Die Entscheidung war die Konsequenz aus Armstrongs vorherigem Verzicht auf ein Schiedsgerichts-Verfahren um die Doping-Vorwürfe.

Colorado Spring. Das schon lange wankende und bröckelnde Radsport-Denkmal Lance Armstrong ist endgültig vom Sockel gestürzt. Die US-Anti-Doping-Agentur USADA sperrte den einstigen „Dominator“ am Freitag lebenslang und forderte vom zuständigen Weltverband UCI die Streichung aller Ergebnisse des Texaners seit dem 1. August 1998 inklusive seiner sieben Erfolge bei der Tour de France von 1999 bis 2005. Die spektakuläre Entscheidung war die Konsequenz aus Armstrongs vorherigem Verzicht auf ein Schiedsgerichts-Verfahren um die schweren Doping-Vorwürfe gegen seine Person.

Armstrongs Aufgabe kam einem Eingeständnis gleich. Sein Schritt verhinderte lediglich seine nahezu sicher erscheinende Überführung als Dopingsünder in aller Öffentlichkeit.

Durch die Sperre könnten ausgerechnet Jan Ullrich, dem bereits wegen Dopingvergehen sanktionierten einzigen deutschen Tour-Sieger (1997), die Titel von 2000, 2001 und 2003 zufallen. Der ebenfalls umstrittene Andreas Klöden würde als Tour-Zweiter von 2004 profitieren. Die übrigen Zweiten, Alex Zülle (1999), Joseba Beloki (2002) und Ivan Basso (2005), haben ebenfalls eine Dopingvergangenheit. Auch die mögliche „Nachfolgeregelung“ offenbart den katastrophalen Zustand des Radsports.

Entsprechend kommentierte beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) Präsident Rudolf Scharping die USADA-Entscheidung: „Wenn man Ruhe in den Radsport bringen will, muss man dafür sorgen, dass Sportler wie Armstrong aus den Ergebnislisten gestrichen werden. Man muss aber nicht zwingend jemanden nachrücken lassen“, sagte der frühere Bundesverteidigungsminister. Man möge sich vorstellen, sagte Scharping weiter, „gegen irgendeinen derer, die da nachgerückt sind, wird nach Jahren aufgrund neuer Methoden etwas entdeckt und Anklage erhoben. Ich glaube, das führt zu nichts.“

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Armstrongs Lage erschien schon seit Wochenbeginn, als ein Gericht in seiner Heimatstadt Austin/Texas eine Klage gegen die Ermittlungen der USADA abgewiesen hatte, aussichtslos. In einem Statement auf seiner Website (www.lancearmstrong.com) schrieb der 40 Jahre alte Amerikaner vor dem USADA-Beschluss: „Es kommt ein Punkt im Leben, da kann man nur noch sagen: ’Genug ist genug’. Dieser Punkt ist nun erreicht. Ich habe mich seit 1999 mit Betrugsvorwürfen herumschlagen müssen.“ Das habe ihm, seiner Familie und der Arbeit mit seiner Stiftung „Livestrong“ einen „zu hohen Zoll“ abverlangt.

Die UCI, die zuletzt vergeblich versucht hatte, der von Travis Tygart geführten USADA den Fall Armstrong zu entreißen, hielt sich am Freitag zurück und forderte die US-Behörde nur auf, die geforderten Maßnahmen gegen Armstrong zu erläutern. Nur der Weltverband könnte dem Amerikaner die Titel aberkennen. Eine pikante Ausnahme bildet die Bronzemedaille Armstrongs im olympischen Einzelzeitfahren 2000 in Sydney, mit der sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) befassen müsste. Das IOC will jedoch zunächst abwarten.

Dass Aberkennungen nicht per Handstreich möglich sein werden, erläutert der Sportrechtsexperte Michael Lehner. Der Heidelberger Anwalt verweist auf die achtjährige Verjährungsfrist von Dopingvergehen und betont mit Blick auf mögliche Ergebnisstreichungen: „Das ist rechtlich sehr kompliziert, weil es kein einheitliches Prozedere dafür gibt.“ Zudem legte Armstrong keine Dopingbeichte ab, er sprach stattdessen von „bizarren und abscheulichen Vorwürfen“.

