und Hain im Dreierpack. Die Suche nach einem Nachfolger läuft auf Hochtouren.

Hamburg. Die 20.932 Zuschauer am Hamburger Millerntor erlebten am Dienstagabend im Zweitligaspiel gegen den VfR Aalen einen spielerischen Offenbarungseid ihrer Mannschaft: kein Tempo, keine Ideen, keine Struktur, kein Tor, kein Punkt. Das 0:1 gegen den stark ersatzgeschwächten Aufsteiger sorgte für schlechte Laune bei Fans - aber auch bei Spielern und Funktionären. "Die Situation ist sehr gefährlich. Die Mannschaft hat planlos und unsicher gespielt", sagte Präsident Stefan Orth dem Abendblatt. "Wir müssen jetzt in Ruhe sehen, was zu tun ist, und die richtigen Schlüsse ziehen."

Und diese Schlüsse ergaben am Mittwochvormittag, dass Coach Andre Schubert gehen muss. Auf einer Pressekonferenz sagte Orth am Mittwochmittag: „Die negativen sportlichen Erlebnisse der letzten Wochen haben uns dazu bewogen, den Trainer von seinen Aufgaben zu entbinden. Das Spiel gegen Aalen war ein Tiefpunkt. Die im Analysegespräch im Mai mit André Schubert von ihm vorgeschlagenen Werkzeuge zur Weiterentwicklung der Mannschaft haben nicht gegriffen. Es ist keine positive Entwicklung zu erkennen. Die Situation ist ernst. Deshalb haben wir gehandelt.”

Thomas Meggle, Timo Schultz und Mathias Hain werden übergangsweise das Training leiten, bis ein neuer Coach gefunden ist. Mehr als eine Übergangslösung ist nicht möglich, da weder Meggle noch Schultz über die nötige Lizenz als Fußballlehrer verfügen.

Doch der Klub steckt nach Abendblatt-Informationen bereits in Verhandlungen mit einem Nachfolger. Sportchef Rachid Azzouzi begann sofort nach der Entlassung mit der Fahndung. „Ich werde nun eine Liste möglicher Kandidaten erstellen und nach Abstimmung mit dem Präsidium Gespräche führen“, sagte er, „wir brauchen wieder ein komplettes Miteinander, jemanden, der die Werte verkörpert, die den FC St. Pauli ausmachen wie Kampf und Leidenschaft. Zudem wollen wir uns auch fußballerisch wieder verbessern.“ Als heißester Kandidat gilt Marco Kurz, der Anfang des Jahres beim 1. FC Kaiserslautern entlassen wurde .Azzouzi führte aus: „Wir hatten nicht den Eindruck, dass der Trainer den Bock nochmal umstoßen könnte. Die Stimmung in der Mannschaft war jedoch bis zum Ende in Ordnung. Ich glaube, dass der Trainer damit rechnen konnte, dass diese Entscheidung so getroffen wurde. ”

Ähnlich sah es das Präsidium, das die sommerliche Entscheidung pro Schubert nun korrigierte. „Wir haben keine Weiter-, sondern eine Rückwärtsentwicklung erkannt“, stellte Vizepräsident Jens Duve fest.

Der 41-Jährige Schubert war im Sommer 2011 vom SC Paderborn ans Millerntor gewechselt, wo er einen Vertrag bis 30. Juni 2013 besaß.

Gegen Aalen waren die Defizite zu groß, zu schwer wiegen die Mängel, zu vielschichtig sind die Probleme, die gegen einen keinesfalls gutklassigen Gegner offenkundig wurden. "Es fehlte an allem, nichts passte zusammen", sagte Angreifer Mahir Saglik. "So holen wir gar keine Punkte mehr", zeigte sich Kapitän Fabian Boll desillusioniert.

Trotz der durchwachsenen Resultate hatte Trainer nach dem bisherigen Tiefpunkt in Cottbus (0:2) positive Veränderungen bezüglich Auftreten und Kombinationsspiel ausgemacht. In den folgenden Spielen war tatsächlich ein Aufwärtstrend erkennbar gewesen. Und so richtete sich der mit der rot-schwarzen Jolly-Rouge-Optik ausgedrückte Unmut der Fans vor dem Anpfiff einzig gegen die geplante Integration der Dom-/Stadionwache in die neue Gegengeradentribüne. Doch bereits zur Halbzeit war der Protest von den Rängen auf die sportliche (Fehl-)leistung der Mannschaft ausgeweitet worden. Begleitet von aufmunternden Schlachtrufen, aber eben auch gellenden Pfiffen schlichen die Spieler in die Kabine.

Obwohl Aalens Trainer Ralph Hasenhüttl seine Abwehr verletzungsbedingt hatte umbauen müssen und mit Cidimar, Lechleiter und Dausch drei weitere Leistungsträger auf der Bank gelassen hatte, reichte es gegen die Hallers, Valentinis und Buballas im ersten Abschnitt nur zu einem fulminanten Schuss von Marius Ebbers (7.). Es sollte bis sieben Minuten vor dem Ende die einzige gefährliche Aktion bleiben.

"Ich mag gar keine Erklärungen suchen", sagte Sportdirektor Rachid Azzouzi, "wir müssen analysieren, weshalb wir so mutlos und mit wenig Dynamik gespielt haben. Wir brauchen schleunigst Lösungsansätze und müssen jetzt erst mal die hinteren Tabellenregionen im Auge behalten."

Die keineswegs überbreite Lobby Schuberts wird in diesen Tagen auf eine harte Probe gestellt. "Uns ist das Herz schon in der ersten Halbzeit in die Hose gerutscht, wir waren deutlich verunsichert. Ich übernehme die Verantwortung", sagte der Trainer selbst, keineswegs verwundert über die immer lauter werdenden Diskussionen, die zehn Minuten vor dem Abpfiff auf dem Südteil der Haupttribüne in "Schubert-raus"- Rufen gipfelten. "Durch die Personalentscheidungen, die im Sommer getroffen wurden, bin ich bei einigen nicht mehr so beliebt", glaubt Schubert die Gründe zu kennen. Indirekt adressierte er seine Kritik an den ehemaligen Sportchef Helmut Schulte: "Wir sind hier immer einen gemeinsamen Weg gegangen. Aber der ist in der Öffentlichkeit nicht so benannt worden. Ich gelte daher bei dem einen oder anderen als derjenige, der hier die Leute aussortiert hat. Aber wir haben diese Entscheidungen immer gemeinsam getroffen."

Und so sollte es am Dienstagabend laut Azzouzi auch bleiben: "Wir müssen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen - gemeinsam mit André Schubert." Die Diskussion sollte nicht allein über den Trainer, sondern auch mit ihm geführt werden. Doch diese Überlegungen sind mittlerweile obsolet.

Schubert hatte während der 90 Minuten am Millerntor alles versucht, hatte seinen Spielern aufmunternd applaudiert, sie angespornt, positive Signale ausgesandt. Allein, es half nichts. In der 83. Minute scheiterte der eingewechselte Mahir Saglik mit einem abgefälschten Schuss an Fejzic, fünf Minuten vor dem Abpfiff parierte der VfR-Torwart auch Sagliks Freistoß. Christopher Avevor vergab einen Kopfball in der Nachspielzeit kläglich, Daniel Ginczek zielte knapp vorbei. Dabei verschoss Aalens Valentini sogar noch einen von Bartels verursachten Foulelfmeter. "Wir müssen uns jetzt gemeinsam aus der Scheiße rausziehen", rät Mittelfeldspieler Patrick Funk.