Aus einer Passage seiner Verteidigungsrede lässt sich allerdings die Strategie herauslesen, die auch Ullrich stets genutzt hat: Doping im Radsport war legitim, weil alle es taten. „Ich weiß, wer diese Titel gewonnen hat, meine Teamkollegen wissen es und auch die früheren Konkurrenten wissen es. Wir sind alle zusammen gefahren. Drei Wochen lang über dieselben Straßen und die gleichen Berge“, schrieb Armstrong: „Es gab keine Abkürzungen, keine spezielle Behandlung, immer dieselben Routen und Regeln. Das härteste Rennen der Welt, das der stärkste Mann gewinnt. Niemand kann dies jemals ändern, schon gar nicht Travis Tygart.“

Ullrich äußerte sich zur möglichen Zuerkennung dreier weiterer Tour-Siege emotionslos. „Ich schaue nicht auf diese Titel, ich verfolge das Verfahren auch nicht intensiv. Ich bin stolz auf meine zweiten Plätze“, sagte er dem Berliner Tagesspiegel: „Wenn der Fall tatsächlich eintritt, werde ich mich dazu äußern. Bis dahin ist das Spekulation.“

Nach dem Gerichtsbeschluss vom Montag hatte Armstrong keine Chance mehr, die Schiedsgerichts-Verhandlung vor der USADA zu verhindern. Das Verfahren hätte mit höchster Wahrscheinlichkeit zur Folge gehabt, dass er offiziell und öffentlich als Dopingsünder gebrandmarkt worden wäre. „Heute schließe ich diese Seite. Ich werde dieses Thema nicht mehr erwähnen, egal, unter welchen Umständen“, schrieb Armstrong.

Präsident John Fahey von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA erklärte, er sei „enttäuscht“, dass sich Armstrong seiner Verantwortung nicht stelle, bezeichnete den Radstar aber direkt als „Dopingbetrüger“. Auch Tygart war nicht zum Feiern zumute. Der USADA-Boss sprach von einem „traurigen Tag“ für die Welt des Sports: „Dies ist ein herzzerreißendes Beispiel dafür, wie die Kultur des Gewinnens um jeden Preis den fairen und ehrlichen Wettbewerb untergräbt.“

Die USADA hatte Armstrong im Juni formal des Dopings angeklagt. Die Agentur stützt sich auf mehr als zehn Zeugen, zu denen auch Armstrongs einstige Helfer Tyler Hamilton und Floyd Landis zählen sollen. Im ehemaligen Spitzen-Rennstall US Postal sollen die Beschuldigten EPO-, Testosteron-, Kortison- und Blutdoping betrieben haben. Den umstrittenen italienischen Sportarzt Michele Ferrari, den Mediziner Luis Garcia del Moral und Jose „Pepe“ Marti hatte die USADA schon im Juli wegen Manipulationen sowie Handel und Anweisungen zum Gebrauch von Doping lebenslänglich gesperrt.

Zuletzt hatten sich auch seine ehemals treuen Gefolgsleute wie Tyler Hamilton, George Hincapie und Floyd Landis von Armstrong abgewendet und ihn schwer belastet. „Er hat genommen, was wir alle genommen haben. Epo, Testosteron, Bluttransfusionen“, sagte Hamilton. Er habe oft dabei zugesehen, wie sich Armstrong selbst Epo injizierte, unter anderem vor seinem ersten Tour-Sieg 1999: „Es lag immer in seinem Kühlschrank.“

Armstrong wurde indes offiziell nie erwischt. In sechs Urinproben des Amerikaners von 1999 war zwar das Blut-Dopingmittel EPO nachgewiesen worden, Armstrong wurde aber freigesprochen, weil die erneuten Tests der Proben angeblich nicht nach wissenschaftlichem Standard durchgeführt worden waren.

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„Die Tatsache, dass Athleten ohne positive A- und B-Probe im gleichen Maße beschuldigt werden können wie Profis mit positiven Tests, pervertiert das System“, schrieb Armstrong.

Nun wolle er sich mehr denn je seiner Anti-Krebs-Stiftung widmen.